Note des Königlich Preußischen Staatskanzlers Freiherr von Hardenberg an den Französischen Gesandten am Preußischen Hof Graf von St. Marsan.

Vom 16. März 1813.


  Der unterzeichnete Staatsminister hat vom Könige den Befehl erhalten, Seiner Excellenz dem Herrn Grafen von St. Marsan, außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister Sr. Maj. des Kaisers der Franzosen, Königs von Italien, Nachstehendes zu eröffnen.

  Seit dem Frieden von Tilsit war das vornehmste Augenmerk des Königs in seinem ganzen politischen Benehmen dahin gerichtet, seinen Völkern einen Zustand der Ruhe wiederzugeben und dauernd zu erhalten, der ihnen erlaubte, sich allmählig von den unzähligen Drangsalen und Verlusten, die sie erlitten, wieder zu erholen. Zu diesem Zweck erfüllte derselbe, so viel es Ihm seine Kräfte erlaubten, mit größter Pünctlichkeit die Verpflichtungen, welche Er durch diesen Frieden auf Sich zu nehmen gezwungen worden war. Er ertrug mit einer Resignation, welche Ihm die Umstände zum Gesetz machten, die willkürlichen Erpressungen und Kränkungen jeder Art, denen die Provinzen unaufhörlich ausgesetzt waren, die ungeheuren Lasten, welche sie danieder drückten. Er versäumte nichts, um zwischen Ihm und der Französischen Regierung ein aufrichtiges Vertrauen zu begründen, und diese dadurch zur Beobachtung gerechter und billiger Maaßregeln, um die Er beinahe stets vergebens bat, geneigt zu machen.

  Als sodann der Norden von Europa mit einem neuen unheilverkündenden Krieg bedroht wurde, ergriff der König, nachdem Er Alles, was von Ihm abhing, gethan hatte, um das Ungewitter zu beschwören, diejenige Parthey, welche Ihm die Zwischenlage Seiner Staaten, die keine Neutralität zuließ, nebst der gewissen Aussicht gebieterisch vorschrieb, daß Ihn Frankreich, wenn Er dessen Willen nicht genau erfüllte, mit Maaßregeln der Zerstörung überziehen werde. – Er unterwarf sich den unerträglich lästigen Bedingungen, die mit den Kräften des Landes durchaus nicht im Verhältniß standen, und in die Er durch den Allianztractat v. 24. Febr. 1812 und die ihn begleitenden Conventionen nur in der Hoffnung gewilligt, daß Er dadurch für Preußen eine dauerhafte Stütze gewonnen habe und für den Fall der Noth den wirksamen Beistand, dessen es nach so vielen Unglücksfällen täglich dringender bedurfte, und daß die Französische Regierung, der Treue entsprechend, mit welcher der König sich der Erfüllung Seiner Verpflichtungen unterzog, auch die gegen den König übernommenen Verbindlichkeiten ihrerseits mit derselben Pünctlichkeit erfüllen werde.

  Eine unglückliche Erfahrung bewies aber dem König nur zu bald, daß die Französische Regierung ganz andere Gesinnungen hege. Während der König diejenige Anzahl Truppen stellte, die man für das Hülscorps stipulirt hatte, während diese nämlichen Truppen für die Sache Frankreichs ihr Blut mit einer Tapferkeit vergossen, welche der Kaiser selbst Gerechtigkeit widerfahren zu lassen sich nicht weigerte, während man im Innern des Landes mit außerordentlichen Anstrengungen die ungeheuern Lieferungen und Leistungen aller Art zur Befriedigung der Bedürfnisse der Truppen, die es unaufhörlich überschwemmten, zu bestreiten bereit war, erfüllte Frankreich in keinem einzigen Puncte die übernommenen Verpflichtungen, deren redliche Erfüllung doch nur allein dem gänzlichen Ruin des Landes und seiner Bewohner zuvorkommen konnte.

  Es war festgesetzt worden, daß von dem Datum des Allianztractates an die Garnison der Festung Glogau auf Frankreichs Kosten approvisionirt werden sollte, die Festungen Cüstrin und Stettin dagegen erst von dem Zeitpuncte an, wo die Contribution gänzlich bezahlt seyn würde. Dieses letzte war nun schon seit dem Monat Mai vorigen Jahres geschehen, denn man hatte durch gemachte Lieferungen schon über die Contribution hinaus entrichtet. Dessen ungeachtet blieb die Last auf Preußen haften, die gedachten drei Festungen zu approvisioniren; und keine aller Gegenvorstellungen konnten bewirken, was die Gerechtigkeit und der Buchstabe des Vertrags erheischten.

  Man hatte sich zum mindesten mit der Hoffnung geschmeichelt, daß nach dem neueren Versprechen Sr. Maj. des Kaisers das Land um jene Festungen her, und das preußische Gebiet überhaupt  von da an vor allen gezwungenen Requisitionen sicher seyn würde; allein in dem nämlichen Augenblick, wo man sich dieser Erwartung überlassen sollte, wurden die Commandanten jener Festungen förmlich autorisirt, in einem Umkreis von zehn Stunden um dieselben Alles wegzunehmen, was sie gebrauchen zu können glaubten, was denn auch mit aller leicht vorauszusehenden Gewaltsamkeit in Ausführung kam.

  Man war dahin einig geworden, daß die Rechnungen der preußischen Vorschüsse für Lieferungen aller Art von drei zu drei Monaten regulirt und mit Ende des Feldzuges baar wiedererstattet werden sollten; allein man konnte es nicht einmal dahin bringen, daß diese Rechnungen geprüft wurden, und als der Saldo schon bis zu sehr bedeutenden Summen angewachsen war, worüber man jeden Augenblick die Belege beizubringen bereit stand, als sich diese Summe beim Schluß des Jahres schon auf 94 Millionen Franken belief, konnte man doch mit den inständigsten Bitten nicht einmal eine Abschlagszahlung erlangen, obgleich der Koenig seine Forderung augenblicklich auf eine Summe unter der Hälfte beschränkte, auch das dringende, gar nicht mehr abzuweisende Bedürfniß bis zu höchsten Evidenz bewiesen wurde.

  Diejenige Clausel des Allianztractates, welche einem Theile von Schlesien die Neutralität zusicherte, konnte, nach den später hinzugetretenen Umständen, nur dann noch von Wirkung seyn, wenn auch Rußland damit einverstanden war, und es wurde unumgänglich nöthig, mit Rußland hierüber zu unterhandeln. Der Kaiser ließ aber erklären, er könne nicht darein willigen, daß man in dieser Absicht an den Kaiser von Rußland einen Abgeordneten sende. Hierdurch wurde jene Stipulation ganz illusorisch und in der That vom Kaiser zurückgenommen und annullirt.

  Hierauf wagte man neue Angriffe, und zwar auf die vor allen unbestreitbaren Rechte des Königs, indem man sich eine willkürliche Disposition mit dem preußischen Truppencorps erlaubte, welches sich in Pommern unter General Bülow formiren sollte; man forderte es auf, sich mit der Division des Herzogs von Belluno zu vereinigen, und stellte es, ohne daß Se. Majestät dazu die Einwilligung gegeben, unter das Commando dieses Marschalls.

  Sodann wurde ein Verbot erlassen, in den von den französischen Truppen besetzten preußischen Staaten durchaus keine Rekrutirungen vorzunehmen; dieses Untersagen war der Befehl Sr. Kaiserl. Hoh. des Princen Vizekönigs von Italien, ohne Seine Majestät davon im geringsten zu benachrichtigen.

  Bis zu einem so schrecklichen Grade hat man sicher noch nie die Souverainetät eines verbündeten Fürsten verletzt. Eine Menge von Nebenumständen, welche sich auf das Obige beziehen, sind hier absichtlich übergangen, weil sie Ew. Excellenz und dem Herrn Herzog von Bassano aus den dadurch veranlaßten unzähligen Reclamationen hinlänglich bekannt sind. Zudem ist der Herr General von Krusemark beauftragt, dem Minister eine Note[1] zu überreichen, welche sich über eine Menge von Gegenständen verbreiten wird, die augenfällig darthun, daß die französische Regierung selbst – dadurch, daß sie keinem einzigen der Hauptpuncte des Allianztractates Rechnung trug, welche irgend zu Gunsten Preußens waren, indeß doch zu den wesentlichsten Bestandtheilen desselben gehörten, und ohne die doch Preußen, mochten die Folgen seyn, welche sie wollten, die ihm auferlegten Verbindlichkeiten niemals hätte eingehen können, – nunmehr den preußischen Staat von allen den wechselseitig übernommenen Verpflichtungen frei zählt.

  Jedermann ist die Lage bekannt, in welche sich Preußen in Folge dieser Umstände, sowie im Allgemeinen durch die Ereignisse im vorigen Herbst und Winter, versetzt sah. Sich selbst überlassen, und ohne auf eine wirksame Unterstützung von derjenigen Macht rechnen zu dürfen, mit welcher es eng verbunden war, und die ihm nicht einmal zugestand, was die strenge Gerechtigkeit mit sich brachte und ihm so leicht hätte bewilligt werden können, sah Preußen zwei Drittheile seiner Provinzen bis zur gänzlichen Erschöpfung gebracht und ihre Bewohner der Verzweiflung preisgegeben. Was blieb ihm nun noch übrig, als sich selber zu rathen, so gut es immer konnte, um seiner Selbsterhaltung und Wiederherstellung willen?

  Jetzt mußte der König in der Liebe und dem Muthe seiner Völker, sowie in dem hochherzigen Antheil, den eine andere große Macht an Seiner traurigen Lage nahm, die Mittel suchen, Sich aus dieser Lage zu befreien und Seiner Monarchie jene Unabhängigkeit zurückzugeben, die ihre künftige Wohlfahrt allein zu sichern mag.

  Se. Majestät haben daher diejenigen Maaßregeln ergriffen, welche von so dringenden Umständen geboten wurden. Sie haben Sich durch eine enge Allianz an Se. Majestät den Kaiser aller Reußen angeschlossen. Se. Maj. sind überzeugt, daß Frankreich, wie ganz Europa, die mächtigen Beweggründe zu würdigen weiß, die Sie zu diesem Schritte bestimmten. Das endliche Resultat, welches dieser Schritt bezweckt, soll Friede seyn, welcher auf Grundlage der Billigkeit beruht und daher um so dauernder seyn wird. – Des Königs steter und heißester Wunsch war auf einen solchen Frieden gerichtet und wenn die Vorsehung Seine Anstrengungen mit Segen krönt, wird Sr. Majestät höchstes Glück seyn, dazu beitragen zu können, daß der Menschheit die daraus entspringenden Wohlthaten auch zu Theil werden.

  Der Unterzeichnete hat die Ehre, dem Herrn Grafen von St. Marsan die Versicherung seiner hohen Achtung zu wiederholen.


  Breslau, den 16. März 1813.

Hardenberg.

 

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Anmerkung:
[1] Note Krusemarks vom 27. März 1813.


Quelle: Corpus Juris Confoederationis Germanicae oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bunds, hrsg. v. Philipp Anton Guido Meyer, Teil 1. Staatsverträge, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1858, S. 163-166.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Note des Königlich Preußischen Staatskanzlers Freiherr von Hardenberg an den Französischen Gesandten am Preußischen Hof Graf von St. Marsan (16.03.1813), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/nzjh/preussen/1813/hardenberg-an-marsan_note.html, Stand: aktuelles Datum.


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