Rede der Bundesjustizministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin zu
            Gesetzentwürfen zur Bekämpfung des Terrorismus und Erhöhung der inneren Sicherheit 
            Vom 11. Oktober 2001 
             
             
             
            Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz [SPD]: 
            Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die schrecklichen Anschläge in New York
            und Washington vor einem Monat stellen uns vor ganz neue Herausforderungen und in eine
            neue Verantwortung. Es ist dabei völlig klar, dass unser Mitleiden mit den ermordeten
            Menschen und mit ihren Angehörigen fortbesteht. Es wurden so viele Lebenspläne zerstört
            und so viel Leiden verursacht. Auch unser Entsetzen über den Hass und über das Ausmaß
            der Zerstörungswut bleibt natürlich weiter bestehen. 
             
            Neben unserem Mitgefühl und neben der Solidarität mit den USA müssen gerade wir hier
            uns der Verantwortung stellen, im Lichte dessen, was wir heute über die Täter und über
            die Unterstützer wissen, diesen Terrorismus zu bekämpfen, die Täter, die Schuldigen und
            die Unterstützer zur Rechenschaft zu ziehen und unsere Bevölkerung dort zu schützen, wo
            wir das können und wo das erforderlich ist. Das tun wir. 
             
            (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 
             
            Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, aber auch der Landesregierungen in ihren
            jeweiligen Zuständigkeitsbereichen und auch die Aufgabe des Deutschen Bundestages.
            Deshalb sprechen wir heute im Rahmen des ersten Sicherheitspaketes, das die
            Bundesregierung vorgelegt hat, auch über Vorschläge für Gesetzesänderungen. 
             
            Sie werden festgestellt haben, dass sich nur relativ knappe Gesetzesänderungen unter den
            Vorschlägen der Bundesregierung befinden. Das ist beabsichtigt. Dennoch sind diese
            Änderungen wichtig. Dabei handelt es sich um die Einführung des neuen § 129 b des
            Strafgesetzbuches und um eine Nachfolgeregelung für § 12 des Gesetzes über
            Fernmeldeanlagen im Rahmen der Strafprozessordnung. Ergänzt werden wird das Paket um das,
            was in der Öffentlichkeit als "Kronzeugenregelung" bezeichnet wird. Wir werden
            Ende des Monats gemeinsam eine neue Regelung vorlegen, die unter bestimmten
            Voraussetzungen Strafmilderung für Täter beinhaltet, denen selbst schwerste Verbrechen
            zur Last gelegt werden, die aber zur Aufklärung oder Verhinderung schwerer Straftaten
            wesentlich beigetragen haben. 
             
            Lassen Sie mich zu allen drei Punkten ganz kurz etwas sagen. Der Vorschlag der
            Bundesregierung, den neuen § 129 b in das Strafgesetzbuch einzuführen, macht es
            möglich, die Mitglieder und Unterstützer terroristischer Vereinigungen, die ihre
            Verbrechen in anderen Staaten begehen, in die Strafbarkeit in Deutschland einzubeziehen.
            Das ist richtig und wichtig. Die schrecklichen Anschläge in New York und Washington vor
            einem Monat haben jedem gezeigt - das wurde durch die Videoaufnahmen von Erklärungen aus
            den Reihen von al-Qaida bestätigt -, dass sich dieser Terrorismus gegen alle offenen
            Gesellschaften und nicht nur gegen die der Vereinigten Staaten von Amerika richtet. 
             
             
            Es ist besonders augenfällig, dass die Bekämpfung speziell dieses Terrorismus nicht in
            einem Lande allein durchgeführt oder auf ein Land beschränkt werden kann. Es handelt
            sich hierbei vielmehr - dies haben auch die Erklärung des Sicherheitsrates der Vereinten
            Nationen und die Erklärungen auf europäischer Ebene sehr deutlich gemacht - um ein
            Anliegen der gesamten Völkergemeinschaft. 
             
            (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Max  
            Stadler [FDP]) 
             
            Täter und Unterstützer terroristischer Vereinigungen sollen in jedem Land mit Bestrafung
            rechnen müssen. Ruhe- und Rückzugsräume darf es nicht geben. Deshalb erweitert der
            Vorschlag der Bundesregierung den strafrechtlichen Schutz und wendet das umfangreiche
            Instrumentarium des § 129 StGB einschließlich der flankierenden verfahrensrechtlichen
            Vorschriften an. Deshalb überprüfen wir zurzeit im Zusammenhang damit weitere
            Folgeänderungen. 
             
            Lassen Sie mich zum zweiten Punkt etwas sagen, nämlich zur Nachfolgeregelung zu § 12 des
            Fernmeldeanlagengesetzes. Er gestattete es den Strafverfolgungsbehörden, von den
            verpflichteten Diensteanbietern Auskunft über die zulässigerweise gespeicherten Daten
            über Telekommunikationsverbindungen zu verlangen. Das ist genauso kompliziert, wie es
            klingt. Aber für die notwendige Arbeit der Strafverfolgungsbehörden handelt es sich
            dabei um ein wichtiges Ermittlungsinstrument beispielsweise zur Beschaffung von
            Beweismitteln, zur Bestimmung des Tatorts und der Tatzeit eines Verbrechens oder zur
            Klärung des Aufenthaltsortes oder auch zur Abklä ung, ob und bezüglich welcher Personen
            eine Telekommunikationsüberwachung erforderlich und unabdingbar ist. Diese Regelung
            brauchen wir auch weiterhin. 
             
            Wir halten die bloße Verlängerung des § 12 FAG, so wie er heute besteht, indes nicht
            für richtig, weil die Vorschrift wegen der zunehmenden Digitalisierung des
            Telekommunikationsverkehrs einfach zu wenig differenziert ist. 
             
            (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 
             
            Genau diese Differenzierung nehmen wir mit dem Vorschlag der Bundesregierung vor. Er
            bringt Verbrechensbekämpfung und den notwendigen Datenschutz in die nötige Balance und
            berücksichtigt beide Gewichte da, wo sie berücksichtigt werden müssen. 
             
            Außerdem fügt der neue Vorschlag die Regelung in die rechtsstaatliche Systematik der
            Strafprozessordnung ein und ist so insgesamt eine wesentliche Verbesserung gegenüber der
            geltenden Rechtslage. 
             
            Sie werden gesehen haben, dass wir auch diese Vorschrift - bis zum 31. Dezember des Jahres
            2004 - befristen wollen. Der Grund dafür liegt nicht nur darin - das wird gerade in den
            Reihen der Kolleginnen und Kollegen der Opposition immer wieder diskutiert -, dass es
            manchmal ganz vernünftig ist, Regelungen zu befristen. Vielmehr liegt der Grund darin,
            dass es wichtig ist, in Zukunft zu einem in sich stimmigen und harmonischen Gesamtsystem
            der strafprozessual zulässigen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen zu kommen. 
             
            (Dr. Max Stadler [FDP]: Das wollten Sie aber schon dieses Jahr vorlegen!) 
             
            - Ja, und es war auch schon zu der Zeit, als Sie die Regierung hier verantworteten, Herr
            Stadler, natürlich erforderlich. Aber die Vorarbeiten sind halt nicht in dem Maße
            geleistet worden, 
             
            (Norbert Geis [CDU/CSU]: Alles konnten wir nicht leisten! Wir haben viel geleistet!) 
             
            wie wir es jetzt unter dem Aspekt der Sicherheit und der Freiheit, also der Balance
            zwischen innerer Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, brauchen. Des wegen arbeiten wir
            daran, übrigens mithilfe von zahlreichen Experten und Sachverständigen. Ich denke, wir
            werden das auch hier im Bundestag sehr de tailliert diskutieren müssen. 
             
            Auch die übrigen Vorschläge zur Änderung der Strafprozessordnung, die von verschiedenen
            Seiten kommen, sollten wir in aller Ruhe, aber nicht über hastet diskutieren. 
             
            (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 
             
            Ich habe den Eindruck, dass eine Menge ältere Überlegungen mit vorgetragen werden, die
            übrigens die Veränderungen durch die terroristischen Anschläge von Anfang September
            noch nicht berücksichtigen konnten. Diese aber müssen wir analysieren und diskutieren.
            Ich denke, auch dazu wird in den kommenden Monaten Zeit sein, wenn wir das mit einer
            Gesamtreform des Strafverfahrensrechts verbinden. 
             
            Lassen Sie mich jetzt noch etwas zu dem dritten Punkt sagen, der in der Öffentlichkeit
            unter der nicht immer ganz richtigen Bezeichnung "Kronzeugenregelung" bekannt
            ist. Die alte Regelung haben wir auslaufen lassen, weil sie erheblichen Bedenken
            tatsächlicher und rechtsstaatlicher Art gegenüberstand. Das ist ja bekannt. Deshalb
            halten wir es übrigens auch nicht für richtig, jetzt einfach zu dieser alten Regelung
            zurückzukehren. 
             
            (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das macht keiner! Ich auch nicht!) 
             
            Wir wollen auch den vorliegenden Entwürfen des Bundesrates und der Opposition, denen man
            gelegentlich ansieht, dass sie ganz schnell zusammengeflickt wurden, nicht näher treten,
            sehr geehrter Herr Geis. 
             
            (Norbert Geis [CDU/CSU]: Zusammengeflickt worden sind sie nicht!) 
             
            Wir werden darüber im Detail noch ausführlich diskutieren können. Man merkt einfach,
            dass da die eine Vorschrift mit der anderen und die eine Intention mit der vorhergehenden
            nicht so ganz zusammenpasst. 
             
            (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich sehe das nicht so!) 
             
            Wir werden Ende dieses Monats einen neuen Entwurf vorlegen, der den Grundsatz
            berücksichtigt, dass es sich hierbei um Straftäter handelt, denen schwerste Verbrechen
            zur Last gelegt werden. Dass deshalb natürlich das Angebot einer Strafmilderung
            bestimmter Voraussetzungen, Regelungen, Begründungen und Sicherungen, die gerade unter
            rechtsstaatlichen Aspekten sehr sorgfältig abgewogen werden müssen, bedarf, darüber
            sollte in diesem Hause kein Zweifel bestehen. Wir werden mit Ihnen darüber diskutieren. 
             
            (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 
             
            Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem anderen Punkt kommen, der viele Menschen
            beschäftigt. Wir werden in der Öffentlichkeit häufig gefragt, ob die im Rahmen des
            Antiterror- bzw. des Sicherheitspaketes vorgeschlagenen Gesetze und Maßnahmen nicht zu
            einer zu starken Einschränkung des Rechtsstaats, wie es formuliert worden ist, führen
            würden. Ich antworte, bezogen auf die Vorschläge, die wir vorlegen, mit einem
            eindeutigen Nein. Wir halten die erforderliche Balance zwischen
            Sicherheit auf der einen und Rechtsstaatlichkeit und Freiheit auf der anderen Seite. 
             
            (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 
             
            Dies ist nicht ganz leicht. Ich darf in diesem Zusammenhang an die Rede erinnern, die der
            Bundespräsident vor wenigen Tagen in Leipzig gehalten hat. Er hat davon gesprochen, dass
            die gelungene Verbindung von Freiheit und Sicherheit nichts Selbstverständliches sei. Er
            hat Recht. Gerade in dieser neuen Situation, in der wir uns jetzt befinden, diese
            Verbindung herzustellen ist unsere Aufgabe. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen. Ich
            will Ihnen sehr deutlich sagen: Wir tun das auch. 
             
            Dabei halte ich die öffentliche Diskussion und die von vielen geäußerte Sorge darüber,
            ob diese Balance auch erhalten bleibt, für im Prinzip gut. 
             
            (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 
             
            Es ist ein Kennzeichen einer offenen Gesellschaft, dass immer wieder sehr sorgfältig
            darauf geschaut wird, ob eine Maßnahme bzw. eine Gesetzesänderung geeignet, erforderlich
            und im Sinne unserer freiheitlichen Grundordnung verhältnismäßig ist. 
             
            Nur, wir haben in unserem Land bereits Erfahrungen mit der Terrorismusbekämpfung gemacht.
            Auch damals, als dies aktuell war, gab es diese Diskussionen. Wir sollten uns nicht nur an
            die damals geführten Diskussionen erinnern, sondern auch an die Erfahrungen, die wir im
            Anschluss an die in diesem Zusammenhang durchgeführten Gesetzesänderungen gemacht haben.
            Die sind nämlich außerordentlich positiv. Wir haben den Terrorismus besiegen können,
            ohne den Rechtsstaat oder die Freiheit zu beschädigen und ohne die Balance zwischen
            Sicherheit und Freiheit in unserer Gesellschaft aus dem Gleichgewicht zu bringen. 
             
            (Beifall bei der SPD) 
             
            Das gibt mir die Zuversicht, dass wir dann, wenn wir die derzeit anstehenden Maßnahmen
            sorgfältig erwägen, diese Balance auch dieses Mal erhalten können. 
             
            Allerdings muss man immer wieder auf die Klarheit der Ziele hinweisen. Ich füge hinzu:
            Durch das ständige Wiederholen von Befürchtungen erreicht man diese Ausgewogenheit von
            Sicherheit und Freiheit noch nicht. 
             
            (Jörg van Essen [FDP]: Das ist sehr richtig!) 
             
            Das Ziel ist klar: Wir wollen eine offene Gesellschaft auf der Grundlage unserer
            Verfassung. Denn wir leben gerne in einer solchen Gesellschaft. Genau diese offene
            Gesellschaft greifen Terroristen an. Klarheit muss auch dahin gehend bestehen, dass wir
            den Terrorismus bekämpfen, Unterstützer zur Rechenschaft ziehen und keine Ruheräume
            zulassen werden. 
             
            (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 
             
            Ich habe erwähnt, dass das eine Aufgabe ist, deren Bewältigung wirklich schwierig wird,
            und dass dies nicht nur in einem Land vollbracht werden kann. Das ist der Grund dafür,
            warum wir uns so außerordentlich stark im Bereich der Europäischen Union und im Bereich
            des Europarates engagieren. 
             
            Im Bereich der Europäischen Union arbeiten wir mit Nachdruck an einer gemeinsamen
            Grundlage zur strafrechtlichen Bekämpfung des Terrorismus. Das fängt bei einer
            Definition des Terrorismusbegriffes an und geht dann bis zu einem europäischen Haftbefehl
            weiter, den der Bundeskanzler schon angesprochen hat und den wir benötigen. In diesem
            Zusammenhang werden auch die Institutionen Europol und Eurojust, die wir befürworten,
            genutzt. Auch hier besteht übrigens diese Balance zwischen innerer Sicherheit, Freiheit,
            Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung von Straftaten und des Terrorismus, und zwar auf
            der Basis dessen, was die Europäische Grundrechte-Charta für den Raum der Europäischen
            Union vorsieht. 
             
            Im Bereich des Europarates ist ein gemeinsames Vorgehen nicht ganz so leicht. Aber wir
            gehen mit Nachdruck in diese Richtung, auch wenn hier noch viel zu tun bleibt. 
             
            Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Dinge erwähnen. Das eine ist die Abscheu vor und
            die Ablehnung von irgendwelchen Trittbrettfahrern und Nachahmertaten, mit denen die
            Öffentlichkeit derzeit immer stärker verunsichert wird. Dass das schwerste Straftaten
            sind, die wir ablehnen, ist völlig klar. Aber in diesem Zusammenhang richte ich auch an
            die Medien die Bitte, sich zu überlegen, wie sie mit solchen Erscheinungen umgehen. 
             
            (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 
             
            Auch hier muss man Besonnenheit und Entschlossenheit miteinander verbinden. 
             
            Der zweite Punkt ist der Dank, den ich denen abstatten möchte, die heute nicht nur bei
            uns vor der Türe stehen, sondern in den letzten Tagen und Wochen verstärkt für die
            Sicherheit aller sorgen: Das sind die Polizeibeamten und natürlich auch die Beamten der
            Staatsanwaltschaften, die über ihre Dienstzeit hinaus eine Menge tun. Ich glaube, sie
            verdienen nicht nur unseren Dank, sondern auch den Dank der Öffentlichkeit. Herzlichen
            Dank! 
             
            (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU,
            der FDP und der PDS) 
             
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