Erwiderungen des Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen Sigmar Gabriel (SPD) zu den vorangegangenen Reden zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat

vom 22. März 2002


Sigmar Gabriel (Niedersachsen): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Müller, Sie stellen Behauptungen auf, treten aber den Beweis nicht an. Lesen Sie den Gesetzestext!

Hier wird behauptet, die Zuwanderung werde erweitert. Von Herrn Kollegen Stoiber wurden Zahlen genannt, auf die man, wie ich finde, eingehen muss.

Der Kanzlerkandidat der Union hat soeben in seiner Rede ausgeführt, jährlich kämen 500 000 Zuwanderer nach Deutschland. Nach den uns vorliegenden Daten sah es im Jahr 2001 wie folgt aus:

15 000 jüdische Einwanderer sind gekommen. Daran werden Sie vermutlich nichts ändern wollen. 20 000 Wissenschaftler, Leute aus Hightech-Berei-chen, Künstler und Sportler sind zugewandert. Daran werden Sie vermutlich nichts ändern wollen. 70.000 Menschen kamen über den Familiennachzug nach Deutschland. Uns liegt ein Gesetz vor, das den Zuzug gerade in diesem Bereich reduzieren wird. Es gab 80 000 Asylbewerber. Diese Zahl werden wir - damit antworte ich auf eine Frage des Kollegen Müller - durch beschleunigte Verfahren reduzieren; das ist Gegenstand des Gesetzes. 80.000 Saisonarbeitskräfte waren zeitlich befristet bei uns, sie mussten die Bundesrepublik wieder verlassen. Zudem kamen 90.000 Spätaussiedler, von denen drei Viertel Nichtdeutsche sind, mit den beschriebenen Problemen.

Nun würde ich vom Kanzlerkandidaten der Union gerne erfahren, an welcher Stelle er Reduzierungen vornehmen will. Ich würde gerne erfahren, wie sich die Union zu dem zentralen Problem der Integration der Gruppe der Spätaussiedler verhält. Sie haben gesagt, dass Sie das Asylrecht ändern und das Problem der Arbeitsmigration angehen wollten. Zum Thema "Vertriebenengesetz" haben Sie nichts gesagt. Sie kennen diese Probleme; sie bestehen in Bayern wie in anderen Ländern. Unser Land hat einen Antrag auf Änderung des Vertriebenenrechts eingebracht. Ich wäre dankbar, wenn das Land Bayern konkret sagen würde, an welcher Stelle Zuwanderung verringert werden soll.

(Zuruf Reinhold Bocklet [Bayern])

- Herr Kollege Bocklet, Sie brauchen keine Zwischenrufe zu machen, Sie können auch eine Rede halten. - Behaupten Sie nicht weiterhin, die Zuwanderung reduzieren zu wollen, ohne es zu belegen!

Hier läuft eine Phantomdebatte ab. Es wurde behauptet, Bestandteile des Gesetzes führten zu einer Erhöhung der Zuwandererzahlen. Aber niemand von denjenigen, die das behauptet haben, ist ans Rednerpult getreten und hat eine Passage des Gesetzes vorgelesen, aus der das hervorgeht.

Das Gleiche gilt übrigens für das Thema "Genfer Flüchtlingskonvention". Auch Herr Kollege Müller ist offensichtlich nicht bereit, den Gesetzestext vorzutragen, auf den er sich bezieht, wenn er uns den Vorwurf macht, das Gesetz erweitere Zuwanderung.

Herr Kollege Stoiber kann zum Rednerpult kommen und sagen, bei welchen Gruppen eine Erweiterung stattfindet und durch welche Maßnahmen er die Probleme bei der Integration insbesondere der Gruppe, die sowohl ich als auch Frau Kollegin Wagner angesprochen haben, bewältigen will.

Wir erleben eine Debatte über ein Gesetz, das so, wie es von der Union kritisiert wird, nicht vorliegt. Die Union belegt weder ihre Kritik noch greift sie die zentralen Probleme der Integration auf. Das ist eine Art und Weise der Auseinandersetzung, bei der am Ende nichts anderes bleibt, als den Vorwurf zu erheben, hier werde krampfhaft nach einer Möglichkeit gesucht, den Streit um ein Potemkin’sches Dorf bis zum 22. September fortzuführen.

Noch eines: Herr Kollege Müller, es ist nicht fair, wenn wir so tun, als ob es über die Härtefallregelung zu zusätzlicher Zuwanderung komme. Ich habe vier Jahre lang dem Innenausschuss des Landtages angehört. Bei uns gibt es keinen Petitionsausschuss; Härtefälle landen im Innenausschuss. Wir haben, wie ich vermute, mehr als 98% der Fälle abschlägig beschieden. Die Konsequenz war die Ausreise. In 1 bis 2% der Fälle, also in Einzelfällen, waren wir der Meinung, helfen zu müssen. Wir hatten Schwierigkeiten, dafür eine Rechtsgrundlage zu finden. Nun wird uns eine solche gegeben. Es ist nicht fair, sie zu diskreditieren, als ginge es um einen Tatbestand, der zu massenhaften zusätzlichen Einreisen führte.

Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass auch Sie den Anwerbestopp aufheben müssen, wenn Sie Ihr Ziel der Zuwanderung in den Hightech-Bereich erreichen wollen. Denn im Gesetz steht, dass dies nicht regional - es hat eine Veränderung gegeben -, sondern nur bundesweit möglich ist, wenn auf dem Arbeitsmarkt keine deutschen Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

Es ist oft von der Wichtigkeit der Beratungen in diesem Haus die Rede gewesen. Wir sollten uns selbst ernst nehmen und nicht über Gesetze debattieren, die nicht vorliegen. Bauen Sie keinen Popanz auf, sondern machen Sie einen Vorschlag, dem konkrete Zahlen der Zuwandernden zu Grunde liegen, nicht erfundene Zahlen, deren Größenordnung nicht stimmt und die mit den zentralen Problemen nichts zu tun haben!

 

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Quelle: Bundesrat, Stenographischer Bericht der 774. Sitzung vom 22.03.2002 (Plenarprotokoll 774).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Erwiderungen des Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen Sigmar Gabriel (SPD) zu den vorangegangenen Reden zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat (22.03.2002), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2002/rede_gabriel_zuwanderungsgesetz02.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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