Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen
Nationalversammlung (Reichswahlgesetz).
Vom 30. November 1918.
Für die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung wird
folgendes angeordnet:
§ 1
[1] Die Mitglieder der verfassunggebenden deutschen
Nationalversammlung werden in allgemeinen, unmittelbaren und geheimen Wahlen nach den
Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt.
[2] Jeder Wähler hat eine Stimme.
§ 2
Wahlberechtigt sind alle deutschen Männer und Frauen, die am
Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet haben.
§ 3
Die Personen des Soldatenstandes sind berechtigt, an der
Wahl teilzunehmen. Die Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen ist ihnen
gestattet.[1]
§ 4
Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist |
- wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft steht,
- wer infolge eines rechtskräftigen Urteils der bürgerlichen Ehrenrechte ermangelt.
|
§ 5
Wählbar sind alle Wahlberechtigten, die am Wahltag seit mindestens einem Jahre
Deutsche sind.
§ 6
[1] Die Wahlkreiseinteilungen und die Zahl der Abgeordneten,
die in den einzelnen Wahlkreisen zu wählen sind, ergeben sich aus der Anlage.
[2] Sie beruht auf dem Grundsatz, daß auf durchschnittlich 150.000 Einwohner
nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 ein Abgeordneter entfällt und dort, wo
Landes- oder Verwaltungsbezirksgrenzen bei der Wahlkreiseinteilung berücksichtigt werden
müssen, ein Überschuß von mindestens 75.000 Einwohnern vollen 150.000 gleichgerechnet
wird.
§ 7
Jeder Wahlkreis wird in Stimmbezirke geteilt, die möglichst
mit den Gemeinden zusammenfallen. Große Gemeinden können in mehrere Stimmbezirke
zerlegt, kleine mit benachbarten zu einem Stimmbezirke vereinigt werden.
§ 8
[1] Für jeden Wahlkreis wird ein Wahlkommissar, für jeden
Stimmbezirk ein Wahlvorsteher und ein Stellvertreter für ihn von der nach der Wahlordnung (§ 22)
zuständigen Behörde ernannt.
[2] Der Wahlvorsteher ernennt aus Wahlberechtigten des Stimmbezirkes drei bis
sechs Beisitzer und einen Schriftführer.
[3] Wahlvorsteher, Beisitzer und Schriftführer bilden den Wahlvorstand.
§ 9
[1] Für jeden Stimmbezirk wird eine Wählerliste angelegt, in
welche die dort wohnhaften Wahlberechtigten eingetragen werden.[2]
[2] Die Wählerlisten sind spätestens vier Wochen vor dem Wahltag auf
die Dauer von acht Tagen zu jedermanns Einsicht auszulegen. Ort und Zeit werden vorher
unter Hinweis auf die Einspruchsfrist öffentlich bekanntgegeben.[3]
[3] Einsprüche gegen die Wählerliste sind bis zum Ablauf der
Auslegungsfrist bei der Gemeindeverwaltungsbehörde anzubringen und innerhalb der
nächsten vierzehn Tage zu erledigen. Hierauf werden die Listen geschlossen.[4]
[4] Über die nachträgliche Aufnahme von Angehörigen des Heeres und der
Marine, die im Januar oder Februar 1919 aus dem Felde heimkehren, ergeht eine besondere
Verordnung.[5]
[5] Für den Fall, daß sich am Wahltag noch größere geschlossene
Truppenverbände außerhalb des Reichs befinden, bleibt der Erlaß einer besonderen
Verordnung vorbehalten, wonach die Angehörigen dieser Truppenverbände nach ihrer
Rückkehr, gegebenenfalls zugleich mit den Kriegsgefangenen, die erst nach dem
Wahltag zurückkehren, in einer besonderen Nachwahl Abgeordnete zur verfassunggebenden
deutschen Nationalversammlung wählen.[6]
§ 10
[1] Das Wahlrecht kann nur in dem Stimmbezirk ausgeübt werden, wo
der Wahlberechtigte in der Wählerliste eingetragen ist.[7]
[2] Jeder darf nur an einem Orte wählen.
§ 11
[1] Beim Wahlkommissar sind spätestens am 21. Tage vor dem
Wahltag Wahlvorschläge einzureichen.[8]
[2] Die Wahlvorschläge müssen von mindestens 100 im Wahlkreis zur Ausübung
der Wahl berechtigten Personen unterzeichnet sein. Sie dürfen nicht mehr Namen enthalten,
als Abgeordnete im Wahlkreis zu wählen sind.
[3] Von jedem vorgeschlagenem Bewerber ist eine Erklärung über seine
Zustimmung zur Aufnahme in den Wahlvorschlag anzuschließen.
[4] In demselben Wahlkreis darf ein Bewerber nur einmal vorgeschlagen werden.
§ 12
[1] Mehrere Wahlvorschläge können miteinander verbunden werden.
[2] Die Verbindung muß von den Unterzeichnern der betreffenden Wahlvorschläge
oder ihren Bevollmächtigten übereinstimmend spätestens am 7. Tage vor dem Wahltag beim
Wahlkommissar schriftlich erklärt werden.
[3] Verbundene Wahlvorschläge können nur gemeinschaftlich zurückgenommen werden.
[4] Die verbundenen Wahlvorschläge gelten den anderen Wahlvorschlägen gegenüber
als ein Wahlvorschlag.
§ 13
[1] Für die Prüfung der Wahlvorschläge und ihrer Verbindung
wird für jeden Wahlkreis ein Wahlausschuß gebildet, der aus dem Wahlkommissar als
Vorsitzenden und vier Beisitzern besteht.
[2] Der Wahlausschuß faßt seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit.
[3] Nach der öffentlichen Bekanntgabe der zugelassenen Wahlvorschläge
können diese nicht mehr zurückgenommen und ihre Verbindung kann nicht mehr aufgehoben
werden.
§ 14
[1] Die Stimmzettel sind außerhalb des Wahlraums mit den Namen
der Bewerber, denen der Wähler seine Stimme geben will, handschriftlich oder im Wege der
Vervielfältigung zu versehen.
[2] Die Namen auf den einzelnen Stimmzetteln dürfen nur einem einzigen der
öffentlich bekanntgegebenen Wahlvorschläge entnommen sein.
§ 15
Die Wahlhandlung und die Ermittlung des Wahlergebnisses sind öffentlich.
§ 16
Gewählt wird mit verdeckten Stimmzetteln. Abwesende können sich
weder vertreten lassen, noch sonst an der Wahl teilnehmen.
§ 17
[1] Über die Gültigkeit der Stimmzettel entscheidet
vorbehaltlich der Nachprüfung im Wahlprüfungsverfahren der Wahlvorstand mit
Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gibt der Wahlvorsteher den Ausschlag.
[2] Die ungültigen Stimmzettel sind dem Wahlprotokoll beizufügen. Die gültigen
verwahrt der Wahlvorsteher so lange versiegelt, bis die Wahl für gültig
erklärt worden ist.
§ 18
Behufs Ermittlung des Wahlergebnisses ist vom Wahlausschusse (§ 13 Abs. 1) festzustellen, wieviel gültige Stimmen abgegeben und wie viele
hiervon auf jeden Wahlvorschlag und auf die verbundenen Wahlvorschläge gemeinschaftlich
entfallen sind.
§ 19
Die Abgeordnetensitze werden auf die Wahlvorschläge nach dem
Verhältnis der ihnen nach § 18 zustehenden Stimmen verteilt. Die
Berechnungsweise wird in der Wahlordnung
(§ 22) geregelt.
§ 20
Für die Verteilung der einem Wahlvorschlage zugeteilten
Abgeordnetensitze unter die einzelnen Bewerber ist die Reihenfolge der
Benennungen auf den Wahlvorschlägen maßgebend.
§ 21
[1] Wenn ein Abgeordneter die Wahl ablehnt oder nachträglich
aus der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung ausscheidet, tritt an seine
Stelle ohne die Vornahme einer Ersatzwahl der Bewerber, der demselben Wahlvorschlag oder,
wenn dieser erschöpft ist, einem mit ihm verbundenen Wahlvorschlag angehört und nach dem
Grundsatz des § 20 hinter dem Abgeordneten an erster Stelle berufen
erscheint.
[2] Ist ein solcher Bewerber nicht vorhanden, so bleibt der Abgeordnetensitz
unbesetzt.
§ 22
Das Wahlverfahren wird auf der Grundlage der gegenwärtigen
Verordnung durch eine besondere Wahlordnung
näher geregelt, die der Staatssekretär des Innern erläßt.
§ 23
Die Kosten für die Vordrucke zu den Wahlprotokollen und für die
Ermittlung des Wahlergebnisses in den Wahlkreisen werden von den Bundesstaaten, alle
übrigen Kosten des Wahlverfahrens von den Gemeinden getragen.
§ 24
Die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung
finden Sonntag, den 16. Februar 1919 statt.[9]
§ 25
[1] Beschließt die deutsche Nationalversammlung, daß
Deutsch-Österreich seinem Wunsche entsprechend in das Deutsche Reich aufgenommen wird, so
treten die deutsch-österreichischen Abgeordneten als gleichberechtigte Mitglieder bei.[10]
[2] Voraussetzung für den Beitritt ist, daß die Abgeordneten auf Grund
allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahlen unter Beteiligung auch der Frauen
nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. Die zahl der Abgeordneten wird
auf der Grundlage bestimmt, daß durchschnittlich auf 150.000 Seelen ein Abgeordneter
entfällt. Der Wahltag braucht mit dem deutschen Wahltag nicht zusammenzufallen.
§ 26
Diese Verordnung hat Gesetzeskraft und tritt mit ihrer Verkündung in Kraft.[11]
Berlin, den 30. November 1918.
Der Rat der Volksbeauftragten |
Ebert |
|
Haase |
Der Staatssekretär des Innern
Dr. Preuß |
Anlage
Nr. |
Je 1 Wahlkreis bilden |
Nach der Volks- zählung vom 1.
Dezember 1910 mit Ein- wohnern |
In dem Wahlkreis sind an Abgeordnete
zu wählen |
1 |
die Provinz Ostpreußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . |
2.064.175 |
14 |
2 |
die Provinz Westpreußen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . |
1.703.474 |
11 |
3 |
die Stadt Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . |
2.071.257 |
14 |
4 |
die Reichstagswahlkreise Potsdam 19, soweit sie zum
Regierungsbezirke Potsdam gehören . . . . . . . . . . . . . |
1.554.851 |
10 |
5 |
der Reichstagswahlkreis Potsdam 10, soweit er zum
Regierungsbezirk Potsdam gehört . . . . . . . . . . . . . . . |
1.314.576 |
9 |
6 |
der Regierungsbezirk Frankfurt a. O. . . . . . . . . . . . .
. |
1.233.189 |
8 |
7 |
die Provinz Pommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . |
1.716.921 |
11 |
8 |
die Provinz Posen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . |
2.099.831 |
14 |
9 |
der Regierungsbezirk Breslau . . . . . . . . . . . . . . . .
. . |
1.841.398 |
12 |
10 |
der Regierungsbezirk Oppeln . . . . . . . . . . . . . . . . .
. |
2.207.981 |
15 |
11 |
der Regierungsbezirk Liegnitz . . . . . . . . . . . . . . . .
. . |
1.176.583 |
8 |
12 |
der Regierungsbezirk Magdeburg und Anhalt . . . . . . . . |
1.580.118 |
11 |
13 |
der Regierungsbezirk Merseburg . . . . . . . . . . . . . . .
. |
1.309.510 |
9 |
14 |
die Provinz Schleswig-Holstein und das zu Oldenburg gehörige
Fürstentum Lübeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . |
1.662.304 |
11 |
15 |
die Regierungsbezirke Aurich und Osnabrück sowie Oldenburg
ohne die Fürstentümer Birkenfeld und Lübeck |
1.041.810 |
7 |
16 |
die Regierungsbezirke Hannover, Hildesheim und Lüneburg
sowie Braunschweig . . . . . . . . . . . . . . . . . |
2.356.856 |
16 |
17 |
die Regierungsbezirke Münster und Minden, der zur Provinz
Hessen-Nassau gehörige Kreis Schaumburg sowie die beiden Lippe . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . |
1.971.486 |
13 |
18 |
der Regierungsbezirk Arnsberg . . . . . . . . . . . . . . . .
. |
2.399.849 |
16 |
19 |
die Provinz Hessen-Nassau ohne die Kreise Schaumburg und
Schmalkalden, ferner der Kreis Wetzlar vom Regierungsbezirke Coblenz sowie Waldeck . . . .
. . . . . |
2.251.629 |
15 |
20 |
die Regierungsbezirke Cöln und Aachen . . . . . . . . . . . |
1.940.317 |
13 |
21 |
die Regierungsbezirk Coblenz und Trier, ohne den Kreis
Wetzlar, ferner das zu Oldenburg gehörige Fürstentum Birkenfeld . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . |
1.750.819 |
12 |
22 |
die Reichstagswahlkreise Düsseldorf 15, soweit sie zum
Regierungsbezirke Düsseldorf gehören . . . . . . . . . |
1.820.598 |
12 |
23 |
die Reichstagswahlkreise 612 des Regierungsbezirkes
Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |
1.597.790 |
11 |
24 |
die Regierungsbezirke Oberbayern und Schwaben . . . . |
2.321.918 |
15 |
25 |
die Regierungsbezirke Niederbayern und Oberpfalz . . . . |
1.324.615 |
9 |
26 |
die Regierungsbezirke Ober-, Mittel- und Unterfranken |
2.303.673. |
15 |
27 |
der Regierungsbezirk Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . |
937.085 |
6 |
28 |
die sächsischen Reichstagswahlkreise 19 . . . . . . .
. . |
1.771.117 |
12 |
29 |
die sächsischen Reichstagswahlkreise 1014 . . . . . .
. |
1.165.330 |
8 |
30 |
die sächsischen Reichstagswahlkreise 1523 . . . . . .
. |
1.870.214 |
12 |
31 |
der Neckarkreis und der Jastkreis[8]
. . . . . . . . . . . . . |
1.297.538 |
9 |
32 |
der Schwarzwaldkreis und der Donaukreis sowie der
Regierungsbezirk Sigmaringen[8] . . . . . . . . . .
. . . . . |
1.211.047 |
8 |
33 |
Baden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . |
2.142.833 |
14 |
34 |
Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . |
1.282.051 |
9 |
35 |
Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und Lübeck
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |
862.999 |
6 |
36 |
die thüringischen Staaten Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen,
Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg und Gotha, die beiden Schwarzburg und die beiden Reuß
sowie der Regierungsbezirk Erfurt und der zur Provinz Hessen-Nassau gehörige Kreis
Schmalkalden . . . . . . . |
2.160.692 |
14 |
37 |
Hamburg, Bremen und der Regierungsbezirk Stade . . . . |
1.743.545 |
12 |
38 |
Elsaß-Lothringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . |
1.874.014 |
12 |
|
Zusammen . . . . |
433 |
|