Verordnung zum Schutze der Republik.
Vom 26. Juni 1922.
I. Verbotene Vereinigungen
§ 1
[1] Versammlungen, Aufzüge und Kundgebungen können verboten
werden, wenn die Besorgnis begründet ist, daß in ihnen Erörterungen stattfinden, die
zur gesetzwidrigen Beseitigung der republikanischen Staatsform oder zu Gewalttaten gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung
des Reichs oder eines Landes aufreizen, solche Handlungen billigen oder verherrlichen oder
die republikanischen Einrichtungen des Staates in einer den inneren Frieden des Staates
gefährdenden Weise verächtlich machen.
[2] Vereine und Vereinigungen, die Bestrebungen dieser Art verfolgen, können
verboten und aufgelöst werden.
§ 2
[1] Zuständig für Maßnahmen nach § 1
sind die Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen.
[2] Der Reichsminister des Innern kann die Landeszentralbehörden um die
Anordnung einer solchen Maßnahme ersuchen. Glaubt die Landeszentralbehörde
einem solchen Ersuchen nicht entsprechen zu können, so teilt sie dies
dem Reichsminister des Innern mit und ruft gleichzeitig die Entscheidung des im Abschnitt III vorgesehenen Staatsgerichtshofs zum Schutze der Republik an.
Entscheidet dieser für die Anordnung, so hat die Landeszentralbehörde die
erforderlichen Maßnahmen sofort zu treffen.
§ 3
Gegen eine Anordnung nach § 1 ist binnen zwei
Wochen vom Tage der Zustellung oder Veröffentlichung ab die Beschwerde zulässig; sie hat
keine aufschiebende Wirkung. Die Beschwerde ist bei der Landeszentralbehörde
einzureichen. Diese kann ihr, außer im Falle des § 2 Abs. 2, abhelfen;
andernfalls hat sie die Beschwerde unverzüglich dem Staatsgerichtshof zum Schutze der
Republik zur Entscheidung vorzulegen.
§ 4
Wer nach § 1 verbotene Versammlungen, Aufzüge
oder Kundgebungen veranstaltet oder in solchen als Redner auftritt, wird mit Gefängnis
von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, neben dem auf Geldstrafe bis zu
fünfhunderttausend Mark erkannt werden kann.
II. Strafbestimmungen zum Schutze der Republik
§ 5
Mit Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf
Jahren, neben dem auf Geldstrafe bis zu fünfhunderttausend Mark erkannt werden kann,
wird, soweit nicht andere Vorschriften eine schwerere Strafe androhen, bestraft: |
- wer öffentlich Gewalttaten gegen die republikanische Staatsform oder gegen Mitglieder
der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder
eines Landes verherrlicht oder billigt, oder wer solche Gewalttaten belohnt
oder begünstigt; [Anm. 1]
- wer zu Gewalttaten gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren
republikanischen Regierung des Reichs oder
eines Landes auffordert, aufwiegelt oder solche Gewalttaten mit einem
andern verabredet;
- wer die Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des
Reichs oder eines Landes verleumdet oder öffentlich beschimpft;
- wer öffentlich die republikanische Staatsform oder die Reichs- oder Landesfarben
beschimpft;
- wer an einer Verbindung der im § 128 und im § 129 des Strafgesetzbuches bezeichneten
Art teilnimmt, wenn die Verbindung den Zweck hat, die republikanische Staatsform zu
untergraben. [Anm. 2]
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III. Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik
§ 6
[1] Bei dem Reichsgerichte wird ein Staatsgerichtshof zum Schutze
der Republik errichtet.
[2] Der Gerichtshof entscheidet in einer Besetzung von sieben Mitgliedern. Die
Mitglieder werden vom Reichspräsidenten ernannt; drei von ihnen sind Mitglieder des
Reichsgerichts, die übrigen vier Mitglieder brauchen nicht die Fähigkeit zum Richteramte
zu haben. Für die ordentlichen Mitglieder sind Stellvertreter zu ernennen. Die
notwendigen ergänzenden Anordnungen trifft der Reichsminister der Justiz. [Anm. 3]
[3] Anklagebehörde ist die Reichsstaatsanwaltschaft. Der § 147 Abs. 2 und der §
153 des Gerichtsverfassungsgesetzes gelten entsprechend.
[4] Auf das Verfahren finden die Vorschriften über das Verfahren vor den
Strafkammern entsprechende Anwendung. Der Reichsminister der Justiz kann besondere
Vorschriften erlassen. [Anm. 3]
§ 7
[1] Der Staatsgerichtshof ist zuständig: |
- für Gewalttaten gegen die republikanische Staatsform des Reichs oder gegen Mitglieder
der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes;
- für die in § 5 dieser Verordnung strafbaren Vergehen. [Anm. 4]
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[2] Die Anklagebehörde kann eine Untersuchung an
die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft abgeben; der Staatsgerichtshof kann eine bei
ihm anhängig gewordene Untersuchung auf Antrag der Anklagebehörde zum ordentlichen
Verfahren verweisen.
[3] Diese Vorschriften sind auch anzuwenden auf die vor dem Inkrafttreten dieser
Verordnung begangenen strafbaren Handlungen. Ist in der Sache bereits ein Urteil ergangen,
gegen das die Revision zulässig ist, so entscheiden über die Revision die ordentlichen
Gerichte. |
IV. Beschlagnahme und Verbot von Druckschriften
§ 8
Die Vorschriften des Gesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874
über die Beschlagnahme von Druckschriften (§ 23 ff. des Gesetzes) finden auch auf die im
§ 5 dieser Verordnung bezeichneten Vergehen mit der Maßgabe Anwendung,
daß gegen den Beschluß des Gerichts, der die vorläufige Beschlagnahme aufhebt, die
sofortige Beschwerde stattfindet und die Beschwerde aufschiebende Wirkung hat.
§ 9
Wird eine Beschlagnahme einer periodischen Druckschrift durch das
zuständige Gericht angeordnet oder bestätigt, so kann die Druckschrift bis auf die Dauer
von vier Wochen verboten werden. Auf die Zuständigkeit und das Verfahren finden die
Vorschriften der §§ 2 und 3 Anwendung.
§ 10
Wer eine nach § 9 verbotene periodische
Druckschrift herausgibt, verlegt, druckt oder verbreitet, wird mit Gefängnis von drei
Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, neben dem auf Geldstrafe bis zu fünfhunderttausend
Mark erkannt werden kann.
V. Schlußbestimmungen
§ 11
Mitglieder der Regierung des Reichs im Sinne dieser Verordnung
sind der Reichspräsident, der Reichskanzler und die Reichsminister.
§ 12
Die Artikel 118, 123, 124 der Reichsverfassung werden, wenn sie den Bestimmungen dieser Verordnung
entgegenstehen, vorübergehend außer Kraft gesetzt.
§ 13
Diese Verordnung tritt mit der Verkündung in Kraft.
Berlin, den 26. Juni 1922.
Der Reichspräsident
Ebert
Der Reichskanzler
Dr. Wirth
Der Reichsminister des Innern
Dr. Köster
Der Reichsminister der Justiz
Dr. Radbruch
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