| Regierungserklärung des Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD)
            zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des internationalen
            Terrorismus vom 8. November 2001
 
 
 Gerhard Schröder, Bundeskanzler [SPD]:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
 Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bereitschaft der Bundesregierung, den Bekundungen
            der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten konkrete Maßnahmen des
            Beistands folgen zu lassen. Dazu zählen politische und wirtschaftliche Unterstützung
            sowie die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des
            internationalen Terrorismus.
 
 Dies hat dieses Hohe Haus bereits am 19. September dieses Jahres [vgl. z.B. Regierungserklärung des Bundeskanzlers] mit
            großer Mehrheit beschlossen. Es geht jetzt darum, die Konsequenzen aus diesem Beschluss
            des Deutschen Bundestages zu ziehen.
 
 Rufen wir uns in Erinnerung: Am 11. September 2001 haben skrupellose, kaltblütige
            Terroristen mit entführten Flugzeugen Anschläge in New York und Washington verübt.
            Diesen barbarischen Attentaten sind Tausende unschuldiger Menschen zum Opfer gefallen. Ich
            kann verstehen, wenn Einzelne, sogar viele Einzelne angesichts des Grauens der Bilder, die
            man nicht täglich ertragen kann, zur Verdrängung dessen neigen, was geschehen ist. Das
            ist menschlich nachvollziehbar. Aber dies kann und darf nicht die Leitlinie politischer
            Entscheidungen sein; denn diejenigen, die politische Entscheidungen dieser Tragweite zu
            treffen haben, können und dürfen, so sehr sie das individuell bedauern mögen, nicht
            verdrängen, sondern sie müssen immer wieder den Gegebenheiten ins Auge schauen und die -
            gelegentlich leider - notwendigen Konsequenzen ziehen.
 
 Das ist der Grund, warum der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schon unmittelbar nach
            den Anschlägen vom 11. September die völkerrechtlich verbindliche Resolution 1368 einstimmig verabschiedet
            hat. Darin wird festgestellt - auch das gilt es immer wieder in Erinnerung zu rufen -,
            dass die Angriffe eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit
            darstellen und dass die Folge dessen die legitimierte Inanspruchnahme des
            Selbstverteidigungsrechtes nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen ist. Mir ist es im
            Hinblick auf die Öffentlichkeit wichtig - hier im Hohen Hause weiß man das ja -,
            festzustellen, dass alle Maßnahmen einschließlich der militärischen exakt auf dieser
            völkerrechtlich verbindlichen Basis getroffen worden sind, also durch die
            Staatengemeinschaft und durch das internationale Recht in vollem Umfang legitimiert sind.
 
 Der NATO-Rat hat am 4. Oktober dieses Jahres erstmalig in der Geschichte des Bündnisses
            den Bündnisfall nach Art. 5 des
            NATO-Vertrages festgestellt. Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite, die uns
            übrigens nicht nur formal, also nach den Buchstaben des Vertrages, verpflichtet. Nein,
            ich denke, unsere Verpflichtung geht weiter, als lediglich eine Bündnispflicht zu er
            füllen. Wir haben gemeinsam immer wieder darauf hingewiesen, dass insbesondere die
            Angriffe auf New York und Washington, also die Angriffe auf die Vereinigten Staaten von
            Amerika, nicht nur Angriffe auf die Werte waren, nach denen sich die Amerikaner politisch
            konstituieren, sondern auch Angriffe auf jene Werte, die für uns politisch konstitutiv
            sind, nämlich die Werte des Grundgesetzes.
            Deshalb geht es nicht nur um eine formale Verpflichtung, die aus Bündnispflichten
            resultiert. Das ist sie auch und das ist bereits wichtig genug. Es geht vielmehr darum:
            Solidarität darf in einem Bündnis keine Einbahnstraße sein. Wir haben über Jahrzehnte
            Solidarität erfahren. Deshalb ist es schlicht unsere Pflicht - das entspricht unserem
            Verständnis von Selbstachtung -, wenn wir in der jetzigen Situation Bündnissolidarität
            zurückgeben.
 
 (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)
 
 In der Öffentlichkeit sind zum Beispiel die Fragen gestellt worden: Warum leistet ihr
            denn Solidarität? Ist denn der Erfolg dieser Bündnisleistung gewährleistet? - Niemand
            kann das sagen, jedenfalls nicht mit letzter Sicherheit. Aber was wäre das für eine
            Solidarität, die wir vom Erfolg einer Maßnahme abhängig machten?
 
 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
            und der FDP)
 
 Deswegen denke ich: Wir haben uns gemeinsam, also das gesamte Hohe Haus - ich habe
            eingangs aus dem entsprechenden Beschluss des Bundestages zitiert -, zu uneingeschränkter
            Solidarität verpflichtet. Wir haben sie jetzt als Konsequenz aus unseren eigenen
            Entscheidungen auch zu leisten.
 
 Vor diesem Hintergrund hat die amerikanische Regierung konkrete Anfragen an uns gerichtet.
            Sie umfassen die Bereitstellung von ABC-Abwehrkräften, einer Einheit zur Evakuierung von
            Verletzten, von Spezialkräften der Bundeswehr, von Lufttransportkräften zum Transport
            von Personen und Material sowie von Seestreitkräften zum Beispiel zur Kontrolle des
            freien Schiffsverkehrs und zum Schutz von Schiffen mit gefährlicher Ladung. Das
            Bundeskabinett hat gestern beschlossen, dieser Bitte der Vereinigten Staaten zu
            entsprechen. Wir erfüllen damit die an uns gerichteten Erwartungen und leisten das, was
            uns objektiv möglich ist und was in dieser Situation politisch verantwortet werden kann.
 
 Alles in allem werden an der Operation "Enduring Freedom" maximal 3900 deutsche
            Berufs- und Zeitsoldaten beteiligt sein. Das ist eine Obergrenze, die auf der Basis der
            konkreten Anforderungen berechnet worden ist. Ich habe in jeder öffentlichen
            Verlautbarung darauf hingewiesen, dass man diese Zahlen nicht als exakte Zahlen nehmen
            kann; diese Obergrenze ist aber festgestellt und steht auch in dem Antrag, den die
            Bundesregierung dem Deutschen Bundestag zugeleitet hat. Ein gleichzeitiger Einsatz aller
            Soldaten ist nicht zu er warten.
 
 Das Mandat ist - nach unserer Auffassung richtigerweise - auf zwölf Monate begrenzt. Dies
            entspricht auch den Erwartungen unserer Bündnispartner. Bei einer Verlängerung müsste
            der Deutsche Bundestag erneut befasst werden. Mir ist wichtig, festzustellen, dass letzte
            Entscheidungen über Einsätze in vollem Umfang bei der Bundesregierung verbleiben. Ebenso
            wichtig ist mir, festzuhalten, dass keine Absicht besteht, die militärischen Maßnahmen
            auf ein anderes Land auszudehnen. Im Übrigen, kann es Einsätze - ich betone das - nur
            mit Zustimmung der Regierung des entsprechenden Landes geben. Das ist die Konsequenz
            dessen, was wir vorschlagen.
 
 Zunächst geht es nur um die Bereitstellung der deutschen Kräfte - natürlich um die
            Bereitstellung zu einem Einsatz -, auch wenn der Bundestag schon jetzt um die Zustimmung
            zu einem späteren Einsatzbeschluss gebeten wird.
 
 Bezogen auf die juristischen Bedenken, die gelegentlich geäußert worden sind, will ich
            sagen, dass das Verfahren, das wir Ihnen vorschlagen, nicht neu ist. Genauso hat der
            Bundestag in völligem Einklang mit der Verfassung
            und der Rechtslage bei seinem Kosovo-Beschluss vom 16. Oktober 1998 gehandelt.
 
 Mir ist besonders wichtig festzuhalten: Es geht weder um eine deutsche Beteiligung an
            Luftangriffen noch um die Bereitstellung von Kampftruppen am Boden. Der Beitrag, den wir
            leisten wollen, ist auch Ausdruck unserer Bereitschaft, der gewachsenen Verantwortung
            Deutschlands in der Welt durch konkretes Handeln Rechnung zu tragen. Es muss deutlich
            werden: Es geht nicht um irgendeine außenpolitische Strategie; es geht um die Vertretung
            der eigenen Interessen und um den Schutz der eigenen Werte, nach denen wir leben und
            weiter leben wollen.
 
 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
            und der FDP)
 
 Natürlich stellen sich viele Menschen in Deutschland jetzt besorgt die Frage, welche
            Konsequenzen der deutsche Beitrag für uns hat und insbesondere für die Soldaten haben
            wird. Niemand hat darauf eine endgültige Antwort. Jedem - nicht zuletzt mir - ist
            bewusst, das jeder Auslandseinsatz Risiken und Gefahren in sich birgt. Aber klar ist, dass
            die Bundesregierung alles tun wird, um die bestmögliche Sicherheit unserer Soldaten zu
            gewährleisten.
 
 Im Übrigen sind wir nicht die einzigen, die gebeten worden sind, ihrer Verantwortung auch
            durch einen militärischen Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus
            nachzukommen. Kanada und Australien zählen ebenso wie Großbritannien - das ist bekannt
            -, die Türkei, die Tschechische Republik sowie Frankreich und Italien als weitere
            europäische Partner zu den Staaten, die sich an den Maßnahmen beteiligen. Auch das gilt
            es zu bedenken, wenn hier im Hohen Hause darüber nachgedacht wird, ob man zustimmen kann
            und will oder nicht. Auch die Konsequenzen für Gemeinsamkeiten mit unseren Partnern in
            Europa sind bei einer politisch verantwortlich zu treffenden Entscheidung zu
            berücksichtigen.
 
 Die militärischen Operationen richten sich auf der Grundlage der Resolution 1368 des Weltsicherheitsrates
            gegen das terroristische Netzwerk von Osama Bin Laden und gegen das den Terrorismus
            unterstützende Talibanregime in Afghanistan. Ich bitte Sie, sich in Erinnerung zu rufen
            und niemals zu vergessen, dass es sich um ein Gewaltregime handelt, das den Tod vieler
            Tausend Afghanen, vor allem Kinder und Frauen, Unterdrückung und Massenvertreibung, auch
            Akte kultureller Barbarei zu verantworten hat. All das fand statt - das ist für die
            öffentliche Diskussion wichtig -, lange bevor die militärischen Maßnahmen gegen dieses
            Regime begonnen hatten.
 
 (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)
 
 Wenn es ein Versäumnis der internationalen Staatengemeinschaft gibt, dann dies - das
            sollten wir in einer solchen Debatte selbstkritisch eingestehen -, dass wir alle nach dem
            Abzug der vormaligen Sowjettruppen aus Afghanistan dieses Land und die Barbarei in diesem
            Land viel zu lange nicht beachtet haben.
 
 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
 
 Es handelt sich um ein Regime, das darüber hinaus terroristische Bestrebungen mit dem
            Ziel fördert, die Stabilität arabischer und muslimischer Staaten zu erschüttern -
            wiederum mit gefährlichen außen- und sicherheitspolitischen Folgen nicht nur für die
            angegriffenen Vereinigten Staaten, sondern für die gesamte zivilisierte Welt. Deshalb
            betone ich noch einmal: Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist nicht allein
            mit militärischen Mitteln zu gewinnen; das wissen wir sehr wohl. Deshalb müssen wir
            dauerhafte Anstrengungen auf vielerlei Ebenen unternehmen, um dieser Herausforderung zu
            begegnen. Wir können und dürfen den militärischen Beitrag daher nicht los gelöst von
            einer solchen umfassenden Strategie, einer Strategie für Sicherheit und für Stabilität
            in der Welt, diskutieren.
 
 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
 
 Meine Damen und Herren, während meiner Reise nach Pakistan, Indien, China und dann auch
            Russland in der vergangenen Woche habe ich eine große Übereinstimmung darüber
            feststellen können, dass die Überwindung des Talibanregimes als wesentliche
            Voraussetzung für eine menschenwürdige Zukunft Afghanistans gesehen wird. Auf die
            Staatengemeinschaft kommen in diesem Zusammenhang langfristig enorme Aufgaben zu. Das gilt
            vor allem für die Europäische Union. Ich bin der Auffassung, dass in dem Prozess, den
            man Post-Taliban-Prozess nennt, nicht nur die Nationalstaaten, die ganz natürlicherweise
            Adressat der Beistandserwartungen der angegriffenen Amerikaner waren und sind, Gesicht
            zeigen müssen, sondern dass - das ist auch in dem Gespräch deutlich geworden, das die
            europäischen Regierungschefs am letzten Sonntagabend in London geführt haben - vor allem
            auch das integrierte Europa, das dabei ist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
            zu schaffen, Gesicht zeigen und seine Rolle wahrnehmen muss. Wir in Deutschland treten
            dafür ein, dass dies für Europa möglich wird und dann auch so geschieht.
 
 Es geht jetzt in erster Linie um humanitäre Anstrengungen, mit denen das Leid von
            Millionen von Afghanen gelindert werden kann. Viele scheinen das Ausmaß der humanitären
            Katastrophe noch gar nicht richtig erfasst zu haben. Es geht dabei nicht nur um die
            Versorgung von Flüchtlingen, von Flüchtlingen übrigens - das gilt es hervorzuheben -,
            die völlig unabhängig von den militärischen Maßnahmen, die angeordnet worden sind,
            weil sie notwendig sind, auf der Flucht waren und sind, sondern es geht auch um die
            Versorgung von Menschen, die als Folge der Unterdrückung und der Unfähigkeit des Regimes
            Hunger leiden. Wir müssen befürchten, dass Abertausende verhungern. Auch um diese
            Menschen geht es uns.
 
 Jedenfalls müssen und werden wir unsere Anstrengungen zur Abwehr von Hunger und
            Flüchtlingselend noch einmal verstärken. Wenn diesem so vielfach gebeutelten Land nach
            Beseitigung des Terrorregimes eine Perspektive gegeben werden soll, dann brauchen wir auch
            eine Vorstellung davon und die Bereitschaft dazu, den Wiederaufbau zu unterstützen.
 
 Nicht zuletzt wird es darum gehen, an den Rahmenbedingungen für das friedliche
            Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen Afghanistans mitzuwirken. Ich sage noch einmal: Wir
            treten gemeinsam mit unseren europäischen Partnern für eine Lösung ein, die nicht von
            außen oktroyiert sein darf - das ist übrigens auch die Auffassung unserer amerikanischen
            Freunde -, sondern die sich aus dem Land heraus entwickeln muss. Es geht um eine Lösung,
            die alle ethnischen Gruppen einbezieht und die die berechtigten Interessen der
            Nachbarstaaten berücksichtigt.
 
 Dabei kann diese Lösung für eine gewisse Zeit nur unter dem Dach der Vereinten Nationen
            herbeigeführt werden. In diesem Prozess dürfen sich Europa und damit Deutschland ihrer
            Verantwortung nicht entziehen und sie werden es auch nicht tun.
 
 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
            und der FDP)
 
 Darüber hinaus wollen und werden wir unsere Zusammenarbeit mit den zentralasiatischen
            Staaten ausbauen. Wir sind daran interessiert, eine Destabilisierung durch den von
            Afghanistan ausgehenden internationalen Terrorismus zu vermeiden.
 
 Schließlich dürfen wir in unseren Bemühungen um eine Lösung des Nahostkonfliktes nicht
            nachlassen. Der ungelöste Nahostkonflikt darf keine Berufungsgrundlage für das
            verbrecherische Handeln der Terroristen sein.
 
 (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der
            CDU/CSU)
 
 Bezogen auf die Anstrengungen zur Lösung dieses Konflikts, gilt auch: Es gibt keine
            direkte Beziehung zwischen dem internationalen Terrorismus und dem schwelenden Konflikt im
            Nahen Osten. Anders ausgedrückt: Auch wenn dieser Konflikt morgen gelöst wäre, dann
            dürfte man nicht nachlassen, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, weil er
            unabhängig von diesem Konflikt besteht.
 
 (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)
 
 Die Lösung des Konfliktes - natürlich auch aus sich selbst heraus - ist nicht zuletzt
            deshalb wichtig, weil er den Terroristen die Mobilisierung von Massen für ihr
            verbrecherisches Handeln immer wieder erlaubt hat und - wenn wir zu keiner Lösung kommen
            - weiterhin erlauben wird.
 
 Der unermüdliche Einsatz des Bundesaußenministers zur Überwindung der Gegensätze in
            der Region hat den Respekt vieler seiner und vieler meiner Kollegen. Er verdient auch
            unseren Respekt und unsere Anerkennung.
 
 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])
 
 Wir würden die Möglichkeiten Deutschlands - dabei geht es auch, aber nicht nur um
            Personen - falsch einschätzen, weil wir sie überschätzten, wenn wir glaubten, dass
            dieser Konflikt allein durch unsere oder durch gemeinsame europäische Anstrengungen zu
            lösen wäre. In dieser zutiefst Besorgnis erregenden Situation ist es erforderlich, dass
            insbesondere die Vereinigten Staaten erkennen, dass sie im Nahen Osten auf höchster Ebene
            - möglicherweise gemeinsam mit Russland, mit der Europäischen Union und naturgemäß mit
            den Vereinten Nationen - eine herausgehobene Verantwortung für die Lösung dieses
            Konflikts tragen.
 
 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
 
 Die Eindämmung des internationalen Terrorismus verlangt - das ist klar - große
            Anstrengungen und vor allen Dingen einen langen Atem. Wir haben ein gemeinsames Interesse,
            die militärischen Operationen zu einem raschen und erfolgreichen Ende zu führen. Wir
            begrüßen ausdrücklich die Zusage der amerikanischen Regierung, alle nur möglichen
            Vorkehrungen zu treffen, um zivile Opfer zu vermeiden.
 
 Gerade mit Bezug auf die öffentliche Debatte bitte ich auch in diesem Fall um Fairness.
            Die Fairness besteht darin, dass man nicht einerseits sagt, man solle so vor gehen, dass
            möglichst wenig zivile Opfer zu beklagen sind, andererseits aber zugleich den Vorwurf
            erhebt, dass ein solches Vorgehen dann naturgemäß länger dauert, als wenn man anders
            vorginge. Beides lässt sich nicht gut verbinden.
 
 (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
 
 Man muss sich entscheiden. Ich denke, auch das gehört zur Redlichkeit im Umgang
            miteinander und im Umgang mit unseren Partnern und muss bei Entscheidungen im Deutschen
            Bundestag beachtet werden.
 
 Mit unseren humanitären Bemühungen machen wir zugleich deutlich, dass sich die
            militärischen Operationen eben nicht gegen das afghanische Volk richten, sondern gegen
            den internationalen Terrorismus, der vom Talibanregime unterstützt wird, welches insoweit
            Teil des internationalen Terrorismus ist. Allein Deutschland hat übrigens - das können
            wir ruhig selbstbewusst sagen - in den vergangenen Jahren humanitäre Leistungen in Höhe
            von mehr als 100 Millionen DM erbracht. Afghanistan war - das gilt ungeachtet der
            selbstkritischen Bemerkungen, die ich gemacht habe - immer ein Schwerpunktland unserer
            humanitären Hilfe. Auch deswegen haben wir in diesem Jahr den Vorsitz in der Afghanistan
            Support Group inne.
 
 Mindestens ebenso wichtig wie militärisches und humanitäres Engagement sind politische
            und diplomatische Bemühungen. Wirtschaftliche Maßnahmen ebenso wie die notwendige
            Zusammenarbeit der Nachrichtendienste müssen hinzukommen. Schließlich müssen wir uns
            auch der geistigen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus stellen. Das heißt, wir müssen
            uns vor allem der Tatsache stellen, dass Terroristen kulturelle, soziale und politische
            Missstände für ihre mörderischen Zwecke instrumentalisieren. Diese geistige
            Auseinandersetzung haben wir im Dialog mit den muslimischen Gesellschaften zu führen, die
            dabei - auch das gilt es einzufordern - auch ihrer eigenen Verantwortung nachkommen
            müssen, um das Ziel einer gemeinsamen friedlichen und humanen Entwicklung zu erreichen.
 
 Nur auf der Grundlage eines so umfassenden Konzeptes und gemeinsamen Handelns wird die
            internationale Koalition im Kampf gegen den Terrorismus am Ende erfolgreich sein. Dieser
            Erfolg ist nicht nur notwendig, sondern - davon bin ich überzeugt - er wird auch erreicht
            werden. Wir stehen im Kampf gegen den Terrorismus vor einer großen Herausforderung. Sie
            ist nicht zu bewältigen, ohne Risiken einzugehen. Niemand hat das behauptet und niemand
            kann das behaupten. Sie birgt aber auch die Chance, Gefahren für die friedliche Existenz
            und das friedliche Zusammenleben der Völker zu Beginn des 21. Jahrhunderts dauerhaft zu
            beseitigen.
 
 Ich will aber noch auf eines hinweisen: Bei der anstehenden Entscheidung geht es auch um
            die Bündnisfähigkeit Deutschlands, also darum, dass wir die richtige Konsequenz aus dem,
            was wir alle miteinander erklärt und bekannt haben, ziehen. Ich möchte mich in diesem
            Zusammenhang ausdrücklich dafür bedanken, dass es möglich gewesen ist, die ganze Zeit
            über so miteinander umzugehen und uns gegenseitig so zu informieren, wie das dem Thema
            angemessen ist. Diesen Dank spreche ich dem ganzen Haus aus, allen, die dabei sind. Ich
            habe den Fraktions- und Parteivorsitzenden zugesagt - ich habe das auch dem Bundeskabinett
            berichtet, welches das zustimmend zur Kenntnis genommen hat -, dass ich diese angemessene
            Informationspolitik auch weiterführen werde, insbesondere dann, wenn es um die
            Konsequenzen aus dem hoffentlich mit breiter Mehrheit gefällten Beschluss in der
            nächsten Woche geht.
 
 Mehr als 50 Jahre - lassen Sie mich das abschließend sagen, meine Damen und Herren -
            haben die Vereinigten Staaten in Solidarität zu uns gestanden. Es waren nicht zuletzt die
            Amerikaner, die uns die Rückkehr in die Völkergemeinschaft ermöglicht, die unsere
            Freiheit garantiert und letztlich unsere staatliche Einheit und deren Werden unterstützt
            haben.
 
 Über viele Jahrzehnte haben wir diese Solidarität Amerikas für selbst verständlich
            gehalten und haben unseren Nutzen daraus gezogen. Bündnissolidarität ist aber keine
            Einbahnstraße. Deshalb geht es jetzt - nicht nur, aber auch - darum, unseren praktischen
            Beitrag zur Solidarität, die unseren gemeinsamen Werten, unseren gemeinsamen Zielen und
            unserer gemeinsamen Zukunft in Sicherheit und Freiheit gilt, zu leisten. Wir tun das, wie
            sich zeigt, in offener, in demokratischer und auch in kritischer Diskussion; das ist kein
            Nach teil in unserer Gesellschaft. Ich hoffe aber auch, dass wir das
            in großer Geschlossenheit und mit einem entsprechenden Ergebnis tun.
 
 Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
 
 (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Beifall bei der FDP
            sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
 
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