Rede des Vorsitzenden der FDP-Fraktion Dr. Wolfgang Gerhardt zur
            Aktuelle Lage nach Beginn der Operation gegen den internationalen Terrorismus in
            Afghanistan 
            Vom 11. Oktober 2001 
             
             
             
            Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): 
            Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freien Demokraten sind mit großen Teilen der
            vom Bundeskanzler abgegebenen Regierungserklärung
            einverstanden. Was er zum Bündnis, zur Solidarität, zur Lage in Afghanistan und zu den
            militärischen Notwendigkeiten gesagt hat, trifft auf unsere Zustimmung. Seine Aussagen
            sind eine Konsequenz aus den Verabredungen, den vertrauensvollen Gesprächen und deren
            Ergebnissen. Damit ist dies ein Stück konstante deutsche Außenpolitik. Ich muss das
            nicht weiter ausführen. 
             
            Herr Bundeskanzler, wir stimmen Ihnen ausdrücklich zu, dass die gezielten
            Militärschläge gegen terroristische Einrichtungen, gegen Ausbildungscamps und gegen
            Infrastruktureinrichtungen richtig sind. Es ist entscheidend - darum bemühen sich die
            Vereinigten Staaten -, logistische Ziele zu treffen und die Zivilbevölkerung zu schonen. 
             
            Im Übrigen begrüßen wir es, dass die Angriffe durch Beschluss des Sicherheitsrates der
            Vereinten Nationen völkerrechtlich abgesichert sind. Sie sind legitim. 
             
            (Beifall bei der FDP) 
             
            Es ist auch richtig, dass gleichzeitig eine Versorgung mit humanitären Gütern erfolgt.
            In wenigen Wochen beginnt in dieser Gegend der Winter. Dort lebt eine geschundene
            Zivilbevölkerung, die außerdem noch niemals gefragt worden ist, wie ihr Land aufgebaut
            werden und wer sie regieren soll. Die humanitäre Hilfe sollte ein erstes Zeichen der
            freien Welt sein, auf politische Lösungen hinzuwirken, die wir nicht nur dort, sondern
            auch an anderen Orten dieser Welt, zum Beispiel im Nahen Osten, brauchen. 
             
            Natürlich gibt es Konfliktlagen, die einen solchen Terrorismus speisen, ohne ihn direkt
            verantworten zu wollen. Deshalb gibt es keine Notwendigkeit, eine Diskussion über diesen
            Teil Ihrer Regierungserklärung, Herr
            Bundeskanzler, zu führen. Ihre Ausführungen treffen auf unsere Zustimmung. Wir sind zu
            internationaler Verantwortung bereit. Wir kennen das und dabei soll es auch, soweit es
            nach den Freien Demokraten geht, bleiben. Wir werden unsere Bereitschaft in den
            vertrauensvollen Gesprächen, die demnächst sicher wieder stattfinden müssen, zeigen.
            Darüber gibt es keinen Zweifel. 
             
            Aber, Herr Bundeskanzler - bei aller Zurückhaltung -: Die Hausaufgaben in der
            Bundesrepublik Deutschland dürfen darunter nicht leiden. Darauf muss jetzt aufmerksam
            gemacht werden. 
             
            (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 
             
            Die Übereinstimmung in der Außenpolitik ist das eine, aber ebenso notwendig sind die
            sachlichen Kontroversen in der Innenpolitik, soweit sie mit Ihrer Regierungserklärung zusammenhängen. 
             
            Sie sagen, Deutschland könne nicht immer alle Risiken vermeiden, wenn es international
            Verantwortung übernehme. Das sei eine neue Situation in der deutschen Außenpolitik. -
            Richtig, das ist eine Veränderung. Aber dann muss ich Sie fragen: Was tun Sie und die
            rot-grüne Koalition, um die Voraussetzungen für die Bewältigung der neuen
            außenpolitischen Aufgaben zu schaffen? Sie wissen genauso gut wie ich, dass die deutsche
            Bundeswehr stark unterfinanziert ist. Sie haben einen europäischen Vertrag
            mitbeschlossen, mit der Absicht, eine europäische Sicherheits- und
            Verteidigungsidentität zu schaffen. Trotzdem lassen Sie nicht die
            geringsten Anzeichen erkennen, wie Sie die sich aus diesem Vertrag ergebenden neuen
            Sicherheitsaufgaben im Verteidigungshaushalt zu finanzieren gedenken. Sie sagen:
            "weiter so", obwohl Sie genau wissen, dass durch Ihre so finanzierte
            Sicherheitspolitik die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Außenpolitik bei seinen
            Partnern leidet. Das wird so nicht gehen. Sie können nur in begrenztem Umfang solche
            Erklärungen abgeben, wenn Sie im Innern Ihren Worten nicht auch Taten folgen lassen. Das
            wissen Sie genauso gut wie wir. 
             
            (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 
             
            Sie haben zu Recht erklärt, dass sicherheitspolitische Entscheidungen im Bereich der
            Gesetzgebung zwar notwendig seien, dass aber auch die Vollzugsdefizite im Bereich der
            inneren Sicherheit beseitigt werden müssten. Wir folgen Ihnen auf diesem Weg. Aber ich
            möchte den Bundesinnenminister, den Bundesfinanzminister, die Bundesjustizministerin
            sowie die zuständigen Landesministerinnen und -minister auffordern, zuallererst die
            bestehenden Defizite zu beseitigen. Wenn beispielsweise 2000 DNA-Analysen nicht bearbeitet
            wer den können und wenn es nur 16 Beschäftigte im Bundesaufsichtsamt für das
            Kreditwesen gibt, die im Hinblick auf die Geldwäsche die Aufsicht über rund 3000 Banken
            haben, dann stimmt etwas nicht und dann beraten wir gerne mit Ihnen über entsprechende
            gesetzliche Änderungen. Es darf jedenfalls kein Tag verloren werden, hier für
            Verbesserungen zu sorgen. Das ist die Aufgabe, die zuallererst zu erledigen ist. 
             
            (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 
             
            Wir werden konstruktiv über Gesetzesänderungen beraten. Wir wissen, dass die Teilhabe an
            der Freiheit Sicherheit voraussetzt. Sie finden uns bei der Entscheidung über die
            Abschaffung des Religionsprivilegs an Ihrer Seite. Das wollten wir übrigens schon früher
            einmal abschaffen, und zwar gegen Widerstände in der Bundesrepublik Deutschland. Wir
            beraten gerne konstruktiv über die Straftatbestände, die terroristische Aktivitäten,
            die vom Ausland ausgehen, betreffen. Wir werden auch konstruktiv über eine rechtstaatlich
            einwandfreie, verbesserte Kronzeugenregelung beraten. Darüber wird es keinen Streit
            geben. 
             
            Ich als Bürger bin aber nicht bereit, mich als gläserner Mensch zur Verfügung des
            Staates zu halten. 
             
            (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 
             
            Deshalb sage ich Ihnen, Herr Kollege Struck: Durch das Bankgeheimnis wird kein Terrorist
            geschützt. Eine solche Behauptung wäre völlig falsch. Wer in Deutschland ein Bankkonto
            hat und darauf mindestens 30000 DM in bar einzahlt, muss identifiziert werden. Bei
            Geldwäscheverdacht ist die Bank zur Anzeige verpflichtet. Deshalb interessiert mich, wie
            die von Ihnen geplante Kontenevidenzzentrale letztlich aussehen soll. Ich sage Ihnen als
            Bürger der Bundesrepublik Deutschland: Ich möchte, dass mein Konto auch nach der
            Einrichtung einer solchen Zentralstelle noch immer bei einer Bank und nicht beim
            Bundesfinanzminister geführt wird, so treuherzig er auch dreinschauen mag. 
             
            (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 
             
            Es sei mir an dieser Stelle auch eine Bemerkung in Richtung unserer Freunde in den
            Vereinigten Staaten gestattet. Ich kann mich gut erinnern, dass der US-amerikanische
            Finanzminister noch in diesem Sommer die Financial Action Task Force kritisiert hat. Das
            ist eine Gruppe aus Schwellenländern und Ländern der freien Welt, die sich der
            Bekämpfung der Geldwäschekriminalität an Offshoreplätzen und in Steueroasen widmet.
            Das hat der US-amerikanische Finanzminister noch im Sommer als Angriff auf souveräne
            Staaten betrachtet. Deshalb sage ich unseren amerikanischen Freunden: Sie müssen sich
            manch mal angesichts dessen, was sie früher gesagt und getan haben, an die eigene Nase
            fassen. Es ist wichtig, dass sich die Bundesregierung zusammen mit anderen Ländern - die
            Vereinigten Staaten scheinen jetzt auch so weit zu sein - jetzt der Bekämpfung der
            Geldwäsche an den Finanzplätzen in der Welt intensiv widmet und entsprechende
            internationale Vereinbarungen schließt. 
             
            (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 
             
            Herr Bundeskanzler, ich muss Sie auch daran erinnern, dass durch die dramatischen
            Ereignisse der letzten Woche die ökonomische Situation in Deutschland überlagert worden
            ist. Das wollen wir nicht zulassen. Ich muss feststellen: Sie sind mit Ihrem
            wirtschaftspolitischen Latein am Ende. Die terroristischen Anschläge haben Ihnen zwar ein
            Zeitguthaben verschafft, das Sie aber nicht nutzen sollten. Sie müssen von Ihrer Politik
            der ruhigen Hand weg kommen. Sie müssen ganz entschieden die Beschäftigungsdynamik in
            Deutschland wieder auf Touren bringen. Sie müssen einen wirtschaftspolitischen Kurs
            fahren, der die Menschen ermutigt. Angst ist nicht nur Angst vor terroristischer
            Bedrohung. Soziale Sicherheit für Menschen - die größte soziale Sicherheit ist ein
            Arbeitsplatz - gehört dazu, wenn man freie Gesellschaften stabil halten will. 
             
            (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Ist Rexrodt nicht mehr Mitglied
            bei Ihnen?) 
             
            Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen. Sie sagen in jeder Erklärung: Notwendig ist
            Solidarität mit den Vereinigten Staaten. - Dem stimmen wir zu. Diese Solidarität ist
            selbstverständlich. Sie haben das oft wiederholt und es ist auch gut, wenn Sie es
            wiederholen. "Wir sind alle Amerikaner", hat uns neulich der Kollege Struck hier
            gesagt. Das ist ein kluger Satz gewesen. Darauf baut Amerika. Darauf schaut Amerika.
            Amerika schaut im Übrigen dann auch auf diese Stadt, auf Berlin. Deshalb sage ich Ihnen,
            Herr Bundeskanzler: Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen! "Keine Koalition mit der
            PDS in Berlin" ist die notwendige Konsequenz aus Ihrer Erklärung. 
             
            (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zurufe von der SPD und der PDS) 
             
            Wir stimmen weiten Teilen Ihrer Regierungserklärung zu. Wir vermissen aber deren
            Konsequenz für innenpolitische Taten in der Bundesrepublik Deutschland -
            sicherheitspolitisch und wirtschaftspolitisch. Das zu sagen ist die Aufgabe einer
            Opposition. Unsere Institutionen funktionieren. Die demokratische Auseinandersetzung
            zwischen Regierung und Opposition funktioniert ebenfalls. Sie schadet auch nicht. Wenn man
            sich über die Konstanten deutscher Außenpolitik, die Sie vorgetragen haben, klar ist und
            wenn man die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, die das Land aus der größten
            Katastrophe herausgebracht hat, beherzigt, dann finden Sie uns an Ihrer Seite. Ansonsten
            melden wir uns als Opposition zu dem, was Sie hier vorgetragen haben - trotz jener
            Ereignisse -, weil auch danach das politische Leben in der Bundesrepublik Deutschland
            weitergehen muss. 
             
            Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. 
             
            (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 
             
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