Schreiben des preußischen Staatsministeriums von Auerswald an den Präsidenten der preußischen verfassunggebenden Nationalversammlung Grabow betreffend die Annahme des "Antrags Stein" durch die Nationalversammlung.

Vom 2. September 1848.


  Ew. Hochwohlgeboren haben uns mit dem geehrten Schreiben vom 11ten v. M. die von der National-Versammlung am 9ten v. M. in Bezug auf die schweidnitzer Ereignisse gefaßten Beschlüsse mitgetheilt, um diesen Beschlüssen gemäß das Erforderliche zu veranlassen.

  Wir bemerken hierauf zunächst, daß die Entfernung derjenigen Truppentheile aus Schweidnitz, welche bei den erwähnten traurigen Ereignissen betheiligt gewesen, bereits erfolgt ist.

  In diesem Punkte ist also dem Wunsche der National-Versammlung Genüge geschehen.

  Was ferner den Beschluß betrifft, wonach der unterzeichnete Kriegs-Minister[1] sich in einem Erlasse an die Armee dahin aussprechen soll:

"Daß die Offiziere allen reactionairen Bestrebungen fern bleiben, nicht nur Konflikte jeglicher Art mit dem Civil vermeiden, sondern durch Annäherung an die Bürger und Vereinigung mit denselben zeigen mögen, daß sie mit Aufrichtigkeit und Hingebung an der Verwirklichung eines constitutionellen Rechtszustandes mitarbeiten wollen",


  und wonach es denjenigen Offizieren, mit deren politischen Ueberzeugungen dies nicht vereinbar sei, zur Ehrenpflicht gemacht werden soll, aus der Armee auszutreten, so bemerken wir darüber Folgendes:

  Der unterzeichnete Kriegsminister hat während seiner Amtsführung im Bereiche seiner Verwaltung anticonstitutionelle Tendenzen niemals aufkommen lassen. Die Armee hat sich auch bis jetzt von ihrer Pflicht in irgend einer Richtung nicht abwendig machen lassen, sie hat dieselbe bei vielen Gelegenheiten glänzend bewährt. Sind Ausnahmen vorgekommen, so sind sie, sobald das Kriegs-Ministerium davon Kenntniß erhalten, ungesäumt untersucht, gebührend gerügt und beseitigt worden. Eben so sind die Befehlshaber der Armee durch geeignete Erlasse auf ihre in der jetzigen Zeit doppelt ernste Pflicht aufmerksam gemacht worden, auch ihrerseits mit Entschiedenheit jedem Bestreben entgegenzutreten, durch welches, sei es im reactionairen oder im republikanischen Sinne, das Prinzip der constitutionellen Freiheit beeinträchtigt werden könnte, welches fortan die Grundlage unseres Staates bildet, und dessen Durchführung das Staats-Ministerium mit aller Entschiedenheit zu schützen verpflichtet und entschlossen ist. In der vorstehend angegebenen Weise wird der unterzeichnete Kriegs-Minister auch ferner bei vorkommender Veranlassung belehrend, rügend und, wo es sein muß, mit strenger Ahndung einschreiten. Gewissen und Ehre werden ihn dabei ferner, wie bisher, leiten, und er darf mit Zuversicht hoffen, daß sein Wirken nicht ohne den Erfolg bleiben wird, den die hohe Versammlung der Vertreter unseres Volkes mit Recht gesichert zu sehen wünscht.

  Dagegen würde, nach unserer Ansicht, dieser Erfolg durch einen allgemeinen Erlaß, wie er nach dem Wunsche der Versammlung ergehen soll, nicht erreicht werden.

  Allgemeine Erlasse, wie dieser, sind nach unserer pflichtmäßigen Ueberzeugung nicht entsprechend dem Geiste und dem Wesen einer Armee. Sie sind geeignet, an die Stelle des vertrauensvollen Gehorsams, womit der Offizier und Soldat – jeder auf seinem Standpunkte – die Befehle seiner Oberen auszuführen hat, den Geist des Mißtrauens zu setzen, welcher Disziplin und Ordnung und den ganzen Werth der Armee mit der Zeit untergraben würde. Wir glauben daher, daß ein solcher Erlaß an die Armee von verderblichen Folgen sein werde, und halten es für nothwendig, daß dem Kriegs-Minister in Rücksicht auf die schwere persönliche Verantwortlichkeit, welche er, wie jedes Mitglied des Staats-Ministeriums, für seine Amtshandlungen übernommen hat, die Wahl der Mittel, um den von der National-Versammlung erstrebten Zweck zu erreichen, überlassen bleibe, indem derselbe nur so im Stande ist, mit Erfolg auf das Resultat hinzuwirken, welches er mit der National-Versammlung als das Ziel seines Strebens anerkennt, und dessen Erreichung er mit aller Energie zu sichern aufrichtig entschlossen ist.


  Berlin, den 2. September 1848.

Das Staatsministerium.
(gez.)     von Auerswald.     Hansemann.      von Schreckenstein.
Milde.     Märcker.     Gierke.      Kühlwetter.

An
den Präsidenten der National-Versammlung
Herrn Grabow,
Hochwohlgeboren.

 

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Anmerkungen:
[1] Gemeint ist der (General) Ludwig Freiherr Roth von Schreckenstein (1789-1858), der vom 20. Juni bis 7. September 1848 preußischer Kriegsminister war.


Quelle: Verhandlungen der Versammlung zur Vereinbarung der Preußischen Staatsverfassung. Bd. II (Stenographische Berichte. September-December 1848), o.O. 1848, S. 1035.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Schreiben des preußischen Staatsministeriums von Auerswald an den Präsidenten der preußischen verfassunggebenden Nationalversammlung Grabow betreffend die Annahme des "Antrags Stein" durch die Nationalversammlung (02.09.1848), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/nzjh/preussen/1848/antrag-stein-staatsministerium_schr.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.01.2004
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