Rede des Vorsitzenden der PDS-Fraktion Roland Claus zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus

vom 8. November 2001


Roland Claus (PDS): Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der amerikanische Professor David Fromkin hat - man höre und staune - bereits vor 24 Jahren gesagt:
Es ist die Strategie der Terroristen, ihr Ziel nicht durch ihre Handlungen, sondern durch die Reaktionen darauf zu erreichen.

Ich denke, mit dieser Überlegung sind wir auch heute konfrontiert, wenn wir uns die Frage stellen: Vereiteln Bomben auf Afghanistan die Ziele der Terroristen oder bedienen sie deren wahnsinnige Logik nur?

(Beifall bei der PDS)

Nach vier Wochen Krieg gegen Afghanistan stellt sich die Frage nach der Bilanz. Keines der selbst gesteckten Ziele ist bisher erreicht worden: Die Sicherheit in den Vereinigten Staaten und in Europa hat sich für die Bürgerinnen und Bürger nicht spürbar erhöht. Die internationalen terroristischen Strukturen sind nicht beseitigt. Das Talibanregime regiert weiter. Die Antiterrorkoalition bröckelt. Des Weiteren droht eine Destabilisierung im arabischen und zentral asiatischen Raum. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf die gefährliche Situation in Kaschmir hinweisen.

Der PDS ist in diesen schwierigen Tagen häufig unterstellt worden, sie suche nur nach einfachen Antworten. Das Gegenteil ist der Fall. Wir tun uns im Ringen um diese Antworten ebenso schwer wie Sie. Ich will Ihnen aber eines sagen: Auch wer wie wir zugibt, nicht alles zu wissen, muss nicht zwingend einen falschen Weg mitgehen.

(Beifall bei der PDS)

Herr Bundeskanzler, das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass wir die Ereignisse des 11. September verdrängen wollten. Das ist nicht der Fall.

In dieser schwierigen Situation sagen wir: Wir wissen, dass Krieg das falsche Mittel im Kampf gegen den Terrorismus ist.

(Beifall bei der PDS)

Krieg vermehrt die terroristische Gefahr, er schränkt sie nicht ein. Der Kampf gegen den Terrorismus ist zu gewinnen, ein Krieg aber nie.

(Beifall bei der PDS)

Weil wir gegen den Krieg als Mittel gegen den Terrorismus sind, sagen wir auch Nein zur deutschen Kriegsbeteiligung.

(Beifall bei der PDS)

Wir finden, dass die deutsche Beteiligung die Situation verschlimmert. Wir haben uns immer für die Wahrnehmung der diplomatischen politischen Mission des Bundesaußenministers ausgesprochen; man kann das nachlesen. Aber die Spielräume, die Deutschland bislang hatte, sind mit dem Eintritt in die Kriegshandlungen dahin.

Herr Bundeskanzler, Sie haben noch vor kurzem gesagt: Risiko ja, Abenteuer nein. Wir fürchten, das ist nun hinfällig. Wir fürchten, dass jetzt ein militärisches Abenteuer beginnt, und zwar schon deshalb, weil Sie die relativ einfache Frage nicht beantworten können: Was muss geschehen, damit deutsche Soldaten zurückkehren? In welcher Situation, Herr Bundeskanzler, befinden wir uns: Bündnisfall, Beistandsfall oder Kriegszustand? Sagen Sie das den Menschen in Deutschland. Sie haben ein Recht darauf.

(Beifall bei der PDS)

Ich will zu dem Antrag kommen. Es gab heute weiterhin Irritationen darüber, auf welche Weise es zu dieser Anforderung kam. Ich will Ihnen etwas sagen, was Sie vielleicht nicht erwarten: Nach dem, was mir bekannt ist, hat der Bundeskanzler über das Zustandekommen dieser Anforderung korrekt informiert. Diese Tatsache ist von Oppositionskollegen in Zweifel gezogen worden. Herr Bundeskanzler, ich stelle die einfache Frage: Wenn es solche anhaltenden Irritationen gibt, warum haben Sie dann nicht die Möglichkeit genutzt, vor dem Bundestag das konkrete Zustandekommen dieser Anforderungen - möglichst unter Zuhilfenahme von Schriftstücken - klarzustellen? Das wäre durchaus möglich gewesen. In diesem Zusammenhang hätten Sie nicht die Kronzeugenschaft der PDS gebraucht.

(Beifall bei der PDS)

Der Antrag wirft gewaltige Fragen auf: Was bedeuten die riesigen Einsatzgebiete, über die schon geredet wurde? Was heißt "geltende Einsatzregeln für militärische Gewalt"? Wie kommen Spürpanzer zum Einsatz, wenn Deutschland nicht am Boden agieren will? Können Panzer fliegen?

(Beifall bei der PDS)

Sie setzen ausschließlich auf die Nordallianz. Die Nordallianz mag in der Lage sein, gegen die Taliban das eine oder andere Gefecht zu gewinnen. Die Schlacht oder den Kampf gegen den Terrorismus kann die Nordallianz nicht erfolgreich bestreiten.

(Beifall bei der PDS - Rudolf Bindig [SPD]: Alles falsche Mutmaßungen!)

Es darf nicht vergessen werden, dass die Nordallianz und die Taliban zusammen seinerzeit mit über 6 Milliarden Dollar für den Kampf gegen die Sowjets aufgerüstet wurden.

Herr Bundeskanzler, Sie haben völlig zu Recht das nicht hinzunehmende Elend von Frauen in Afghanistan angesprochen. In diesem Punkt von der Nordallianz irgendetwas an Verbesserung zu erwarten ist doch eine glatte Illusion.

(Beifall bei der PDS)

Ich möchte Sie - vor allem diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die beabsichtigen, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen - bitten: Lassen Sie nicht zu, dass erneut ein Vorratsbeschluss gefasst wird. Der Antrag, mit dem wir es zu tun haben, ist eine Art Freibrief.

(Beifall bei der PDS)

Im Text ist sogar das Wort "Ermächtigung" enthalten. Lassen wir nicht zu, dass die Souveränität des Parlaments eingeschränkt wird. Lassen wir auch nicht zu, dass mit kritischen Stimmen in dieser gesellschaftlichen Situation vonseiten der Regierungskoalition und vonseiten des Bundeskanzlers weiter so umgegangen wird wie bisher.

(Beifall bei der PDS)

Herr Bundeskanzler, der Maulkorb, den Sie der IG Metall verpasst haben, gehört genau zu der von mir kritisierten Position. In diesem Zusammenhang will ich an eines erinnern: Bundeskanzler Kohl hat so manchen Strauß mit den Gewerkschaften ausgefochten, aber den Gewerkschaften das Recht auf Friedenspolitik abzusprechen ist ein Novum, das erst unter Rot-Grün eingeführt worden ist, und das wollen wir so nicht hinnehmen.

(Beifall bei der PDS - Detlev von Larcher [SPD]: Das ist Blödsinn!)

- Das ist leider kein Blödsinn.

(Detlev von Larcher [SPD]: Doch!)

Ich wünschte mir, es wäre Blödsinn, Herr Kollege.

Im Übrigen spricht die Delegitimierung aller Kriegskritiker nicht etwa für Souveränität dieser Regierung, sondern für Schwäche im Umgang mit Kritikerinnen und Kritikern.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, ich denke, es gibt noch immer die Chance zur Umkehr auf diesem Weg. Noch haben wir eine Woche Zeit bis zur Beschlussfassung. Lassen Sie uns umkehren und wieder hinkommen zu einer Dominanz des Politischen, des Diplomatischen, des Juristischen, meinethalben auch des Polizeilichen! Lassen Sie uns von der uneingeschränkten Solidarität zu dem kommen, was wir im Deutschen Bundestag "kritische Solidarität" genannt haben! Lassen Sie uns für wirksame Flüchtlingshilfe und Aufbauhilfe in Afghanistan eintreten! Ich sage noch einmal: Wenn dem globalisierten Terror der globalisierte Krieg folgte, dann hätte sich nicht die Logik der Zivilisation, sondern dann hätte sich der Wahnsinn der Terroristen durchgesetzt und das können und wollen wir nicht zulassen.

(Beifall bei der PDS)

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, fällt mir zum Schluss nur ein, Ihnen zuzurufen: Sagt Nein!

(Beifall bei der PDS)


Präsident Wolfgang Thierse: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Werner Schulz.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kollege Claus, Sie haben die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands infrage gestellt und abgelehnt, eine Solidarität, die bedeutet, dass kein Bereich von Hilfe und Unterstützung von vornherein ausgeschlossen ist, eine Solidarität, die nicht zuerst nach Garantieleistung fragt, sondern die Notwendigkeit sieht. "Uneingeschränkte Solidarität" heißt nicht "bedingungslose Solidarität".

(Zurufe von der PDS: Doch!)

Bedingungslose Solidarität, Gregor Gysi, hat es von 1980 bis 1989 in einem Teil Deutschlands gegeben, in einer Zeit also - um das einmal deutlich zu machen -, als du und viele andere deiner Partei

(Zuruf von der PDS: Jetzt nicht mehr!)

als Mitglieder der Sozialistischen Einheitspartei

(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Keine Wiederholung!)

in fester Waffenbrüderschaft an der Seite der Sowjetunion standen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt ein Maß von Heuchelei, finde ich, das unerträglich ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP - Beifall bei der PDS - Rolf Kutzmutz [PDS]: Schwerter zu Pflugscharen!)

Die Probleme von heute haben etwas mit der Vergangenheit zu tun, und zwar sehr konkret.

(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Eben!)

Was die gewundenen Erklärungen zu Mauerbau und Zwangsvereinigung an geht, so muss ich sagen: Da waren viele von uns noch nicht geboren oder noch Kinder. Aber Afghanistan ist ein anderer Konflikt.

Ich will einen ganz interessanten Zacken aus meiner Biografie erwähnen, der seit 1990 im Handbuch des Deutschen Bundestages steht. Ich habe nicht gedacht, dass das in irgendeiner Weise noch einmal eine Rolle spielen würde.

Ich bin 1980 mit meiner halbfertigen Dissertation von der Humboldt-Uni versität geflogen, weil ich Protest gegen den Einmarsch der Russen in Afghanistan gewagt habe. Von der SED habe ich da von Kritik kein Sterbenswörtchen gehört. Ihre Position heute wäre glaubwürdiger, wenn Sie keine einfachen Antworten geben würden,

(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Weil wir gelernt haben!)

sondern wenn Sie erklären könnten, warum Sie in dem grausamen Krieg damals neun Jahre lang bedingungslose Solidarität geübt haben und sich heute bei der Beteiligung am Kampf gegen den Terrorismus verweigern. Das müssen Sie der deutschen Öffentlichkeit erklären!

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Claus, Sie haben die Gelegenheit zu einer Erwiderung.


Roland Claus (PDS): Herr Kollege Schulz, Sie können sich mit der Mehrheit im Deutschen Bundestag möglicherweise auf den Verweis auf die Geschichte meiner Partei zurückziehen. Sie können unsere Kritik an Ihnen auf diese einfache Art zurückweisen.

(Beifall bei der PDS - Detlev von Larcher [SPD]: Das haben Sie selbst verursacht!)

Sie können aber eines nicht zurückweisen: In dieser Gesellschaft gibt es inzwischen viel mehr Stimmen als die aus meiner Partei und aus meiner Fraktion, die sagen, dass die Begrifflichkeit von der "uneingeschränkten Solidarität" für dieses Land ein unheilvolles Bekenntnis war,

(Beifall bei der PDS)

weil es dazu führt, dass es zu einer bedingungslosen Solidarität kommt. Ich muss hier doch nicht die Namen der Prominenten aufzählen - angefangen von Günter Grass über viele weitere Schriftsteller -, die in diese Kritik eingestimmt haben. Wir werden an unserer Position festhalten. Dabei werden wir uns auf den Rückhalt in unserer Gesellschaft stützen können. Die Mehrheitsverhältnisse sehen dort anders aus als hier, im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der PDS - Rudolf Bindig [SPD]: Keine Antwort! - Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Du gehst überhaupt nicht auf das Problem ein, das er angesprochen hat!)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 198. Sitzung vom 08.11.2001 (Plenarprotokoll 14/198).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Vorsitzenden der PDS-Fraktion Roland Claus zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus (08.11.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_claus_1108.html, Stand: aktuelles Datum.


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