Rede der stellvertretenden Vorsitzenden der PDS-Fraktion Petra Pau zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz)

vom 14. Dezember 2001


Petra Pau (PDS):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit den Terroranschlägen vom 11. September sind drei Monate vergangen, eine Zeit, die neues Nachdenken über die öffentliche Sicherheit hierzulande und auch in unserer Fraktion auslöste. Wir haben dies sehr intensiv getan. Wir kennen die Sorgen, die Ängste und die Verunsicherung, die es in der Bevölkerung gibt. Wir teilen sie im Wortsinne. Unstrittig ist auch: Es gibt bei der Gefahrenvorbeugung, bei der Gefahrenabwehr und im Katastrophenschutz - um nur drei Felder zu nennen - viel zu tun. So weit, glaube ich, herrscht in diesem Hause über alle Fraktionsgrenzen hinweg Konsens.

Nun reden wir aber heute abschließend über ein ganzes Maßnahmenpaket, das häufig als Otto-Katalog II bezeichnet wird. Das schmeichelt sicherlich dem Herrn Innenminister und es klingt, als wäre es ein bestelltes vorweihnachtliches Geschenk. In Wahrheit aber geht es bei diesem Gesetzeswerk um den größten Eingriff in die Verfasstheit der Bundesrepublik, den es im Namen der inneren Sicherheit jemals gegeben hat. Daran gemessen ist das parlamentarische Schnellschussverfahren schlicht unangemessen - um nicht zu sagen: verantwortungslos -, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün.

(Beifall bei der PDS und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ist das erste Mal, dass ich bei der PDS Beifall klatsche!)

Nun argumentierte der Innenminister vorgestern, es gebe UNO-Beschlüsse und die UNO dränge, sehr schnell etwas Vernünftiges auf den Tisch zu legen. Das stimmt. Nur liegt heute leider nichts Vernünftiges zur Beratung und Abstimmung auf dem Tisch. Die Fachleute warnen nicht erst seit gestern. Ich möchte an Folgendes erinnern: Vor 14 Tagen gab es eine Anhörung zum so genannten Antiterrorpaket. Der Innenausschuss hatte Fachleute geladen. Der Innenminister war leider nicht anwesend. Das ist heute allerdings nebensächlich. Hauptsächlich war, dass in der Anhörung eine klare Mehrheit der Sachverständigen das vorliegende Gesetzespaket skeptisch bis ablehnend beurteilte, vor allem weil es rechtsstaatlich bedenklich ist und mit der Terrorismusbekämpfung nur ganz wenig zu tun hat.

(Beifall bei der PDS)

Daran ändern die von Ihnen vorgenommenen Änderungen fast nichts. Deshalb wird die PDS heute das sagen, was nach meinem Kenntnisstand auch mancher Grüner und manches Mitglied der SPD-Fraktion gern sagen würde, nämlich Nein zu diesem Gesetzespaket.

(Beifall bei der PDS)

Der große Schwindel ist doch: Sie gaukeln den Bürgerinnen und Bürgern vor, dass Sie ihnen etwas geben würden. Tatsächlich nehmen Sie ihnen aber das, was Sie gegen den Terrorismus verteidigen wollen. Ein Kommentator der "Berliner Zeitung" schrieb: Dies ist eine "große Grundgesetzreform". Sein Fazit lautete: Man kann es als Abschied von der liberalen Verfassungsidee bezeichnen.

(Beifall bei der PDS)

Denn der verheißene Zugewinn an Sicherheit durch den Staat wird mit einem signifikanten Verlust an Sicherheit vor dem Staat - also Freiheit - bezahlt.

Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnisgrünen, sagen: Es geht auch anders. Ich empfehle Ihnen, das nachzulesen, was in Berlin zwischen SPD und PDS zum Thema innere Sicherheit vereinbart wurde. Man könnte es überschreiben mit: Mehr Sicherheit, aber nicht auf Kosten von Grund- und Freiheitsrechten.

(Beifall bei der PDS)

Ich würde Ihnen heute gerne en détail begründen, warum wir Nein sagen, und zwar auch unter Verwendung der intelligenzarmen Widersprüche, die Sie selbst produzieren. Aber fünf Minuten Redezeit reichen dafür nicht. Das ist unser Oppositionslos auf der linken Seite. Wir arbeiten daran, dass es besser wird. Ich möchte deshalb nur noch ein Beispiel nennen, das zeigt, dass der Teufel im Detail steckt. Das Gesetzespaket sieht Sicherheitsüberprüfungen für Beschäftigte in "lebenswichtigen und verteidigungswichtigen Einrichtungen" vor. Das kann sinnvoll sein. Es kann aber auch für Millionen Beschäftigte gefährlich werden, wenn letztendlich Geheimdienste darüber entscheiden, wer beschäftigt wird.

Nun haben die Sachverständigen schon gemahnt, möglichst genau ein zuschränken, welche Bereiche und Berufsgruppen gemeint sind, weil andern falls Konflikte mit dem EU-Recht, dem Arbeitsrecht und anderen Alltäglichkeiten drohten. Sie, Herr Minister, meinten am vergangenen Mittwoch, das würden Sie nicht tun, weil Sie potenziellen Terroristen nicht noch Hinweise geben wollten, wo die Bundesrepublik verletzbar sei. Sie haben auch gesagt, dass dies im Einzelnen durch die Exekutive, also durch Sie, festgelegt werde. Alle Achtung! Ihr Vorgehen soll Rechtssicherheit schaffen und ist offensichtlich "Demokratie in Ottos Vollendung".

(Beifall bei der PDS)

Anders gefragt: Glauben Sie wirklich, dass mögliche Terroristen auf eine Liste warten, aus der hervorgeht, wo die Zivilisation verletzbar ist? Nachvollziehen können die Beschäftigten schon gar nicht, dass sie von vornherein wie potenzielle Terroristen behandelt werden.

Ein letztes Wort. Sie haben gestern hier ein Einwanderungsgesetz eingebracht. Heute stellt sich die Sinnfrage, weil Sie sich mit diesem Gesetzesvorhaben ein Instrumentarium schaffen, das die Einreise und die Ausweisung von Ausländern strenger als je zuvor reglementiert. Sie stellen mit diesem Gesetzespaket die Fremden, um die Sie gestern hier geworben haben, unter Generalverdacht.

(Beifall bei der PDS)

Am Mittwoch mahnten Sie, möglichst keine Maßnahmen, die nichts mit der Terrorismusbekämpfung zu tun haben, vorzuschlagen. Wenn Sie konsequent gewesen wären, dann hätten Sie Ihr Paket heute zurückgezogen und ein neues vorgelegt.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 202. Sitzung vom 14.12.2001 (Plenarprotokoll 14/209).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede der stellvertretenden Vorsitzenden der PDS-Fraktion Petra Pau zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus [Terrorismusbekämpfungsgesetz] (14.12.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_pau_1214.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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