Rede des außenpolitischen Sprechers der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Luger Volmer (Bündnis 90/Die Grünen) zur deutschen Außenpolitik und zum Irak-Krieg im Rahmen der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages

vom 20. März 2003


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ludger Volmer.


Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schäuble hat seine Rede in dieser Debatte mit leisen Tönen und dem scheinbar nachdenklichen Satz begonnen, wir müssten nun zu Kriegsbeginn über Gemeinsamkeiten und über Fehler nachdenken. Während er scheinbar von Versöhnung und konstruktiver Zusammenarbeit redet, lässt er gleichzeitig über dpa die Meldung verteilen, die Regierung habe die Grundlage gemeinsamer Außenpolitik aufgegeben.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guck an! - Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

Was ist das nun, die Suche nach konstruktiven gemeinsamen Lösungen oder eine Kampfansage?

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was haben Sie denn im Frühstücksfernsehen erzählt?)

Herr Schäuble, Sie können hier noch so leise und zurückhaltend reden, aber Sie haben heute im Prinzip nicht viel anderes gesagt als Ihre Fraktionschefin gestern, die Sie heute offensichtlich aus dem Verkehr gezogen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: So etwas Dummes! - Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt wissen wir, warum Sie nicht mehr in der Regierung sind!)

Herr Schäuble, Sie haben gesagt, der Krieg sei eingetreten, weil es im Weltsicherheitsrat an Einigkeit gemangelt habe. Danach haben Sie den Maßstab für Einigkeit festgelegt. Sie haben gesagt, es fehlte an maximalem Druck. Das heißt, Sie wollen, dass Einigkeit auf der Basis maximalen Drucks, also auf der Basis der US-Politik hergestellt wird. Aber das ist doch keine Definition konstruktiver und partnerschaftlicher Haltung im Sicherheitsrat! Das ist der Versuch, die deutsche Politik im Sinne der CDU-Politik - die das Ultimatum befürwortet hat -, also auf der Seite der Kriegsbefürworter zu definieren. Das machen wir nicht mit, auch wenn Sie das hier noch so nachdenklich formulieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Um es deutlich zu sagen: Ich halte niemanden von der Union für einen Kriegshetzer. Ich halte solche Begriffe für völlig unangebracht. Sie aber haben einen ganz fundamentalen Irrtum begangen: Die UN-Resolution 1441 hat zwei eigentlich unvereinbare Positionen miteinander in Einklang gebracht, nämlich die Position der USA, die schon vor einem Jahr planten, einen Krieg zu führen, weil sie Saddam Hussein für schuldig am internationalen Terrorismus hielten - der Nachweis dafür wurde übrigens nie angetreten -, und die Position der Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft - unter anderem Frankreich und Deutschland -, die gegen einen Krieg war. Beide Positionen wurden in der Resolution 1441 zusammengefasst.

Es wurde eine Agenda entwickelt, wie über die UNO-Inspektoren im Irak ein Abrüstungsprozess in Gang gesetzt werden kann. Die Agenda zur Resolution 1441 bezog sich also auf die Abrüstung durch UNO-Inspektoren und sie war mit einer Drohung als Ultima Ratio bewehrt.

Aber warum genau ist diese Agenda nun gescheitert, obwohl - wie der Außenminister zuvor eindrucksvoll dargestellt hat - Blix und al-Baradei hervorragende Arbeit geleistet haben, obwohl diese Mission erfolgs- und hoffnungsträchtig war? - Sie ist gescheitert, weil die Macht, die zurzeit die stärkste auf dem Globus ist, eine andere Agenda verfolgt hat. Das ist der eigentliche Grund für ihr Scheitern. Die USA haben sich auf die Agenda Abrüstung durch Inspektoren von Anfang an nicht ernsthaft eingelassen, weil sie die Agenda "regime change" im Sinn hatten. Das führte zum Scheitern der Mission.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Diese Agenda "regime change", die nicht durch die Resolution 1441 gedeckt ist, haben Sie faktisch mit unterstützt, indem Ihre Sprecher zum Beispiel im Auswärtigen Ausschuss, aber auch bei allen möglichen öffentlichen Stellungnahmen immer wieder gesagt haben, die Mission der UNO-Inspektoren sei letztlich negativ zu bewerten. Sie haben die Erfolge, die dort zu verzeichnen waren, klein- und weggeredet. Sie haben sich immer auf die militärische Option konzentriert, die darin enthalten ist. So haben Sie dazu beigetragen, die Perspektive auf eine militärische Lösung zu verengen, die eigentlich einer ganz anderen Agenda diente, und sich von der Möglichkeit einer friedlichen Lösung dieses Konflikts zu entfernen. Sie waren Helfershelfer einer Agenda, die nicht durch die Resolution 1441 abgedeckt ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich finde es im Prinzip richtig, vorwärts gerichtet im Sinne der Schadensbegrenzung zu diskutieren. Die Bundesregierung macht das jetzt auf dem Wege der humanitären Hilfe. Es muss auch über eine Stärkung Europas nachgedacht werden. Herr Schäuble, auch da haben Sie wieder Dinge insinuiert, die so nicht stehen gelassen werden können. Sicherlich arbeitet die Bundesregierung an der Stärkung Europas, aber nicht, um einen Kern zu bekommen, der andere spaltet. Sie arbeitet auch nicht an einem gegen Amerika gerichteten Europa, wie Sie uns mit Ihrer sanften Stimme einzureiben versuchen.

Die GASP, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, ist nicht gegen Amerika gerichtet. Sie steht Amerika vielmehr in einer Weise gegenüber, wie sich zwei Widerlager gegenüberstehen. Bei der transatlantischen Brücke, die wir bauen wollen, gibt es auf der einen Seite das Widerlager USA - das ist schon heute gut konstruiert - und auf der anderen Seite das Widerlager Europa, das noch eine etwas bessere Konstruktion und ein etwas besseres Fundament braucht. Daran arbeiten wir. Wir arbeiten am Widerlager Europa, um die transatlantische Brücke fertig zu stellen.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: O Mann! - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: An dieser Stelle war Beifall vorgesehen!)

Ich komme nun auf das Verhältnis der Vereinigten Staaten zur UNO zu sprechen. Wir wollen - das hat der Außenminister gerade deutlich gemacht - in einer multipolaren Welt leben, in einer Welt der regionalen Integration, in der die verschiedenen Regionen und Staaten in einem multilateralen System zusammenarbeiten. Basis hierfür ist die Anerkennung der UNO, die Wahrung des Völkerrechts und die gegenseitige Achtung.

Eine solche Vision der Weltinnenpolitik kann allerdings nur dann Wirklichkeit werden, wenn die Vereinigten Staaten mitmachen. Wenn wir für eine Stärkung der UNO eintreten, dann ist das nicht gegen die Vereinigten Staaten gerichtet; denn wir wissen, dass es eine multilaterale Politik und eine Integration auf Basis der UNO nur geben kann, wenn die Vereinigten Staaten konstruktiv mitarbeiten.

Eine starke UNO, die sich daran beteiligt, die Probleme in dieser Welt zu lösen, ist meiner Meinung nach aber auch im Sinn der USA. Denn nach dem Ende des Kalten Krieges steht die Neuordnung der Welt auf der Tagesordnung. Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir Multilateralismus oder wollen wir diese Aufgabe einer Supermacht und ihren Getreuen überlassen? Wenn man sich in Gedanken einmal auf den zweiten Standpunkt stellt, erkennt man unweigerlich die Grenzen dieses Ansatzes: Keine noch so starke Supermacht wird es schaffen, in der Zukunft alle Probleme auf diesem Globus zu lösen. Dafür brauchen wir die multilaterale Gemeinschaft. Und weil wir diese brauchen, müssen wir sie und ihre Mitgliedstaaten ernst nehmen, dürfen deren Loyalität nicht überstrapazieren und müssen den Dialog zwischen den Kulturen und die Völkerverständigung pflegen. Das ist die Vision grüner Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 35. Sitzung vom 20.03.2003.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des außenpolitischen Sprechers der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Luger Volmer (Bündnis 90/Die Grünen) zur deutschen Außenpolitik und zum Irak-Krieg im Rahmen der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages (20.03.2003), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2003/rede_volmer_irakkrieg.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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