Verordnung über den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik.

Vom 30. Juni 1922. [Anm. 1]


  Auf Grund des § 6 Abs. 2 Satz 4 und des Abs. 4 Satz 2 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Republik vom 26. Juni 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 521) wird verordnet:

§ 1

  Auf den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik finden die Bestimmungen des 13. bis 16. Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes mit folgenden Maßgaben entsprechende Anwendung:

  1. Das Ersuchen um Rechtshilfe darf nicht abgelehnt werden.
  2. Der Gerichtshof kann an jedem Orte innerhalb des Deutschen Reichs Sitzungen abhalten und Amtshandlungen durch einen beauftragten Richter vornehmen lassen.
  3. Die nicht zum Richteramte befähigten Mitglieder stimmen vor den zum Richteramte befähigten Mitgliedern; der Vorsitzende stimmt zuletzt, der Berichterstatter zuerst.

§ 2

  [1] Die zur Erledigung der Geschäfte des Staatsgerichtshofs erforderlichen Gerichtsschreiberei-, Kanzlei- und Unterbeamten beruft der Präsident des Reichsgerichts.
  [2] Der Präsident des Reichsgerichts trifft die erforderlichen Anordnungen über die Geschäftsräume und Geschäftsbedürfnisse des Staatsgerichtshofs.

§ 3

  Die Entscheidungen außerhalb der Hauptversammlung trifft der Staatsgerichtshof in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden.

§ 4

  Auf das Verfahren in den zur Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs gehörenden Sachen finden, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist, die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die zur Zuständigkeit der Strafkammern gehörenden Sachen entsprechende Anwendung.

§ 5

  Über die Ablehnung eines Richters entscheidet des Staatsgerichtshof, nachdem an die Stelle des abgelehnten Richters dessen Stellvertreter getreten ist. Die Ablehnung des Stellvertreters ist unzulässig.

§ 6

  [1] Die nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung im vorbereitenden Verfahren dem Amtsrichter obliegenden Geschäfte können auch durch einen vom Reichsminister der Justiz besonders bestimmten Ermittlungsrichter des Staatsgerichtshofs vorgenommen werden.
  [2] Soweit nach der Strafprozeßordnung die Verfügungen des Amtsrichters einer Beschwerde unterliegen, gilt dies auch für die Verfügungen des Ermittlungsrichters. Über die Beschwerde gegen Verfügungen des Amtsrichters und des Ermittlungsrichters entscheidet der Staatsgerichtshof. Das gleiche gilt für die nach § 8 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 26. Juni 1922 zugelassene Beschwerde.

§ 7

  [1] Der Amtsrichter oder der Ermittlungsrichter hat den vor Erhebung der öffentlichen Klage erlassenen Haftbefehl aufzuheben, wenn der Oberreichsanwalt es beantragt oder wenn ihm nicht vor Ablauf von drei Wochen nach der Vollstreckung des Haftbefehls die Entscheidung des Staatsgerichtshofs bekannt wird, daß der Haftbefehl aufrecht erhalten wird.
  [2] Erhält der Staatsgerichtshof den Haftbefehl aufrecht, so stehen ihm alle weiteren Entscheidungen über die Untersuchungshaft zu. Solange die öffentliche Klage noch nicht erhoben ist, hat der Oberreichsanwalt nach Ablauf je eines Monats seit der letzten Entscheidung des Staatsgerichtshofs dessen Entscheidung darüber herbeizuführen, ob die Untersuchungshaft fortdauern soll. Der Staatsgerichtshof hat den Haftbefehl, solange die öffentliche Klage noch nicht erhoben ist, aufzuheben, wenn der Oberreichsanwalt es beantragt.

§ 8

  Die Verteidigung ist in allen Sachen notwendig, die vor dem Staatsgerichtshofe zu verhandeln sind.

§ 9

  Die Voruntersuchung wird durch einen ständigen Untersuchungsrichter geführt, den der Reichsminister der Justiz bei dem Staatsgerichtshof ernennt. Der Vorsitzende des Staatsgerichtshofs kann im einzelnen Falle einen anderen Untersuchungsrichter bestimmen; zum Untersuchungsrichter kann jedes Mitglied eines deutschen Gerichts und jeder Amtsrichter bestimmt werden.

§ 10

  Ein Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens ergeht nicht. Die nach § 148 Abs. 2, 3 der Strafprozeßordnung an die Eröffnung des Hauptverfahrens geknüpften Wirkungen treten mit der Einreichung der Anklageschrift ein. Die Wirkungen, die nach der Strafprozeßordnung an die Verlesung des Eröffnungsbeschlusses geknüpft sind, treten mit dem Beginne der Vernehmung des Angeklagten zur Sache (§ 242 Abs. 3 der Strafprozeßordnung) ein.

§ 11

  Nach Ablauf der gemäß § 199 der Strafprozeßordnung bestimmten Frist beraumt der Vorsitzende des Staatsgerichtshofs Termin zur Hauptversammlung an. Hat der Angeschuldigte eine Voruntersuchung oder einzelne Beweiserhebung beantragt oder hat er Einwendungen gegen die Hauptversammlung erhoben, so entscheidet der Staatsgerichtshof; das gleiche gilt, wenn der Vorsitzende gegen die Hauptversammlung Bedenken hat.

§ 12

  Auf die von dem Staatsgerichtshof erkannten Strafen und auf ihre Vollstreckung finden die Vorschriften über die von dem Reichsgericht in erster Instanz erkannten Strafen und deren Vollstreckung entsprechende Anwendung.

§ 13

  [1] Die Kosten des Staatsgerichtshofs einschließlich der Kosten der Untersuchungshaft und der Strafvollstreckung trägt das Reich; die Verpflichtung des Verurteilten und dritter Personen zur Tragung der Kosten wird hierdurch nicht berührt. Soweit der Verurteilte oder dritte Personen zur Tragung der Kosten verpflichtet sind, fließen die von ihnen gezahlten Kosten in die Reichskasse.
  [2] In den zur Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs gehörenden Sachen finden das Gerichtskostengesetz und die Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige entsprechende Anwendung. Die Gebühren der Rechtsanwälte bestimmen sich nach den Vorschriften der Gebührenordnung für Rechtsanwälte, die für die vor dem Reichsgericht in erster Instanz zu verhandelnden Sachen gelten.
  [3] Die Vorschriften des Gesetzes, betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen, vom 20. Mai 1898 (Reichsgesetzbl. S. 345) und des Gesetzes, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft, vom 14. Juli 1904 (Reichsgesetzbl. S. 321) finden entsprechende Anwendung.


  Berlin, den 30. Juni 1922.

Der Reichsminister der Justiz
Dr. Radbruch

 

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Anmerkungen:
[1] Vgl. auch die danach auf Grund des § 12 Abs. 2 Satz 7 und Abs. 3 Satz 4 des Gesetzes zum Schutze der Republik vom 21. Juni 1922 erlassene Verordnung über den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik (29.07.1922).


Quelle: Reichsgesetzblatt 1922 I, S. 534-536.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Verordnung über den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik (30.06.1922), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/wr/stghf_vo01.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.01.2004
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