Die Verfassung der
Deutschen Demokratischen Republik[1]
[vom 7. Oktober 1949]
Aufbau der Verfassung
Von dem Willen erfüllt, die Freiheit und die Rechte des Menschen zu
verbürgen, das Gemeinschafts- und Wirtschaftsleben in sozialer Gerechtigkeit zu
gestalten, dem gesellschaftlichen Fortschritt zu dienen, die Freundschaft mit anderen
Völkern zu fördern und den Frieden zu sichern, hat sich das deutsche Volk diese
Verfassung gegeben.
A. Grundlagen der Staatsgewalt
ARTIKEL 1
(1) Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik; sie baut sich auf den
deutschen Ländern auf.
(2) Die Republik entscheidet alle Angelegenheiten, die für den Bestand und die
Entwicklung des deutschen Volkes in seiner Gesamtheit wesentlich sind; alle übrigen
Angelegenheiten werden von den Ländern selbständig entschieden.
(3) Die Entscheidungen der Republik werden grundsätzlich von den Ländern ausgeführt.
(4) Es gibt nur eine deutsche Staatsangehörigkeit.
ARTIKEL 2
(1) Die Farben der Deutschen Demokratischen Republik sind Schwarz-Rot-Gold.
(2) Die Hauptstadt der Republik ist Berlin.
ARTIKEL 3
(1) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.
(2) Jeder Bürger hat das Recht und die Pflicht zur Mitgestaltung in seiner Gemeinde,
seinem Kreise, seinem Lande und in der Deutschen Demokratischen Republik.
(3) Das Mitbestimmungsrecht der Bürger wird wahrgenommen durch:
Teilnahme an Volksbegehren und Volksentscheiden;
Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts;
Übernehme öffentlicher Ämter in Verwaltung und Rechtsprechung.
(4) Jeder Bürger hat das Recht, Eingaben an die Volksvertretung zu richten.
(5) Die Staatsgewalt muß dem Wohl des Volkes, der Freiheit, dem Frieden und dem
demokratischen Fortschritt dienen.
(6) Die im öffentlichen Dienst Tätigen sind Diener der Gesamtheit und nicht einer
Partei. Ihre Tätigkeit wird von der Volksvertretung überwacht.
ARTIKEL 4
(1) Alle Maßnahmen der Staatsgewalt müssen den Grundsätzen
entsprechen, die in der Verfassung zum Inhalt der Staatsgewalt erklärt sind. Über die
Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen entscheidet die Volksvertretung gemäß Artikel 68 dieser Verfassung. Gegen Maßnahmen, die den Beschlüssen der
Volksvertretung widersprechen, hat jedermann das Recht und die Pflicht zum Widerstand.
(2) Jeder Bürger ist verpflichtet, im Sinne der Verfassung zu handeln und sie gegen ihre
Feinde zu verteidigen.
ARTIKEL 5
(1) Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts binden die
Staatsgewalt und jeden Bürger.
(2) Die Aufrechterhaltung und Wahrung freundschaftlicher Beziehungen zu allen Völkern ist
die Pflicht der Staatsgewalt.
(3) Kein Bürger darf an kriegerischen Handlungen teilnehmen, die der Unterdrückung eines
Volkes dienen.[3]
B. Inhalt und Grenzen der Staatsgewalt
I. Rechte des Bürgers
ARTIKEL 6
(1) Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleichberechtigt.
(2) Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen
demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militaristische
Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die
Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübung
demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze.
(3) Wer wegen Begehung dieser Verbrechen bestraft ist, kann weder im öffentlichen Dienst
noch in leitenden Stellen im wirtschaftlichen und kulturellen Leben tätig sein. Er
verliert das Recht zu wählen und gewählt zu werden.
ARTIKEL 7
(1) Mann und Frau sind gleichberechtigt.
(2) Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen,
sind aufgehoben.
ARTIKEL 8
(1) Persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Postgeheimnis
und das Recht, sich an einem beliebigen Ort niederzulassen, sind gewährleistet. Die
Staatsgewalt kann diese Freiheiten nur auf Grund der für alle Bürger geltenden Gesetze
einschränken oder entziehen.
ARTIKEL 9
(1) Alle Bürger haben das Recht, innerhalb der Schranken der für alle
geltenden Gesetze ihre Meinung frei und öffentlich zu äußern und sich zu diesem Zweck
friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Diese Freiheit wird durch kein Dienst- oder
Arbeitsverhältnis beschränkt; niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem
Recht Gebrauch macht.
(2) Eine Pressezensur findet nicht statt.
ARTIKEL 10
(1) Kein Bürger darf einer auswärtigen Macht ausgeliefert werden.
(2) Fremde Staatsbürger werden weder ausgeliefert noch ausgewiesen, wenn sie wegen ihres
Kampfes für die in dieser Verfassung niedergelegten Grundsätze im Ausland verfolgt
werden.
(3) Jeder Bürger ist berechtigt, auszuwandern. Dieses Recht kann nur durch Gesetz der
Republik beschränkt werden.
ARTIKEL 11
(1) Die fremdsprachigen Volksteile der Republik sind durch Gesetzgebung
und Verwaltung in ihrer freien volkstümlichen Entwicklung zu fördern; sie dürfen
insbesondere am Gebrauch ihrer Muttersprache im Unterricht, in der inneren Verwaltung und
in der Rechtspflege nicht gehindert werden.
ARTIKEL 12
(1) Alle Bürger haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht
zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden.
ARTIKEL 13
(1) Vereinigungen, die die demokratische Gestaltung des öffentlichen
Lebens auf der Grundlage dieser Verfassung satzungsgemäß erstreben und deren Organe
durch ihre Mitglieder bestimmt werden, sind berechtigt, Wahlvorschläge für die
Volksvertretungen der Gemeinden, Kreise und Länder einzureichen.
(2) Wahlvorschläge für die Volkskammer dürfen nur die Vereinigungen aufstellen, die
nach ihrer Satzung die demokratische Gestaltung des staatlichen und gesellschaftlichen
Lebens der gesamten Republik erstreben und deren Organisation das ganze Staatsgebiet
umfaßt.
ARTIKEL 14
(1) Das Recht Vereinigungen zur Förderung der Lohn- und
Arbeitsbedingungen anzugehören, ist für jedermann gewährleistet. Alle Abreden und
Maßnahmen, welche diese Freiheit einschränken oder zu behindern suchen, sind
rechtswidrig und verboten.
(2) Das Streikrecht der Gewerkschaften ist gewährleistet.
ARTIKEL 15
(1) Die Arbeitskraft wird vom Staat geschützt.
(2) Das Recht auf Arbeit wird verbürgt. Der Staat sichert durch Wirtschaftslenkung jedem
Bürger Arbeit und Lebensunterhalt. Soweit dem Bürger angemessenen Arbeitsgelegenheit
nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt.
ARTIKEL 16
(1) Jeder Arbeitende hat das Recht auf Erholung, auf jährlichen Urlaub
gegen Entgeld, auf Versorgung bei Krankheit und im Alter.
(2) Der Sonntag, die Feiertage und der 1. Mai sind Tage der Arbeitsruhe und stehen unter
dem Schutz der Gesetze.
(3) Der Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der arbeitenden Bevölkerung, dem
Schutze der Mutterschaft und der Versorgung gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter,
Invalidität, Arbeitslosigkeit und sonstigen Wechselfällen des Lebens dient ein
einheitliches, umfassendes Sozialversicherungswesen auf der Grundlage der Selbstverwaltung
der Versicherten.
ARTIKEL 17
(1) Die Regelung der Produktion sowie der Lohn- und Arbeitsbedingungen in
den Betrieben erfolgt unter maßgeblicher Mitbestimmung der Arbeiter und Angestellten.
(2) Die Arbeiter und Angestellten nehmen diese Rechte durch Gewerkschaften und
Betriebsräte wahr.
ARTIKEL 18
(1) Die Republik schafft unter maßgeblicher Mitbestimmung der
Werktätigen ein einheitliches Arbeitsrecht, eine einheitliche Arbeitsgerichtsbarkeit und
einen einheitlichen Arbeitsschutz.
(2) Die Arbeitsbedingungen müssen so beschaffen sein, daß die Gesundheit, die
kulturellen Ansprüche und das Familienleben der Werktätigen gesichert sind.
(3) Das Arbeitsentgeld muß der Leistung entsprechen und ein menschenwürdiges Dasein für
den Arbeitenden und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen gewährleisten.
(4) Mann und Frau, Erwachsener und Jugendlicher haben bei gleicher Arbeit das Recht auf
gleichen Lohn.
(5) Die Frau genießt besonderen Schutz im Arbeitsverhältnis. Durch Gesetz der Republik
werden Einrichtungen geschaffen, die es gewährleisten, daß die Frau ihre Aufgabe als
Bürgerin und Schaffende mit ihren Pflichten als Frau und Mutter vereinbaren kann.
(6) Die Jugend wird gegen Ausbeutung geschützt und vor sittlicher, körperlicher und
geistiger Verwahrlosung bewahrt. Kinderarbeit ist verboten.
II. Wirtschaftsordnung
ARTIKEL 19
(1) Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen sozialer
Gerechtigkeit entsprechen; sie muß allen ein menschenwürdiges Dasein sichern.
(2) Die Wirtschaft hat dem Wohl des ganzen Volkes und der Deckung seines Bedarfes zu
dienen; sie hat jedermann einen seiner Leistung entsprechenden Anteil an dem Ergebnis der
Produktion zu sichern.
(3) Im Rahmen dieser Aufgaben und Ziele ist die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen zu
gewährleisten.
ARTIKEL 20
(1) Bauern, Handel- und Gewerbetreibende sind in der Entfaltung ihrer
privaten Initiative zu unterstützen. Die genossenschaftliche Selbsthilfe ist auszubauen.
ARTIKEL 21
(1) Zur Sicherung der Lebensgrundlage und zur Steigerung des Wohlstandes
seiner Bürger stellt der Staat durch die gesetzgebenden Organe, unter unmittelbarer
Mitwirkung seiner Bürger, den öffentlichen Wirtschaftsplan auf. Die Überwachung seiner
Durchführung ist Aufgabe der Volksvertretungen.
ARTIKEL 22
(1) Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und
seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen und den sozialen Pflichten gegenüber der
Gemeinschaft.
(2) Das Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts gewährleistet. Der Anteil
des Staates am Erbe wird durch Gesetz bestimmt.
(3) Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber, der Erfinder und der Künstler genießen
den Schutz, die Förderung und die Fürsorge der Republik.
ARTIKEL 23
(1) Beschränkungen des Eigentums und Enteignungen können nur zum Wohle
der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgen gegen
angemessene Entschädigung soweit das Gesetz nicht anderes betimmt. Wegen der Höhe der
Entschädigung ist im Streitfall der Rechtsweg bei den ordentlichen Gesetzen
offenzuhalten, soweit ein Gesetz nicht anderes bestimmt.
ARTIKEL 24
(1) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch darf dem Gemeinwohl nicht
zuwiderlaufen.
(2) Der Mißbrauch des Eigentums durch Begründung wirtschaftlicher Machtstellung zum
Schaden des Gemeinwohls hat die entschädigungslose Enteignung und Überführung in das
Eigentum des Volkes zur Folge.
(3) Die Betriebe der Kriegsverbrecher und aktiven Nationalsozialisten sind enteignet und
gehen in Volkseigentum über. Das gleiche gilt für private Unternehmungen, die sich in
den Dienst einer Kriegspolitik stellen.
(4) Alle privaten Monopolorganisationen, wie Kartelle, Syndikate, Konzerne, Trusts und
ähnliche auf Gewinnsteigerung durch Produktions-, Preis- und Absatzregelung gerichtete
private Organisationen sind aufgehoben und verboten.
(5) Der private Großgrundbesitz, der mehr als 100 Hektar umfaßt, ist aufgelöst und wird
ohne Entschädigung aufgeteilt.
(6) Nach Durchführung dieser Bodenreform wird den Bauern das Privateigentum an ihrem
Boden gewährleistet.
ARTIKEL 25
(1) Alle Bodenschätze, alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte sowie
die zu ihrer Nutzbarmachung bestimmten Betriebe des Bergbaues, der Eisen- und
Stahlerzeugung und der Energiewirtschaft sind in Volkseigentum zu überführen.
(2) Bis dahin untersteht ihre Nutzung der Aufsicht der Länder und, soweit gesamtdeutsche
Interessen in Frage kommen, der Aufsicht der Republik.
ARTIKEL 26
(1) Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird überwacht und jeder
Mißbrauch verhütet. Die Wertsteigerung des Bodens, die ohne Arbeits- und
Kapitalaufwendung für das Grundstück entsteht, ist für die Gesamtheit nutzbar zu
machen.
(2) Jedem Bürger und jder Familie ist eine gesunde und ihren Bedürfnissen entsprechende
Wohnung zu sichern. Opfer des Faschismus, Schwer-Körperbehinderte, Kriegsgeschädigte und
Umsiedler sind dabei bevorzugt zu berücksichtigen.
(3) Die Erhaltung und Förderung der Ertragssicherheit der Landwirtschaft wird auch durch
Landschaftsgestaltung und Landschaftspflege gewährleistet.
ARTIKEL 27
(1) Private wirtschaftliche Unternehmungen, die für die
Vergesellschaftung geeignet sind, können durch Gesetz nach den für die Enteignung
geltenden Bestimmungen in Gemeineigentum überführt werden.
(2) Auf Grund eines Gesetzes kann der Republik, den Ländern, den Kreisen oder Gemeinden,
durch Beteiligung an der Verwaltung oder in anderer Weise ein bestimmender Einfluß auf
Unternehmungen oder Verbände gesichert werden.
(3) Durch Gesetz können wirtschaftliche Unternehmungen und Verbände auf der Grundlage
der Selbstverwaltung zusammengeschlossen werden, um die Mitwirkung aller schaffenden
Volksteile zu sichern, Arbeiter und Unternehmer an der Verwaltung zu beteiligen und
Erzeugung, Herstellung, Verteilung, Verwendung, Preisgestaltung sowie Ein- und Ausfuhr der
Wirtschaftsgüter nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen zu regeln.
(4) Die Konsum-, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften sowie die landwirtschaftlichen
Genossenschaften und deren Vereinigungen sind unter Berücksichtigung ihrer Verfassung und
Eigenart in die Gemeinwirtschaft einzugliedern.
ARTIKEL 28
(1) Die Veräußerung und Belastung von Grundbesitz, Produktionsstätten
und Beteiligungen, die sich im Eigentum des Volkes befinden, bedürfen der Zustimmung der
für ihren Rechtsträger zuständigen Volksvertretung. Diese Zustimmung kann nur mit zwei
Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl erteilt werden.
ARTIKEL 29
(1) Das Vermögen und das Einkommen werden progressiv nach sozialen
Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der familiären Lasten besteuert.
(2) Bei der Besteuerung ist auf erarbeitetes Vermögen und Einkommen besonders Rücksicht
zu nehmen.
III. Familie und Mutterschaft
ARTIKEL 30
(1) Ehe und Familie bilden die Grundlage des Gemeinschaftslebens. Sie
stehen unter dem Schutz des Staates.
(2) Gesetze und Bestimmungen, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Familie
beeinträchtigen, sind aufgehoben.
ARTIKEL 31
(1) Die Erziehung der Kinder zu geistig und körperlich tüchtigen
Menschen im Geiste der Demokratie ist das natürliche Recht der Eltern und deren oberste
Pflicht gegenüber der Gesellschaft.
ARTIKEL 32
(1) Die Frau hat während der Mutterschaft Anspruch auf besonderen Schutz
und Fürsorge des Staates.
(2) Die Republik erläßt ein Mutterschaftsgesetz. Einrichtungen zum Schutz für Mutter
und Kind sind zu schaffen.
ARTIKEL 33
(1) Außereheliche Geburt darf weder dem Kinde noch seinen Eltern zum Nachteil
gereichen.
(2) Entgegenstehende Gesetze und Bestimmungen sind aufgehoben.
IV. Erziehung und Bildung
ARTIKEL 34
(1) Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.
(2) Der Staat nimmt an ihrer Pflegeteil und gewährt ihnen Schutz, insbesondere gegen den
Mißbrauch für Zwecke, die den Bestimmungen und dem Geist der Verfassung widersprechen.
ARTIKEL 35
(1) Jeder Bürger hat das gleiche Recht auf Bildung und auf freie Wahl
seines Berufes.
(2) Die Bildung der Jugend sowie die geistige und fachliche Weiterbildung
der Bürger werden auf allen Gebieten des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens durch
die öffentlichen Einrichtungen gesichert.
ARTIKEL 36
(1) Die Einrichtungen des öffentlichen Schulwesens und die Durchführung
des Schulunterrichtes obliegen den Ländern. Die Republik erläßt hierzu einheitliche
gesetzliche Grundbestimmungen. Die Republik kann selbst öffentliche Schuleinrichtungen
schaffen.
(2) Für die Ausbildung der Lehrer erläßt die Republik einheitliche Bestimmungen. Die
Ausbildung erfolgt an Universitäten oder an ihnen gleichgestellten Hochschulen.
ARTIKEL 37
(1) Die Schule erzieht die Jugend im Geiste der Verfassung zu
selbständig denkenden, verantwortungsbewußt handelnden Menschen, die fähig und bereit
sind, sich in das Leben der Gemeinschaft einzuordnen.
(2) Als Mittlerin der Kultur hat die Schule die Aufgabe, die Jugend im Geiste des
friedlichen und freundschaftlichen Zusammenlebens der Völker und einer echten Demokratie
zu wahrer Humanität zu erziehen.
(3) Die Eltern wirken bei der Schulerziehung ihrer Kinder durch Elternbeiräte mit.
ARTIKEL 38
(1) Allgemeine Schulpflicht besteht bis zum vollendeten 18. Lebensjahr.
Nach Beendigung der für alle Kinder obligatorischen Grundschule erfolgt die Weiterbildung
in der Berufsschule oder Fachschule, in der Oberschule und anderen öffentlichen
Bildungseinrichtungen. Der Besuch der Berufsschule ist Pflicht aller Jugendlichen bis zum
vollendeten 18. Lebensjahre, wenn sie keine andere Schule besuchen. Privatschulen als
Ersatz für öffentliche Schulen sind unzulässig.
(2) Die Berufs- und Fachschulen dienen der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung.
(3) Die Oberschule bereitet für die Hochschule vor. Der Weg zur Hochschule führt jedoch
nicht nur über die Oberschule, sondern auch über andere öffentliche Bildungsanstalten,
die zu diesem Zweck auszubauen oder zu schaffen sind.
(4) Allen Bürgern ist durch Vorstudienanstalten der Besuch der Hochschule zu
ermöglichen.
(5) Den Angehörigen aller Schichten des Volkes wird die Möglichkeit gegeben, ohne
Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit Kenntnisse in Volkshochschulen zu erwerben.
ARTIKEL 39
(1) Jedem Kind muß die Möglichkeit zur allseitigen Entfaltung seiner
körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte gegeben werden. Der Bildungsgang der
Jugend darf nicht abhängig sein von der sozialen und wirtschaftlichen Lage des
Elternhauses. Vielmehr ist Kindern, die durch soziale Verhältnisse benachteiligt sind,
besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Der Besuch der Fachschule, der Oberschule und der
Hochschule ist Begabten aus allen Schichten des Volkes zu ermöglichen.
(2) Es besteht Schulgeldfreiheit. Die Lernmittel an den Pflichtschulen sind unentgeltlich.
Der Besuch der Fachschule, Oberschule und Hochschule wird im Bedarfsfalle durch
Unterhaltsbeihilfen und andere Maßnahmen gefördert.
ARTIKEL 40
(1) Der Religionsunterricht ist Angelegenheit der
Religionsgemeinschaften. Die Ausübung des Rechtes wird gewährleistet.
V. Religion und Religionsgemeinschaften
ARTIKEL 41
(1) Jeder Bürger genießt volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die
ungestörte Religionsausübung steht unter dem Schutz der Republik.
(2) Einrichtungen von Religionsgemeinschaften, religiöse Handlungen und der
Religionsunterricht dürfen nicht für verfassungswidrige oder parteipolitische Zwecke
mißbraucht werden. Jedoch bleibt das Recht der Religionsgemeinschaften, zu den
Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen, unbestritten.
ARTIKEL 42
(1) Private oder staatsbürgerliche Rechte und Pflichten werden durch die
Religionsausübung weder bedingt noch beschränkt.
(2) Die Ausübung privater oder staatsbürgerlicher Rechte oder die Zulassung zum
öffentlichen Dienst sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.
(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die
Verwaltungsorgane haben nur insoweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer
Religionsgemeinschaft zu fragen, als davon Rechte oder Pflichten abhängen oder eine
gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an
religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden.
ARTIKEL 43
(1) Es besteht keine Staatskirche. Die Freiheit der Vereinigung zu
Religionsgemeinschaften wird gewährleistet.
(2) Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig nach
Maßgabe der für alle geltenden Gesetze.
(3) Religionsgemeinschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie
es bisher waren. Andere Religionsgemeinschaften erhalten auf ihren Antrag gleiche Rechte,
wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.
Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften zu einem
Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
(4) Die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften sind berechtigt, von ihren
Mitgliedern Steuern auf Grund der staatlichen Steuerlisten nach Maßgabe der allgemeinen
Bestimmungen zu erheben.
(5) Religionsgemeinschaften werden Vereinigungen gleichgestellt, die sich die
gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
ARTIKEL 44
(1) Das Recht der Kirche auf Erteilung von Religionsunterricht in den
Räumen der Schule ist gewährleistet. Der Religionsunterricht wird von den durch die
Kirche ausgewählten Kräften erteilt. Niemand darf gezwungen oder gehindert werden,
Religionsunterricht zu erteilen. Über die Teilnahme am Religionsunterricht bestimmen die
Erziehungsberechtigten.
ARTIKEL 45
(1) Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden
öffentlichen Leistungen an die Religionsgemeinschaften werden durch Gesetz abgelöst.
(2) Das Eigentum sowie andere Rechte der Religionsgemeinschaften und religiösen Vereine
an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten,
Stiftungen und sonstigen Vermögen wird gewährleistet.
ARTIKEL 46
(1) Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge in
Krankenhäusern, Strafanstalten oder anderen öffentlichen Anstalten besteht, sind die
Religionsgemeinschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zugelassen. Niemand darf zur
Teilnahme an solchen Handlungen gezwungen werden.
ARTIKEL 47
(1) Wer aus einer Religionsgemeinschaft öffentlichen Rechtes mit
bürgerlicher Wirkung austreten will, hat den Austritt bei Gericht zu erklären oder als
Einzelerklärung in öffentlich beglaubigter Form einzureichen.
ARTIKEL 48
(1) Die Entscheidung über die Zugehörigkeit von Kindern zu einer
Religionsgemeinschaft steht bis zu deren vollendetem vierzehnten Lebensjahr den
Erziehungsberechtigten zu. Von da ab entscheidet das Kind selbst über seine
Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft.
VI. Wirksamkeit der Grundrechte
ARTIKEL 49
(1) Soweit diese Verfassung die Beschränkung eines der vorstehenden
Grundrechte durch Gesetz zuläßt oder die nähere Ausgestaltung einem Gesetz vorbehält,
muß das Grundrecht als solches unangetastet bleiben.
C. Aufbau der Staatsgewalt
I. Volksvertretung der Republik
ARTIKEL 50
(1) Höchstes Organ der Republik ist die Volkskammer.
ARTIKEL 51
(1) Die Volkskammer besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes.
(2) Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl nach
den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes auf die Dauer von vier Jahren gewählt.
(3) Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen
unterworfen und an Aufträge nicht gebunden.
ARTIKEL 52
(1) Wahlberechtigt sind alle Bürger, die das 18. Lebensjahr vollendet haben.
(2) Wählbar ist jeder Bürger, der das 21. Lebensjahr vollendet hat.
(3) Die Volkskammer besteht aus 400 Abgeordneten. Das Nähere bestimmt ein Wahlgesetz.
ARTIKEL 53
(1) Wahlvorschläge zur Volkskammer können nur von solchen Vereinigungen
eingereicht werden, die den Voraussetzungen des Artikel 13 Abs. 2
entsprechen.
(2) Näheres wird durch ein Gesetz der Republik bestimmt.
ARTIKEL 54
(1) Die Wahl findet an einem Sonntag oder gesetzlichen Feiertag statt.
Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis werden gewährleistet.
ARTIKEL 55
(1) Die Volkskammer tritt spätestens am 30. Tage nach der Wahl zusammen,
fall sie nicht vom bisherigen Präsidium früher einberufen wird.[4]
(2) Der Präsident muß die Volkskammer einberufen, wenn die Regierung oder mindestens ein
Fünftel der Abgeordneten der Volkskammer es verlangen.
ARTIKEL 56
(1) Spätestens am 60. Tage nach Ablauf der Wahlperiode oder am 45. Tage
nach Auflösung der Volkskammer muß deren Neuwahl stattfinden.
(2) Vor Ablauf der Wahlperiode findet eine Auflösung der Volkskammer, abgesehen von dem
Fall des Artikels 95 Abs. 6, nur durch eigenen Beschluß oder
Volksentscheid statt.
(3) Die Auflösung der Volkskammer durch eigenen Beschluß bedarf der Zustimmung von mehr
als der Hälfte der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten.
ARTIKEL 57
(1) Die Volkskammer wählt bei ihrem ersten Zusammentritt das Präsidium
und gibt sich eine Geschäftsordnung.
(2) In dem Präsidium ist jede Fraktion vertreten, soweit sie mindestens 40 Mitglieder
hat.
(3) Das Präsidium besteht aus dem Präsidenten, seinen Stellvertretern und den
Beisitzern.
(4) Der Präsident führt die Geschäfte des Präsidiums und leitet die Verhandlungen der
Volkskammer. Er übt das Hausrecht in der Volkskammer aus.
ARTIKEL 58
(1) Die Beschlüsse des Präsidiums werden mit Stimmenmehrheit gefaßt.
(2) Das Präsidium ist beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte seiner Mitglieder
anwesend ist.
(3) Auf Beschluß des Präsidiums beruft der geschäftsführende Präsident die
Volkskammer ein; er beraumt den Termin für Neuwahlen an.[5]
(4) Das Präsidium führt seine Geschäfte fort bis zum Zusammentritt der neuen
Volkskammer.
ARTIKEL 59
(1) Die Volkskammer prüft das Recht der Mitgliedschaft und entscheidet über die
Gültigkeit der Wahlen.
ARTIKEL 60
(1) Die Volkskammer bestellt für die Zeit, in der sie nicht versammelt ist, und nach
Beendigung einer Wahlperiode oder nach der Auflösung der Volkskammer drei ständige
Ausschüsse zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben, und zwar:
einen Ausschuß für allgemeine Angelegenheiten,
einen Ausschuß für Wirtschafts- und Finanzfragen,
einen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten.
(2) Diese Ausschüsse die Rechte von Untersuchungsausschüssen.
ARTIKEL 61
(1) Die Volkskammer faßt ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit, soweit
nicht in dieser Verfassung etwas anderes bestimmt ist.
(2) Sie ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder anwesend ist.
ARTIKEL 62
(1) Die Verhandlungen der Volkskammer und ihrer Ausschüsse sind
öffentlich. Ein Ausschluß der Öffentlichkeit findet auf Verlangen von zwei Dritteln der
anwesenden Angeordneten statt; in den Ausschüssen ist die Mehrheit der Mitglieder
notwendig.
(2) Für wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der Volkskammer oder ihrer
Ausschüsse kann niemand zur Verantwortung gezogen werden.
ARTIKEL 63
(1) Zur Zuständigkeit der Volkskammer gehören:
die Bestimmung der Grundsätze der Regierungspolitik und ihrer Durchführung;
die Bestimmung der Grundsätze der Verwaltung und die Überwachung der gesamten Tätigkeit
des Staates;
das Recht zur Gesetzgebung, soweit nicht ein Volksentscheid stattfindet;
die Beschlußfassung über den Staatshaushalt, den Wirtschaftsplan, Anleihen und
Staatskredite der Republik und die Zustimmung zu Staatsverträgen;
der Erlaß von Amnestien;
die Wahl des Präsidenten der Republik[6] gemeinsam
mit den Länderkammern;
die Wahl der Mitglieder des Obersten Gerichtshofes der Republik und des Obersten
Staatsanwaltes der Republik sowie deren Abberufung.
ARTIKEL 64
(1) Die Volkskammer und jeder ihrer Ausschüsse könne die Anwesenheit
des Ministerpräsidenten, jedes Ministers, ihrer ständigen Vertreter und der Leiter der
Verwaltungen der Republik zum Zwecke der Erteilung von Auskünften verlangen. Die
Mitglieder der Regierung und die von ihnen bestellten Beauftragten haben zu den Sitzungen
der Volkskammer und ihrer Ausschüsse jederzeit Zutritt.
(2) Auf ihr Verlangen müssen die Regierungsvertreter während der Beratung auch
außerhalb der Tagesordnung gehört werden.
(3) Sie unterstehen der Ordnungsgewalt des Präsidenten.
ARTIKEL 65
(1) Zur Überwachung der Tätigkeit der Staatsorgane hat die Volkskammer
das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten die
Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese Ausschüsse erheben die Beweise, die
sie oder die Antragsteller für erforderlich halten. Sie könne zu diesem Zweck
Beauftragte entsenden.
(2) Die Gerichte und die Verwaltungen sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse
oder ihrer Beauftragten um Beweiserhebung Folge zu leisten und ihre Akten auf Verlangen
zur Einsichtnahme vorzulegen.
(3) Für die Beweiserhebung der Untersuchungsausschüsse finden die Vorschriften der
Strafprozeßordnung entsprechende Anwendung.
ARTIKEL 66
(1) Die Volkskammer bildet für die Dauer der Wahlperiode einen
Verfassungsausschuß, in dem alle Fraktionen entsprechend ihrer Stärke vertreten sind.
Dem Verfassungsausschuß gehören ferner drei Mitglieder des Obersten Gerichtshofes der
Republik sowie drei deutsche Staatsrechtslehrer an, die nicht Mitglieder der Volkskammer
sein dürfen.
(2) Die Mitglieder des Verfassungsausschusses werden von der Volkskammer gewählt.
(3) Der Verfassungsausschuß prüft die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen der Republik.
(4) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen der Republik können nur von
mindestens einem Drittel der Mitglieder der Volkskammer, von deren Präsidium, vom dem
Präsidenten der Republik[7], von der Regierung der
Republik, sowie von der Länderkammer geltend gemacht werden.
(5) Verfassungsstreitigkeiten zwischen der Republik und den Ländern sowie die
Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit den Gesetzen der Republik prüft der
Verfassungsausschuß unter Hinzuziehung von drei gewählten Vertretern der Länderkammer.
(6) Über das Gutachten des Verfassungsausschusses entscheidet die Volkskammer. Ihre
Entscheidung ist für jedermann verbindlich.
(7) Die Volkskammer beschließt auch über den Vollzug ihrer Entscheidung.
(8) Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Regierungs- und Verwaltungsmaßnahmen
ist Aufgabe der Volkskammer in Durchführung der ihr übertragenen Verwaltungskontrolle.
ARTIKEL 67
(1) Kein Abgeordneter der Volkskammer darf zu irgendeiner Zeit wegen
seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seiner Abgeordnetentätigkeit getanenen
Äußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung
zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für Verleumdungen im Sinne des
Strafgesetzbuches, wenn sie als solche von einem Untersuchungsausschuß der Volkskammer
festgestellt worden sind.
(2) Beschränkungen der persönlichen Freiheit, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen oder
Strafverfolgungen sind gegen Angeordnete nur mit Einwilligung der Volkskammer zulässig.
(3) Jedes Strafverfahren gegen einen Angeordneten der Volkskammer und jede Haft oder
sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit wird auf Verlangen des Hauses, dem
der Abgeordnete angehört, für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben.
(4) Die Angeordneten der Volkskammer sind berechtigt, über Personen, die ihnen in ihrer
Eigenschaft als Angeordnete Tatsachen anvertrauen oder denen sie in Ausübung ihres
Angeordnetenberufes solche Tatsachen anvertraut haben sowie über diese Tatsachen selbst
die Aussage zu verweigern. Auch wegen der Beschlagnahme von Schriftstücken stehen sie den
Personen gleich, die ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht haben.
(5) Eine Untersuchung oder Beschlagnahme darf in den Räumen der Volkskammer nur mit
Zustimmung des Präsidiums vorgenommen werden.
ARTIKEL 68
(1) Abgeordnete der Volkskammer bedürfen zur Ausübung ihrer Tätigkeit
keines Urlaubs.
(2) Bewerbern um einen Sitz in der Volkskammer ist der zur Vorbereitung der Wahl
erforderliche Urlaub zu gewähren.
(3) Gehalt und Lohn sind weiterzuzahlen.
ARTIKEL 69
(1) Die Abgeordneten der Volkskammer erhalten eine steuerfreie Aufwandsentschädigung.
(2) Ein Verzicht auf die Aufwandsentschädigung ist unzulässig.
(3) Der Anspruch auf Aufwandsentschädigung ist nicht übertragbar und nicht pfändbar.
ARTIKEL 70
(1) Die Abgeordneten haben das Recht zur freien Fahrt auf allen öffentlichen
Verkehrsmitteln.
II. Vertretung der Länder
ARTIKEL 71
(1) Zur Vertretung der deutschen Länder wird eine Länderkammer
gebildet. In der Länderkammer hat jedes Land für je 500 000 Einwohner einen
Abgeordneten. Jedes Land hat mindestens einen Abgeordneten.
ARTIKEL 72
(1) Die Abgeordneten der Länderkammer werden von den Landtagen im
Verhältnis der Stärke der Fraktionen auf die Dauer der Wahlperiode der Landtage
gewählt. Die Abgeordneten der Länderkammer sollen in der Regel Mitglieder des Landtages
sein.
(2) Die Landtage stellen den Willen des Landes zu den in der Länderkammer zu erörternden
Angelegenheiten fest. Die Bestimmungen der Länderverfassungen über die Gewissensfreiheit
der Abgeordneten bleiben hierdurch unberührt.
ARTIKEL 73
(1) Die Länderkammer wählt ihr Präsidium und gibt sich eine
Geschäftsordnung. Das Präsidium besteht aus dem Präsidenten, seinen Stellvertretern und
den Beisitzern.
ARTIKEL 74
(1) Die Länderkammer wird von dem Präsidenten einberufen, sobald dies
zur Erledigung ihrer Aufgaben erforderlich ist.
(2) Die Länderkammer wird fernerhin einberufen, wenn ein Fünftel ihrer Mitglieder es
verlangt.
ARTIKEL 75
(1) Die Sitzungen der Länderkammer sind öffentlich. Nach Maßgabe der
Geschäftsordnung kann die Öffentlichkeit für einzelne Beratungsgegenstände
ausgeschlossen werden.
ARTIKEL 76
(1) Bei der Abstimmung in der Länderkammer entscheidet die einfache
Stimmenmehrheit, soweit nicht diese Verfassung andere Bestimmungen enthält.
ARTIKEL 77
(1) Die Länderkammer kann die erforderlichen Ausschüsse nach Maßgabe der
Geschäftsordnung bilden.
ARTIKEL 78
(1) Die Länderkammer hat das Recht, Gesetzesvorlagen bei der Volkskammer
einzubringen. Sie hat ein Einspruchsrecht bei der Gesetzgebung nach Maßgabe des Artikel 84 der Verfassung.
ARTIKEL 79
(1) Die Mitglieder der Regierung der Republik und der Landesregierungen
haben das Recht und auf Verlangen der Länderkammer die Pflicht, an den Verhandlungen der
Länderkammer und ihrer Ausschüsse teilzunehmen. Sie müssen auf ihr Verlangen zu dem zur
Verhandlung stehenden Gegenstand jederzeit gehört werden.
(2) Die Volkskammer kann bei besonderem Anlaß Abgeordnete aus ihrer Mitte beauftragen,
die Meinung der Volkskammer in der Länderkammer darzulegen; das gleiche Recht steht der
Länderkammer zur Darlegung ihrer Meinung in der Volkskammer zu. Die Länderkammer kann
gegebenenfalls Mitglieder der Landesregierungen beauftragen, den Standpunkt ihrer
Regierung in der Volkskammer darzulegen.
ARTIKEL 80
(1) Die Artikel 67 ff dieser Verfassung über die
Rechte der Abgeordneten der Volkskammer gelten entsprechend für die Abgeordneten der
Länderkammer.
III. Gesetzgebung
ARTIKEL 81
(1) Die Gesetze werden von der Volkskammer oder unmittelbar vom Volke durch
Volksentscheid beschlossen.
ARTIKEL 82
(1) Die Gesetzesvorlagen werden von der Regierung, von der Länderkammer
oder aus der Mitte der Volkskammer eingebracht. Über die Gesetzentwürfe finden
mindestens zwei Lesungen statt.
ARTIKEL 83
(1) Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden.
(2) Beschlüsse der Volkskammer auf Abänderung der Verfassung kommen nur zustande, wenn
zwei Drittel der Abgeordneten anwesend sind und wenn wenigstens zwei Drittel der
anwesenden Abgeordneten zustimmen.
(3) Soll durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die
Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.
ARTIKEL 84
(1) Gegen Gesetzesbeschlüsse der Volkskammer steht der Länderkammer ein
Einspruchsrecht zu. Der Einspruch muß innerhalb von zwei Wochen nach der
Schlußabstimmung in der Volkskammer eingebracht und spätestens innerhalb zweier weiterer
Wochen mit Gründen versehen werden. Anderenfalls wird angenommen, daß die Länderkammer
von ihrem Einspruchsrecht keinen Gebrauch macht.
(2) Der Einspruch wird hinfällig, wenn die Volkskammer ihren Beschluß nach erneuter
Beratung aufrechterhält.
(3) Wurde der Einspruch der Länderkammer mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der
abstimmenden Abgeordneten beschlossen, so wird er nur dann hinfällig, wenn die
Volkskammer ihren Beschluß mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abstimmenden
Abgeordneten aufrechterhält.
(4) Richtet sich der Einspruch der Länderkammer gegen einen verfassungsändernden
Gesetzesbeschluß der Volkskammer, so bedarf die Beschlußfassung über den Einspruch in
der Länderkammer bei Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Abgeordneten einer
Mehrheit von zwei Dritteln der Abstimmenden.
(5) Der Einspruch wird hinfällig, wenn die Volkskammer ihren Beschluß mit der für
Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Mehrheit ihrer Abgeordneten aufrechterhält.
ARTIKEL 85
(1) Der Präsident der Volkskammer hat die verfassungsmäßig zustande
gekommenen Gesetze innerhalb eines Monats auszufertigen. Sie werden vom Präsidenten der
Republik[8] unverzüglich im Gesetzblatt der
Republik verkündet.
(2) Die Ausfertigung und Verkündung findet nicht statt, wenn innerhalb Monatsfrist die
Verfassungswidrigkeit des Gesetzes gemäß Artikel 66 festgestellt
worden ist.
(3) Gesetze treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, am 14. Tage nach der Verkündung
in Kraft.
ARTIKEL 86
(1) Die Ausfertigung und Verkündung eines Gesetzes ist um zwei Monate
auszusetzen, wenn es ein Drittel der Abgeordneten der Volkskammer verlangt.
(2) Das Gesetz ist nach Ablauf dieser Frist auszufertigen und zu verkünden, falls nicht
ein Volksbegehren auf Volksentscheid gegen den Erlaß des Gesetzes durchgeführt ist.
(3) Gesetze, die die Mehrheit der Mitglieder der Volkskammer für dringlich erklärt,
müssen ungeachtet dieses Verlangens ausgefertigt und verkündet werden.
ARTIKEL 87
(1) Ein Gesetz, dessen Verkündung auf Antrag von mindestens einem
Drittel der Abgeordneten der Volkskammer ausgesetzt ist, ist dem Volksentscheid zu
unterbreiten, wenn ein Zwanzigstel der Stimmberechtigten es beantragt.
(2) Ein Volksentscheid ist ferner herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten
oder wenn anerkannte Parteien oder Massenorganisationen, die glaubhaft machen, daß sie
ein Fünftel der Stimmberechtigten vertreten, es beantragen (Volksbegehren).
(3) Dem Volksbegehren ist ein Gesetzentwurf zugrunde zu legen. Er ist von der Regierung
unter Darlegung ihrer Stellungnahme der Volkskammer zu unterbreiten.
(4) Der Volksentscheid findet nur statt, wenn das begehrte Gesetz nicht in der Volkskammer
in einer Fassung angenommen wird, mit der die Antragsteller oder ihre Vertretungen
einverstanden sind.
(5) Über den Haushaltsplan, über die Abgabengesetze und die Besoldungsordnungen findet
kein Volksentscheid statt.
(6) Das dem Volksentscheid unterbreitete Gesetz ist angenommen, wenn die Mehrheit der
Abstimmenden zugestimmt hat.
(7) Das Verfahren beim Volksbegehren und Volksentscheid regelt ein besonderes Gesetz.
ARTIKEL 88
(1) Der Haushaltsplan und der Wirtschaftsplan werden durch Gesetz beschlossen.
(2) Amnestien bedürfen eines Gesetzes.
(3) Staatsverträge, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen, sind wie Gesetze
zu verkünden.
ARTIKEL 89
(1) Ordnungsgemäß verkündete Gesetze sind von den Richtern auf ihre
Verfassungsmäßigkeit nicht zu prüfen.
(2) Nach Einleitung des in Artikel 66 vorgesehenen Prüfungsverfahrens
sind bis zu dessen Erledigung anhängige gerichtliche Verfahren auszusetzen.
ARTIKEL 90
(1) Die zur Ausführung der Gesetze der Republik erforderlichen
allgemeinen Verwaltungsvorschriften werden, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen,
von der Regierung der Republik erlassen.
IV. Regierung der Republik
ARTIKEL 91
(1) Die Regierung der Republik besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern.
ARTIKEL 92
(1) Die stärkste Fraktion der Volkskammer benennt den
Ministerpräsidenten; er bildet die Regierung. Alle Fraktionen, soweit sie mindestens 40
Mitglieder haben, sind im Verhältnis zu ihrer Stärke durch Minister oder
Staatssekretäre vertreten. Staatssekretäre nehmen mit beratender Stimme an den Sitzungen
der Regierung teil.
(2) Schließt sich eine Fraktion aus, so findet die Regierungsbildung ohne sie statt.
(3) Die Minister sollen Abgeordnete der Volkskammer sein.
(4) Die Volkskammer bestätigt die Regierung und billigt das von ihr vorgelegte Programm.
ARTIKEL 93
(1) Die Mitglieder der Regierung werden bei ihrem Amtsantritt vom
Präsidenten der Republik[9] eidlich verpflichtet,
ihre Geschäfte unparteiisch zum Wohle des Volkes und getreu der Verfassung und den
Gesetzen zu führen.
ARTIKEL 94
(1) Die Regierung sowie jedes ihrer Mitglieder bedürfen zur
Geschäftsführung des Vertrauens der Volkskammer.
ARTIKEL 95
(1) Die Tätigkeit der Regierung in ihrer Gesamtheit endet mit der
Annahme eines Mißtrauensantrages durch die Volkskammer.
(2) Der Mißtrauensantrag kommt nur zur Abstimmung, wenn gleichzeitig mit ihm der neue
Ministerpräsident und die von ihm zu befolgenden Grundsätze der Politik vorgeschlagen
werden. Über den Mißtrauensantrag und diese Vorschläge wird in ein und derselben
Abstimmungshandlung entschieden.
(3) Der Beschluß auf Entziehung des Vertrauens ist nur wirksam, wenn ihm mindestens die
Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl der Abgeordneten zustimmt.
(4) Der Antrag auf Herbeiführung eines solchen Beschlusses muß von mindestens einem
Viertel der Mitglieder der Volkskammer unterzeichnet sein. Über den Antrag darf
frühestens am zweiten Tage nach seiner Verhandlung abgestimmt werden. Der Antrag muß
innerhalb einer Woche nach seiner Einbringung erledigt werden.
(5) Tritt die neue Regierung ihr Amt nicht innerhalb von 21 Tagen nach der Annahme des
Mißtrauensantrages an, so wird der Mißtrauensantrag unwirksam.
(6) Wird der neuen Regierung das Mißtrauen ausgesprochen, so gilt die Volkskammer als
aufgelöst.
(7) Bis zum Amtsantritt der neuen Regierung werden die Geschäfte von der bisherigen
Regierung weitergeführt.
ARTIKEL 96
(1) Ein Regierungsmitglied, dem durch Beschluß der Volkskammer das
Vertrauen entzogen wird, muß zurücktreten. Die Geschäfte sind bis zum Amtsantritt des
Nachfolgers fortzuführen, sofern nicht die Volkskammer etwas anderes beschließt.
(2) Die Bestimmungen des Artikels 95 Abs. 3 finden entsprechende
Anwendung.
(3) Jedes Regierungsmitglied kann jederzeit den Rücktritt erklären. Sein
Geschäftsbereich wird bis zur Bestellung des Nachfolgers von seinem Stellvertreter
wahrgenommen, es sei denn, daß die Volkskammer etwas anderes beschließt.
ARTIKEL 97
(1) Der Ministerpräsident führt den Vorsitz in der Regierung und leitet
ihre Geschäfte nach einer Geschäftsordnung, die von der Regierung zu beschließen und
der Volkskammer mitzuteilen ist.
ARTIKEL 98
(1) Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik
nach Maßgabe der von der Volkskammer aufgestellten Grundsätze. Er ist dafür der
Volkskammer verantwortlich.
(2) Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Minister den ihm anvertrauten
Geschäftszweig selbständig unter eigener Verantwortung gegenüber der Volkskammer.
ARTIKEL 99
(1) Die Minister haben der Regierung alle Gesetzentwürfe, ferner
Angelegenheiten, für welche die Verfassung oder das Gesetz es vorschreiben, sowie
Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die den Geschäftsbereich mehrerer Minister
berühren, zur Beratung und Beschlußfassung zu unterbreiten.
ARTIKEL 100
(1) Die Regierung faßt ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei
Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
V. Präsident der Republik[10]
ARTIKEL 101
(1) Der Präsident der Republik wird in gemeinsamer Sitzung von
Volkskammer und Länderkammer auf die Dauer von vier Jahren gewählt. Die gemeinsame
Sitzung wird vom Präsidenten der Volkskammer einberufen und geleitet.
(2) Wählbar ist jeder Bürger nach Vollendung des 35. Lebensjahres.
ARTIKEL 102
(1) Der Präsident der Republik leistet bei seinem Amtsantritt in
gemeinsamer Sitzung der Volkskammer und der Länderkammer folgenden Eid:
"Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, die
Verfassung und die Gesetze der Republik wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und
Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde."
ARTIKEL 103
(1) Der Präsident der Republik kann durch gemeinsamen Beschluß der
Volkskammer und Länderkammer abberufen werden. Der Beschluß bedarf einer Mehrheit von
zwei Dritteln der gesetzlichen Anzahl der Angeordneten.
ARTIKEL 104
(1) Der Präsident der Republik verkündet die Gesetze der Republik.
(2) Er verpflichtet die Regierungsmitglieder bei ihrem Amtsantritt.
ARTIKEL 105
(1) Der Präsident der Republik vertritt die Republik völkerrechtlich.
(2) Er schließt im Namen der Republik Staatsverträge mit auswärtigen Mächten ab und
unterzeichnet sie.
(3) Er beglaubigt und empfängt die Botschafter und Gesandten.
ARTIKEL 106
(1) Alle Anordnungen und Verfügungen des Präsidenten der Republik
bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Ministerpräsidenten oder den
zuständigen Minister.
ARTIKEL 107
(1) Der Präsident übt für die Republik das Begnadigungsrecht aus,
wobei er von einem Ausschuß der Volkskammer beraten wird.
ARTIKEL 108
(1) Der Präsident der Republik wird im Falle seiner Verhinderung
zunächst durch den Präsidenten der Volkskammer vertreten. Dauert die Behinderung des
Präsidenten der Republik voraussichtlich längere Zeit, so ist die Vertretung durch
Gesetz zu regeln.
(2) Das gleiche gilt für den Fall einer vorzeitigen Erledigung der Präsidentenschaft bis
zur Neuwahl des Präsidenten.
VI. Republik und Länder
ARTIKEL 109
(1) Jedes Land muß eine Verfassung haben, die mit den Grundsätzen der
Verfassung der Republik übereinstimmt. Der Landtag ist die höchste und alleinige
Volksvertretung des Landes.
(2) Die Volksvertretung muß in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von
allen wahlberechtigten Bürgern nach den im Wahlgesetz für die Republik niedergelegten
Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gewählt werden.
ARTIKEL 110
(1) Die Änderung des Gebiets des Landes und die Neubildung von Ländern
innerhalb der Republik erfolgt durch verfassungsänderndes Gesetz der Republik.
(2) Stimmen die unmittelbar beteiligten Länder zu, so bedarf es nur eines einfachen
Gesetzes.
(3) Ein einfaches Gesetz genügt ferner, wenn eines der beteiligten Länder nicht
zustimmt, die Gebietsänderung oder die Neubildung aber durch Abstimmung der Bevölkerung
der betreffenden Gebiete gefordert wird.
ARTIKEL 111
(1) Die Republik kann auf allen Sachgebieten einheitliche Gesetze
erlassen. Sie soll sich jedoch bei ihrer Gesetzgebung auf die Aufstellung von Grundsätzen
beschränken, soweit hierdurch dem Bedürfnis einheitlicher Regierung Genüge geschieht.
(2) Soweit die Republik von ihrem Recht zur Gesetzgebung keinen Gebrauch macht, haben die
Länder das Recht der Gesetzgebung.
ARTIKEL 112
(1) Die Republik hat das Recht der ausschließlichen
Gesetzgebung über: |
|
die auswärtigen Beziehungen;
den Außenhandel;
das Zollwesen,
sowie die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes und die Freizügigkeit des Warenverkehrs;
die Staatsangehörigkeit, die Freizügigkeit, die Ein- und Auswanderung, die Auslieferung
und das Paß- und Fremdenrecht;
das Personenstandsrecht;
das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung und das Gerichtsverfahren;
das Arbeitsrecht;
den Verkehr;
das Post-, Fernmelde- und Rundfunkwesen;
das Film- und Pressewesen;
das Währungs- und Münzwesen, Maß-, Gewichts- und Eichwesen;
die Sozialversicherung;
die Kriegsschäden- und Besatzungskosten und die Wiedergutmachungsleistungen.[11] |
ARTIKEL 113
(1) Bei der Gesetzgebung auf dem Gebiete des Finanz- und Steuerwesens
muß die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Länder, der Kreise und Gemeinden
gewährleistet sein.
ARTIKEL 114
(1) Gesamtdeutsches Recht geht dem Recht der Länder vor.
ARTIKEL 115
(1) Die Gesetze der Länder werden grundsätzlich durch die Organe der
Länder ausgeführt, soweit nicht in dieser Verfassung oder in den Gesetzen etwas anderes
bestimmt ist. Soweit ein Bedürfnis dazu besteht, errichtet die Republik durch Gesetz
eigene Verwaltungen.
ARTIKEL 116
(1) Die Regierung der Republik übt die Aufsicht in den Angelegenheiten
aus, in denen der Republik das Recht der Gesetzgebung zusteht.
(2) Soweit die Gesetze der Republik nicht von den Verwaltungen der Republik ausgeführt
werden, kann die Regierung der Republik allgemeine Anweisungen erlassen. Sie ist
ermächtigt, zur Überwachung der Ausführung dieser Gesetze und Anweisungen Beauftragte
zu den ausführenden Verwaltungen zu entsenden. Für die Rechte dieser Beauftragten gilt
der Artikel 65 entsprechend.
(3) Die Landesregierungen sind verpflichtet, auf Ersuchen der Republik Mängel, die bei
der Ausführung der Gesetze der Republik hervorgetreten sind, zu beseitigen.
(4) Hieraus entstehende Streitigkeiten werden in dem unter Artikel 66
Abs. 5 vorgeschriebenen Verfahren geprüft und entschieden.
VII. Verwaltung der Republik
ARTIKEL 117
(1) Die Pflege der auswärtigen Beziehungen ist ausschließliche Sache
der Republik.
(2) In Angelegenheiten, deren Regelung der Landesgesetzgebung zusteht, können die Länder
mit auswärtigen Staaten Verträge schließen; die Verträge bedürfen der Zustimmung der
Volkskammer.
(3) Vereinbarungen mit fremden Staaten über Veränderungen der Grenzen der Republik
werden nach Zustimmung der beteiligten Länder durch die Republik abgeschlossen. Die
Grenzveränderungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes der Republik erfolgen, soweit es
sich nicht um bloße Berichtigung der Grenzen unbewohnter Gebietsteile handelt.
ARTIKEL 118
(1) Deutschland bildet ein einheitliches Zoll- und Handelsgebiet,
umgeben von einer gemeinschaftlichen Zollgrenze.
(2) Fremde Staaten oder Gebietsteile können durch Staatsverträge oder Übereinkommen dem
deutschen Zollgebiet angeschlossen werden. Aus dem deutschen Zollgebiet können durch
Gesetz Teile ausgeschlossen werden.
(3) Alle Waren, die sich im freien Verkehr im deutschen Zollgebiet befinden, dürfen
innerhalb des Zollgebietes über die Grenzen der Länder und Gemeinden sowie der gemäß
Absatz 2 angeschlossenen fremden Staatsgebiete oder Gebietsteile frei ein- und
durchgeführt werden.
ARTIKEL 119
(1) Die Zölle und die durch Gesetz der Republik geregelten Steuern
werden durch die Republik verwaltet.
(2) Die Abgabenhoheit steht grundsätzlich der Republik zu.
(3) Die Republik soll Abgaben nur insoweit erheben, als es zur Deckung ihres eigenen
Bedarfs erforderlich ist.
(4) Die Republik errichtet eine eigene Abgabenverwaltung. Dabei sind Einrichtungen
vorzusehen, die den Ländern die Wahrung besonderer Landesinteressen auf den Gebieten der
Landwirtschaft, des Handels, des Gewerbes und der Industrie ermöglichen.
(5) Soweit es die einheitliche und gleichmäßige Durchführung der Abgabengesetze der
Republik erfordert, trifft die Republik durch Gesetz Vorschriften über die Einrichtung
und Befugnisse der mit der Beaufsichtigung der Ausführung der Abgabengesetze der Republik
betrauten Behörden, über die Abrechnung mit den Ländern und die Vergütung der
Verwaltungskosten bei Ausführung der Abgabengesetze der Republik.
ARTIKEL 120
(1) Abgaben und Steuern dürfen nur auf Grund gesetzlicher Regelung
erhoben werden.
(2) Vermögens-, Einkommen- und Verbrauchssteuern sind in einem angemessenen Verhältnis
zueinander zu halten und nach sozialen Gesichtpunkten zu staffeln.
(3) Durch eine starke Staffelung der Erbschaftssteuer soll die Bildung volksschädlicher
Vermögenshäufung verhindert werden.
ARTIKEL 121
(1) Die Einnahmen und Ausgaben der Republik müssen für jedes
Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingestellt werden. Der Haushaltsplan
wird vor Beginn des Rechnungsjahres durch ein Gesetz festgestellt.
ARTIKEL 122
(1) Über die Einnahmen der Republik und ihre Verwendung legt der
Finanzminister der Volkskammer zur Entlastung der Regierung Rechnung ab. Die
Rechnungsprüfung wird durch Gesetz der Republik geregelt.
ARTIKEL 123
(1) Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem
Bedarf beschafft werden. Eine solche Beschaffung sowie die Übernahme einer
Sicherheitsleistung zu Lasten der Republik dürfen nur auf Grund eines Gesetzes der
Republik erfolgen.
ARTIKEL 124
(1) Das Post-, Fernmelde- und Rundfunkwesen sowie das Eisenbahnwesen
werden von der Republik verwaltet.
(2) Die bisherigen Reichsautobahnen und Reichsstraßen sowie alle dem Verkehr dienenden
Straßen stehen in der Verwaltung der Republik. Entsprechendes gilt für die
Wasserstraßen.
ARTIKEL 125
(1) Die Ordnung der Handelsschiffahrt und die Regelung des Seeverkehrs
und der Seezeichen sind Aufgabe der Verwaltung der Republik.
VIII. Rechtspflege
ARTIKEL 126
(1) Die ordentliche Gerichtsbarkeit wird durch den Obersten Gerichtshof
der Republik und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.
ARTIKEL 127
(1) Die Richter sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur der
Verfassung und dem Gesetz unterworfen.
ARTIKEL 128
(1) Richter kann nur sein, wer nach seiner Persönlichkeit und Tätigkeit
die Gewähr dafür bietet, daß er sein Amt gemäß den Grundsätzen der Verfassung
ausübt.
ARTIKEL 129
(1) Die Republik trägt durch den Ausbau der juristischen
Bildungsstätten dafür Sorge, daß Angehörige aller Schichten des Volkes die
Möglichkeit haben, die Befähigung zur Ausübung des Berufes als Richter, Rechtsanwalt
und Staatsanwalt zu erlangen.
ARTIKEL 130
(1) An der Rechtsprechung sind Laienrichter im weitesten Umfang zu
beteiligen.
(2) Die Laienrichter werden auf Vorschlag der demokratischen Parteien und Organisationen
durch die zuständigen Volksvertretungen gewählt.
ARTIKEL 131
(1) Die Richter des Obersten Gerichtshofes und der Oberste Staatsanwalt
derRepublik werden auf Vorschlag der Regierung der Republik durch die Volkskammer
gewählt.
(2) Die Richter der Obersten Gerichte und die Obersten Staatsanwälte der Länder werden
auf Vorschlag der Landesregierungen von den Landtagen gewählt.
(3) Die übrigen Richter werden von den Landesregierungen ernannt.
ARTIKEL 132
(1) Die Richter des Obersten Gerichtshofes und der Oberste Staatsanwalt
der Republik können von der Volkskammer abberufen werden, wenn sie gegen die Verfassung
und die Gesetze verstoßen oder ihre Pflichten als Richter oder als Staatsanwalt gröblich
verletzen.
(2) Die Abberufung erfolgt nach Einholung des Gutachtens eines bei der Volkskammer zu
bildenden Justizausschusses.
(3) Der Justizausschuß besteht aus dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses der
Volkskammer, aus drei Mitgliedern der Volkskammer, zwei Mitgliedern des Obersten
Gerichtshofes und einem Mitglied der Obersten Staatsanwaltschaft. Den Vorsitz führt der
Vorsitzende des Rechtsausschusses. Die übrigen Ausschußmitglieder werden von der
Volkskammer für die Dauer der Wahlperiode gewählt. Die dem Justizausschuß angehörenden
Mitglieder des Obersten Gerichtshofes und der Obersten Staatsanwaltschaft dürfen nicht
Mitglieder der Volkskammer sein.
(4) Die durch die Landtage gewählten und durch die Landesregierungen ernannten Richter
können von den betreffenden Landtagen abberufen werden. Die Abberufung erfolgt nach
Einholung eines Gutachtens des bei dem betreffenden Landtag zu bildenden
Justizausschusses. Der Justizausschuß besteht aus dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses
des Landtages, aus drei Mitgliedern des Landtages, zwei Mitgliedern des Obersten Gerichts
und einem Mitglied der Obersten Staatsanwaltschaft des Landes. Den Vorsitz führt der
Vorsitzende des Rechtsausschusses. Die übrigen Ausschußmitglieder werden von dem
betreffenden Landtag für die Dauer der Wahlperiode gewählt. Die dem Justizausschuß
angehörenden Mitglieder des Obersten Gerichts und der Obersten Staatsanwaltschaft dürfen
nicht Mitglieder des Landtages sein.
(5) Die von den Landesregierungen ernannten Richter können unter den gleichen
Voraussetzungen von den Landesregierungen abberufen werden, jedoch nur mit Genehmigung des
Justizausschusses des betreffenden Landtages.
ARTIKEL 133
(1) Die Verhandlungen vor den Gerichten sind öffentlich.
(2) Bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Sittlichkeit kann
die Öffentlichkeit durch Gerichtsbeschluß ausgeschlossen werden.
ARTIKEL 134
Kein Bürger darf seinen gesetzlichen Richtern entzogen werden.
Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Gerichte für besondere Sachgebiete können vom
Gesetzgeber nur errichtet werden, wenn sie für im voraus und allgemein bezeichnete
Personengruppen oder Streitgegenstände zuständig sein sollen.
ARTIKEL 135
(1) Strafen dürfen nur verhängt werden, wenn sie zur Zeit der Tat
gesetzlich angedroht sind.
(2) Kein Strafgesetz hat rückwirkende Kraft.
(3) Ausgenommen sind Maßnahmen und die Anwendung von Bestimmungen, die zur Überwindung
des Nazismus, des Faschismus und des Militarismus getroffen werden oder die zur Ahndung
von Verbrechen gegen die Menschlichkeit notwendig sind.
ARTIKEL 136
(1) Bei vorläufigen Festnahmen, Hausdurchsuchungen sowie Beschlagnahmen
im Ermittlungsverfahren ist die richterliche Bestätigung unverzüglich einzuholen.
(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu
entschieden. Verhaftete sind spätestens am Tage nach dem Ergreifen dem Richter
vorzuführen. Wird von ihm die Untersuchungshaft angeordnet, so hat er in regelmäßigen
Abständen zu prüfen, ob ihre Fortdauer gerechtfertigt ist.
(3) Der Grund der Verhaftung ist dem Festgenommenen bei der ersten richterlichen
Vernehmung zu eröffnen und auf seinen Wunsch einer von ihm benannten Person innerhalb
weiterer 24 Stunden mitzuteilen.
ARTIKEL 137
(1) Der Strafvollzug beruht auf dem Gedanken der Erziehung der
Besserungsfähigen durch gemeinsame produktive Arbeit.
ARTIKEL 138
(1) Dem Schutz der Bürger gegen rechtswidrige Maßnahmen der Verwaltung
dienen die Kontrolle durch die Volksvertretungen und die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
(2) Aufbau und Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte werden durch Gesetz geregelt.
(3) Für die Mitglieder der Verwaltungsgerichte gelten die Grundsätze über die Wahl und
Abberufung der Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit entsprechend.
IX. Selbstverwaltung
ARTIKEL 139
(1) Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht der Selbstverwaltung
innerhalb der Gesetze der Republik und der Länder.
(2) Zu den Selbstverwaltungsaufgaben gehören die Entscheidung und Durchführung aller
öffentlichen Angelegenheiten, die das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der
Gemeinde oder des Gemeindeverbandes betreffen. Jede Aufgabe ist vom untersten dazu
geeigneten Verband zu erfüllen.
ARTIKEL 140
(1) Die Gemeinden und Gemeindeverbände haben Vertretungen, die nach
demokratischen Grundsätzen gebildet werden.
(2) Zu ihrer Unterstützung werden Ausschüsse gebildet, in denen Vertreter der
demokratischen Parteien und Organisationen verantwortlich mitarbeiten.
(3) Wahlrecht und Wahlverfahren richten sich nach den für die Wahl zur Volkskammer und
den Landtagen geltenden Bestimmungen.
(4) Jedoch kann durch Landesgesetz die Wahlberechtigung von der Dauer des Aufenthalts in
der Gemeinde bis zu einem halben Jahr abhängig gemacht werden.
ARTIKEL 141
(1) Die gewählten ausführenden Organe der Gemeinden und der
Gemeindeverbände bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens der
Vertretungskörperschaften.
ARTIKEL 142
(1) Die Aufsicht über die Selbstverwaltung der Gemeinden und
Gemeindeverbände beschränkt sich auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die
Wahrung demokratischer Verwaltungsgrundsätze.
ARTIKEL 143
(1) Den Gemeinden und Gemeindeverbänden können von der Republik und den
Ländern Aufgaben und die Durchführung von Gesetzen übertragen werden.
X. Übergangs- und Schlußbestimmungen
ARTIKEL 144
(1) Alle Bestimmungen dieser Verfassung sind unmittelbar geltendes Recht.
Entgegenstehende Bestimmungen sind aufgehoben. Die an ihre Stelle tretenden, zur
Durchführung der Verfassung erforderlichen Bestimmungen werden gleichzeitig mit der
Verfassung in Kraft gesetzt. Weitergeltende Gesetze sind im Sinne dieser Verfassung
auszulegen.
(2) Die verfassungsmäßigen Freiheiten und Rechte können nicht den Bestimmungen
entgegengehalten werden, die ergangen sind und noch ergehen werden, um den
Nationalsozialismus und Militarismus zu überwinden und das von ihnen verschuldete Unrecht
wiedergutzumachen.
Die vorstehende, vom Deutschen Volksrat unter Beteiligung des gesamten
Deutschen Volkes erarbeitete und am 19. März 1949 beschlossene, vom Dritten Deutschen
Volkskongreß am 30. Mai 1949 bestätigte und durch Gesetz
der Provisorischen Volkskammer vom 7. Oktober 1949 in Kraft gesetzte Verfassung der
Deutschen Demokratischen Republik wird hiermit verkündet.
Berlin, den 7. Oktober 1949
Der Präsident der Provisorischen Volkskammer
der Deutschen Demokratischen Republik
Dieckmann
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