Rede des Außenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion Gert Weisskirchen zum Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA und zum Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes

vom 16. November 2001


Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):
Wie alle Mitglieder dieses Hauses habe auch ich mein Gewissen und mein Wissen geprüft. Ich komme zu dem Schluss, dass ich nach äußerst harter Prüfung dem zustimmen kann, was uns der Bundeskanzler fragt und was die Bundesregierung von uns erwartet. Dazu sage ich ganz deutlich Ja.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nein!)

Lieber Herr Ministerpräsident, Sie haben die Frage aufgeworfen, ob wir denn die Risiken geprüft hätten. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben in stundenlangen Debatten in der Fraktion, in den Arbeitsgruppen der Fraktion und in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages jedes einzelne Detail geprüft. Ich kann Ihnen versichern: Ihre Frage geht ins Leere. Wir haben alle Risiken über dacht. Wir sagen zu diesem Mandat deutlich Ja.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage Ihnen auch, warum wir diesem Mandat zustimmen. Dies ist vom Weltsicherheitsrat formuliert worden. Ich werde Ihnen sagen, was er beschlossen hat. Er fordert alle Staaten auf, "insbesondere im Rahmen bilateraler und multilateraler Vereinbarungen zusammenzuarbeiten, um Terroranschläge zu verhüten und zu bekämpfen und Maßnahmen gegen die Täter zu ergreifen". Das ist die völkerrechtliche Grundlage unseres Handelns. Innerhalb der internationalen Allianz gegen den Terrorismus wird die Bundesrepublik Deutschland die Rolle spielen, die ihr angemessen ist, die eingegrenzt und behutsam ist. Des wegen werden wir diesem Mandat, das uns die Bundesregierung vorschlägt, zustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit dem Luftkrieg der USA hat der Zerfall der Herrschaft der Taliban begonnen. Fast schon schien es so, als wenn die Bilder der Bomben werfenden Flugzeuge verdrängt hätten, warum sie eingesetzt werden. Diese Bomben ebneten der Nordallianz den Weg in die großen Städte. Jetzt atmen viele Menschen auf: Frauenfeindliche Torturen können beseitigt werden, Musik darf wie der gehört werden, Jugendliche hoffen auf eine bessere Zukunft. Ich weiß, dass es schwierig ist, daran zu denken und zuzustimmen, dass das Militär da bei eine begrenzte Rolle spielen kann.

Was uns betrifft, so hat das Bundesverfassungsgericht für die Bundesrepublik Deutschland noch einmal klar gemacht, dass die Bundeswehr in einem solchen Kampf eine Rolle spielen darf, aber nur als "Heer des Parlaments". Genau das und nichts anderes geschieht jetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundeswehr wird eingesetzt, um in Afghanistan endlich Frieden durchzusetzen. Dieses Land hat 22 Jahre schrecklicher Zeit hinter sich. Millionen von Menschen wurden gedemütigt, Gewalt und Tod haben triumphiert, ethnische und religiöse Säuberungen haben sich nacheinander abgelöst. Millionen Menschen, ein Viertel der Bevölkerung, mussten fliehen, die Angst trieb sie außer Landes, Tausende wurden exekutiert. Schrecken und Willkür, Bürgerkrieg und Fremdherrschaft schienen kein Ende zu nehmen. Ich hoffe sehr, dass Schluss damit sein wird, dass wir die Augen davor verschließen, was in diesem Lande geschieht.

Jetzt gibt es eine neue Chance. Der Sicherheitsrat hat gerade eine entsprechende Resolution beschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland ist die "lead nation" der Freunde von Afghanistan für Afghanistan; sie hat den Vorsitz. Heute findet das erste internationale Treffen, angeregt von Kofi Annan, statt. Ich hoffe sehr, dass dieses geschundene Land nun endlich in unser gemeinsames Blickfeld rückt und wir alles dafür tun, dass die Chance genutzt wird, dort eine zivile Gesellschaft durchzusetzen. Dafür brauchen wir die Unterstützung der Vereinten Nationen. Wir werden daher nach dem militärischen Einsatz unsere Kräfte zusammenführen, damit diesem Land eine neue Perspektive gegeben werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gestern haben unsere Kollegen im Haushaltsausschuss eine neue Antwort darauf gegeben, indem sie gesagt haben, dass die Entwicklungspolitik gestärkt werden muss. Ich freue mich darüber, dass zusätzliche 560 Millionen DM dafür eingesetzt werden, dass im Rahmen des nächsten Bundeshaushaltes mehr getan werden kann, um die Armut in der Welt zu bekämpfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Gemeinsam mit der EU verlangen wir von der Nordallianz, die Menschenrechte zu achten und den Übergang zu einer breit angelegten Regierung sicherzustellen. Ein Ja zum Mandat stärkt unser Gewicht und das Gewicht der Europäischen Union.

Die historischen Erfahrungen Deutschlands haben uns gelehrt, Grundsatzentscheidungen zugunsten multilateraler Politik zu treffen. In Europa wissen wir: Wir alle hängen voneinander ab. Wer ein guter Nachbar ist, ermutigt den Nachbarn, selbst ein guter Nachbar zu sein. - Die historischen Erfahrungen der Vereinigten Staaten allerdings waren bis zum 11. September andere. Aber die USA wissen jetzt, dass auch sie verwundbar sind. Die internationale Koalition gegen den Terrorismus von al-Qaida ist Ausdruck eines Multilateralismus der Notwendigkeit. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, diese multilaterale Wende in den USA so zu bestärken, dass wir künftig gemeinsam mit den USA andere, bessere Wege gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte noch etwas ansprechen, das für mich wirklich zu der größten Herausforderung unserer künftigen Arbeit gehört: Was steckt eigentlich hinter diesem Furor der fanatischen Eliten aus den Ländern, die sich dem Islamismus verschrieben haben? Wogegen richtet sich ihr Hass? Richtet sich der Hass gegen die Entwürfe eines selbstbestimmten Lebens, gegen die aktive Toleranz? Dazu hat der Schriftleiter der Zeitschrift "Dédale", Abdelwahab Meddeb, geschrieben: Wer zur reinen Lehre des Islam zurückkehren will, der kehrt sich einer anderen Welt zu, der versucht, die "islamische Krankheit" - so hat er es beschrieben - zu begründen im Gegensatz zu dem, was im Westen als Zerrbild davon entworfen wird. Er schreibt, dass für ihn der islamistische Fundamentalismus eine Gefahr für den Islam selbst ist.

Deswegen müssen wir noch einmal neu die Frage aufnehmen, die Huntington gestellt hat: Enden wir doch im "Kampf der Kulturen"? Nein! Es gibt Wege in der Gefahr und vielleicht öffnen sie uns dereinst den Ausweg.


Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Weisskirchen, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Sie haben Ihre Redezeit überschritten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Eine wesentliche Leistung der Bundesregierung, insbesondere von Joschka Fischer und Gerhard Schröder, ist es gewesen, die Außenpolitik berechenbar zu machen.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU und der FDP)

Deswegen bedeutet unser Ja auch ein deutliches Ja dafür, dass die deutsche Außenpolitik berechenbar bleibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 202. Sitzung vom 16.11.2001 (Plenarprotokoll 14/202).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Außenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion Gert Weisskirchen zum Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA und zum Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (16.11.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_weisskirchen_1116.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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