Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen
Volkes.
Vom 4. Februar 1933.
Auf Grund des Artikels 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird folgendes verordnet:
A b s c h n i t t I
Versammlungen und Aufzüge
§ 1
(1) Öffentliche politische Versammlungen sowie alle Versammlungen
und Aufzüge unter freiem Himmel sind spätestens achtundvierzig Stunden vorher unter
Angabe des Ortes, der Zeit und des Verhandlungsgegenstandes der Ortspolizeibehörde
anzumelden.
(2) Sie können im Einzelfall verboten werden, wenn nach den Umständen eine
unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu besorgen ist. Statt des Verbots
kann eine Genehmigung unter Auflagen ausgesprochen werden. Zuständig
sind, soweit die obersten Landesbehörden nichts anderes bestimmen, die
Ortspolizeibehörden.
(3) Ausgenommen sind Veranstaltungen nicht politischer Art.
(4) Eine Anordnung nach Abs. 2 kann nach den Bestimmungen des Landesrechts
angefochten werden. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
§ 2
Öffentliche politische Versammlungen sowie
Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel können aufgelöst werden, |
- wenn in ihnen zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder die
innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen der verfassungsmäßigen Regierung
oder der Behörden aufgefordert oder angereizt wird, oder
- wenn in ihnen Organe, Einrichtungen, Behörden oder leitende Beamte des Staates
beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden, oder
- wenn in ihnen eine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts, ihre Einrichtungen,
Gebräuche oder Gegenstände ihrer religiösen Verehrung beschimpft oder böswillig
verächtlich gemacht werden, oder
- wenn in ihnen zu einer Gewalttat gegen eine bestimmte Person oder allgemein zu
Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen aufgefordert oder angereizt wird,
- wenn sie nicht angemeldet oder wenn sie verboten sind oder wenn von den Angaben der
Anmeldung absichtlich abgewichen oder wenn einer Auflage zuwidergehandelt wird.
|
§ 3
(1) Die Polizeibehörde ist befugt, in jede öffentliche
Versammlung Beauftragte zu entsenden.
(2) Die Beauftragten haben sich unter Kundgebung ihrer Eigenschaft dem Leiter oder,
solange dieser nicht bestellt ist, dem Veranstalter der Versammlung zu erkennen zu geben.
(3) Den Beauftragten muß ein angemessener Platz eingeräumt werden.
(4) Wird die Zulassung der Beauftragten verweigert, so kann die Versammlung für
aufgelöst erklärt werden.
§ 4
(1) Ist eine Versammlung für aufgelöst erklärt, so hat die
Polizeibehörde dem Leiter oder Veranstalter der Versammlung die mit Tatsachen zu
belegenden Gründe der Anordnung schriftlich mitzuteilen, falls er dies binnen drei Tagen
beantragt.
(2) Die Auflösung kann nach den Bestimmungen des Landesrechts angefochten werden.
§ 5
Der Reichsminister des Innern kann allgemein oder mit
Einschränkungen für das ganze Reichsgebiet oder einzelne Teile Versammlungen unter
freiem Himmel und Aufzüge sowie das Tragen einheitlicher Kleidung, die die Zugehörigkeit
zu einer politischen Vereinigung kennzeichnet, verbieten und für Zuwiderhandlungen
Gefängnisstrafe oder Geldstrafe allein oder nebeneinander androhen.
§ 6
(1) Versammlungen unter freiem Himmel und
Aufzüge dürfen von den Landesbehörden wegen unmittelbarer Gefahr für die öffentliche
Sicherheit verboten werden |
- allgemein nur für bestimmt abgegrenzte Ortsteile,
- im übrigen nur im Einzelfalle.
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Weitergehende allgemeine Verbote treten außer Kraft.
(2) Hat der Reichsminister des Innern gegen ein Verbot nach Abs. 1 Nr. 1 Bedenken,
so kann er die oberste Landesbehörde um Änderung oder Aufhebung ersuchen. Entspricht die
oberste Landesbehörde dem Ersuchen nicht, so kann er das Verbot aufheben. |
A b s c h n i t t II
Druckschriften
§ 7
(1) Druckschriften, deren Inhalt geeignet ist, die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung zu gefährden, können polizeilich beschlagnahmt und eingezogen
werden.
(2) Zuständig sind, soweit die obersten Landesbehörden nichts anderes bestimmen,
die Ortspolizeibehörden.
§ 8
Die Vorschriften des Gesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874
(Reichsgesetzbl. I S. 65) über die Beschlagnahme von Druckschriften ohne richterliche
Anordnung (§§ 23 ff. des Gesetzes) finden auf die in den §§ 81 bis 86, 92 Nr. 1 und
110 des Strafgesetzbuchs oder in den §§ 1 bis 4 des Gesetzes gegen den Verrat
militärischer Geheimnisse bezeichneten strafbaren Handlungen mit der Maßgabe Anwendung,
daß der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß des Gerichts, der die vorläufige
Beschlagnahme aufhebt, die sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung zusteht.
§ 9
(1) Periodische Druckschriften können verboten werden, |
- wenn durch ihren Inhalt die Strafbarkeit einer der in den §§ 81 bis 86, 92 Nr. 1 des
Strafgesetzbuchs oder in den §§ 1 bis 4 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer
Geheimnisse bezeichneten Handlungen begründet wird;
- wenn in ihnen zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder
die innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen der verfassungsmäßigen
Regierung oder der Behörden aufgefordert oder angereizt wird;
- wenn in ihnen zu Gewalttätigkeiten aufgefordert oder angereizt wird oder wenn in
ihnen Gewalttätigkeiten, nachdem sie begangen worden sind, verherrlicht werden;
- wenn in ihnen zu einem Generalstreik oder zu einem Streik in einem
lebenswichtigen Betriebe aufgefordert oder angereizt wird;
- wenn in ihnen Organe, Einrichtungen, Behörden oder leitende Beamte des Staates
beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden;
- wenn in ihnen eine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts, ihre Einrichtungen,
Gebräuche oder Gegenstände ihrer religiösen Verehrung beschimpft oder böswillig
verächtlich gemacht werden;
- wenn in ihnen offensichtlich unrichtige Nachrichten enthalten sind, deren Verbreitung
geeignet ist, lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden;
- wenn als verantwortlicher Schriftleiter dem Verbote des Reichsgesetzes vom 4. März 1931
zuwider jemand bestellt oder benannt ist, der nicht oder nur mit besonderer Zustimmung
oder Genehmigung strafrechtlich verfolgt werden kann.
|
(2) Die Dauer des Verbots darf bei Tageszeitungen
vier Wochen, in anderen Fällen sechs Monate nicht überschreiten. Diese Beschränkung
fällt fort, wenn eine periodische Druckschrift, die auf Grund der Vorschriften dieser
Verordnung bereits zweimal verboten war, innerhalb dreier Monate nach dem ersten Verbot
erneut verboten wird, in diesem Falle darf die Dauer des Verbots bei Tageszeitungen sechs
Monate, in anderen Fällen ein Jahr nicht überschreiten.
(3) Ein auf Grund des Abs. 1 erlassenes Verbot umfaßt auch die in demselben Verlag
erscheinenden Kopfblätter der Zeitung sowie jede angeblich neue Druckschrift, die sich
sachlich als die alte darstellt oder als ihr Ersatz anzusehen ist. |
§ 10
(1) Zuständig für das Verbot einer periodischen Druckschrift
sind die obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen. Gegen das Verbot
ist binnen zwei Wochen vom Tage der Zustellung oder Veröffentlichung ab die Beschwerde an
einen vom Präsidium zu bestimmenden Senat des Reichsgerichts gegeben. Die Beschwerde hat
keine aufschiebende Wirkung.
(2) Die Beschwerde ist bei der Stelle einzureichen, gegen deren Anordnung sie
gerichtet ist. Diese hat sie unverzüglich der obersten Landesbehörde vorzulegen. Hilft
diese der Beschwerde nicht ab so hat sie sie unverzüglich an den Reichsminister des
Innern weiterzuleiten. Der Reichsminister des Innern kann der Beschwerde abhelfen,
andernfalls hat er sie unverzüglich dem Senat des Reichsgerichts zur Entscheidung
vorzulegen. Gegen eine Entscheidung des Reichsministers des Innern, die der Beschwerde
abhilft, kann die oberste Landesbehörde die Entscheidung des Senats des Reichsgerichts
anrufen.
(3) Der Reichsminister des Innern kann die oberste Landesbehörde um das
Verbot einer periodischen Druckschrift ersuchen. Glaubt die oberste Landesbehörde, einem
solchen Ersuchen nicht entsprechen zu können, so teilt sie dies unverzüglich,
spätestens aber am zweiten Tage nach Empfang des Ersuchens, dem Reichsminister
des Innern mit und ruft innerhalb derselben Frist die Entscheidung des Senats des
Reichsgerichts an. Erklärt dieser das Verbot für zulässig, so hat die oberste
Landesbehörde dem Ersuchen sofort zu entsprechen. Einer Beschwerde gegen ein
auf Ersuchen des Reichsministers des Innern angeordnetes Verbot kann die oberste
Landesbehörde nicht abhelfen.
§ 11
(1) Eine periodische Druckschrift, die unter Duldung des Verlegers
den Beziehern einer verbotenen Druckschrift als deren Ersatz zur Abwendung der Folgen des
Verbots zugestellt wird, kann für die im § 9 Abs. 2 bestimmte Dauer
verboten werden.
(2) Zuständig für das Verbot ist die Stelle, die das erste Verbot angeordnet hat.
Erscheint die als Ersatz zugestellte periodische Druckschrift in einem anderen Lande als
die verbotene, so ist die zuständige Landesbehörde von der Stelle, die das erste Verbot
angeordnet hat, um Anordnung des Verbots der als Ersatz zugestellten periodischen
Druckschrift zu ersuchen. Will die ersuchte Behörde das Verbot nicht anordnen, so
hat sie die Entscheidung des Reichsministers des Innern anzurufen; die Vorschriften
des § 10 Abs. 3 finden entsprechende Anwendung.
(3) Gegen das Verbot ist die Beschwerde gemäß den Vorschriften des § 10 Abs. 1, 2 zulässig.
§ 12
Ein Verbot einer periodischen Druckschrift muß ohne sachliche
Nachprüfung sofort aufgehoben werden, wenn die Beschwerde nicht spätestens am fünften
Tage nach ihrer Einlegung dem Reichsminister des Innern zugeleitet ist.
§ 13
Ist in einer periodischen Druckschrift, die nicht im Inland
erscheint, eine Veröffentlichung der im § 9 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 bezeichneten Art
enthalten, so kann der Reichsminister des Innern ihre Verbreitung im Inland bis zur Dauer
von sechs Monaten verbieten. Gegen das Verbot ist kein Rechtsmittel zulässig.
A b s c h n i t t III
Sammlungen zu politischen Zwecken
§ 14
(1) Die obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten
Stellen können verbieten, daß Geld- oder Sachspenden zu politischen Zwecken oder zur
Verwendung durch politische Organisationen von Haus zu Haus, auf Straßen und Plätzen, in
Gast- und Vergnügungsstätten oder an anderen öffentlichen Orten eingesammelt werden;
das Verbot kann auf einzelne Sammlungen oder die Sammlungen bestimmter Vereinigungen
beschränkt werden. Sammlungen, die in Versammlungen oder im Zusammenhang mit ihnen
am Versammlungsort stattfinden, sowie Sammlungen von Haus zu Haus, die sich auf
Mitglieder der sammelnden Organisation beschränken, sind zulässig.
(2) Hat der Reichsminister des Innern gegen ein Verbot nach Abs. 1 Satz 1 Bedenken,
so kann er die oberste Landesbehörde um Änderung oder Aufhebung ersuchen.
Entspricht die oberste Landesbehörde dem Ersuchen nicht, so kann er das Verbot
aufheben.[1]
A b s c h n i t t IV
Strafbestimmungen
§ 15
(1) Wer öffentlich zu einer Gewalttat gegen eine bestimmte Person
oder allgemein zu Gewalttätigkeit gegen Personen oder Sachen auffordert oder anreizt,
wird, sofern nicht die Tat nach anderen Vorschriften mit einer höheren Strafe bedroht
ist, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.
(2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist auf Gefängnis nicht unter einem
Monat zu erkennen.
§ 16
(1) Mit Gefängnis, neben dem auf Geldstrafe
erkannt werden kann, wird bestraft, |
- wer ohne die nach § 1 erforderliche Anmeldung oder in absichtlicher
Abweichung von den in der Anmeldung gemachten Angaben oder unter Zuwiderhandlung gegen ein
Verbot oder eine Auflage eine Versammlung oder einen Aufzug veranstaltet oder leitet oder
dabei als Redner auftritt;
- wer für eine Versammlung, die entgegen der Vorschrift des § 1 nicht
angemeldet oder die verboten ist, den Raum zur Verfügung stellt.
|
(2) Die Vorschriften des Abs. 1 sind nicht
anzuwenden, wenn ein politischer Zweck mit der Tat nicht verbunden war und eine Störung
oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht eingetreten ist. |
§ 17
Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig
Reichsmark wird bestraft, |
- wer an einer Versammlung oder einem Aufzuge teilnimmt, die entgegen der Vorschrift des
§ 1 nicht angemeldet oder die verboten sind;
- wer als Veranstalter oder Leiter einer Versammlung den Beauftragten der Polizeibehörde
die Einräumung eines angemessenen Platzes verweigert (§ 3);
- wer sich nach Erklärung der Auflösung einer Versammlung (§§ 2, 3 Abs. 4) nicht sofort entfernt.
|
§ 18
Wer eine auf Grund der §§ 9 oder 11
verbotene periodische Druckschrift herausgibt, verlegt, druckt oder verbreitet, wird mit
Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft, neben dem auf Geldstrafe erkannt werden
kann. Ebenso wird bestraft, wer im Inland eine periodische Druckschrift verbreitet, deren
Verbreitung gemäß § 13 verboten ist.
§ 19
Mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe wird
bestraft, wer einen auf Grund der § 14 Abs. 1 Satz 1 erlassenen Verbot
über Sammlungen vorsätzlich zuwiderhandelt.[2]
§ 20
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig
Druckschriften politischen Inhalts herstellt, verbreitet oder zum Zwecke der Verbreitung
vorrätig hält, auf denen zur Verheimlichung des Ursprungs die in den §§ 6 und 7 des
Reichsgesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874 (Reichgesetzbl. S. 65)
vorgeschriebenen Angaben über Drucker, Verleger, Verfasser, Herausgeber oder
verantwortlichen Redakteur nicht enthalten oder unrichtig, unvollständig
oder unleserlich sind, wird, soweit nicht die Tat nach anderen Vorschriften mit einer
schwereren Strafe bedroht ist, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft, wenn durch die
Schrift |
- das Verbrechen des Hochverrats (§§ 81 bis 86 des Strafgesetzbuchs) oder
- ein Vergehen gegen die Vorschriften über verbotene Vereine (§ 5 der Verordnung des
Reichspräsidenten zur Erhaltung des inneren Friedens vom 19. Dezember 1932,
Reichsgesetzbl. I S. 548) oder über verbotene Druckschriften (§ 18
dieser Verordnung) oder
- eine nach den §§ 110 bis 112 des Strafgesetzbuchs oder nach § 15
dieser Verordnung strafbare Aufforderungen oder Anreizung begründet wird.
|
(2) Wer wegen einer vorsätzlichen
Zuwiderhandlung nach Abs. 1 bestraft worden ist, wird, wenn er abermals der Vorschrift des
Abs. 1 vorsätzlich zuwiderhandelt, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. §
245 des Strafgesetzbuchs findet entsprechende Anwendung.
(3) Auf Gegenstände, die zur Begehung eines nach diesen Vorschriften strafbaren
Vergehens gebraucht oder bestimmt sind, findet § 86a des Strafgesetzbuchs entsprechende
Anwendung. |
§ 21
(1) Wer von dem Vorhandensein eines Vorrats von Druckschriften,
deren Inhalt den Tatbestand einer der im § 20 Abs. 1 bis 3 bezeichneten
strafbaren Handlungen begründet, zu einem Zeitpunkt glaubhafte Kenntnis erhält, zu dem
das Vorhandensein dieses Druckvorrats der Behörde noch nicht bekannt ist, ist
verpflichtet, unverzüglich der Polizeibehörde Anzeige zu erstatten. Die in seinen Besitz
oder Gewahrsam gelangten Stücke der Druckschrift hat er unverzüglich der Polizeibehörde
abzuliefern.
(2) Wer es unterläßt, die Anzeige oder Ablieferung rechtzeitig zu bewirken, wird
mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft.
(3) Straffrei ist, wer eine Anzeige unterläßt, die er gegen Verwandte auf- und
absteigender Linie, Ehegatten oder Geschwister erstatten müßte. Ein Geistlicher ist
nicht verpflichtet, anzuzeigen, was ihm bei Ausübung der Seelsorge anvertraut worden ist.
§ 22
(1) Wer in dem dringenden Verdacht einer nach den §§ 81 bis 86,
92 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs oder den §§ 1 bis 4 des Gesetzes gegen den Verrat
militärischer Geheimnisse strafbaren Handlung oder eines Verbrechens oder Vergehens
steht, das mittels einer Waffe begangen ist oder dessen Strafbarkeit durch unbefugtes
Führen einer Waffe oder unbefugten Erscheinens mit einer Waffe begründet wird, kann im
Interesse der öffentlichen Sicherheit in polizeiliche Haft genommen werden.
(2) Die polizeiliche Haft ist aufzuheben, wenn und solange gegen den Verhafteten
die gerichtliche Untersuchungshaft verhängt ist, oder wenn drei Monate seit der
Inhaftnahme vergangen sind.
(3) Gegen die Anordnung der polizeilichen Haft ist die Beschwerde im
Dienstaufsichtswege zulässig.
(4) Bestreitet der Verhaftete die Begehung der ihm zur Last gelegten Tat, so hat
auf seinen Antrag über die Frage, ob dringender Tatverdacht vorliegt, der Amtsrichter des
Bezirks zu entscheiden, in dem die Haft vollstreckt wird. Verneint der
Amtsrichter einen dringenden Tatverdacht, so ist die polizeiliche Haft aufzuheben. Das
gleiche gilt, wenn eine einen dringenden Tatverdacht verneinende gerichtliche Entscheidung
in dem Strafverfahren ergeht, das wegen der Tat eingeleitet worden
ist. Bejaht der Amtsrichter den dringenden Tatverdacht, so kann der Verhaftete eine
neue Entscheidung des Amtsrichtern nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel
beantragen.
§ 23
(1) Räumlichkeiten, |
- von denen aus eine Mehrheit von Personen aus politischen Beweggründen oder zu
politischen Zwecken gemeinsam oder zusammen mit anderen Gewalttätigkeiten gegen Personen
oder Sachen begangen hat, oder von denen nach den Umständen zu besorgen ist, daß sie von
einer Mehrheit von Personen für Gewalttätigkeiten dieser Art benutzt werden, oder
- in denen Schriften hergestellt oder zum Zwecke der Verbreitung vorrätig gehalten
werden, deren Inhalt den Tatbestand einer der im § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis
3 bezeichneten strafbaren Handlungen begründet oder
- in denen einer Mehrheit von Personen Aufenthalt oder Unterkunft gewährt wird, die in
diesen Räumen eine nach § 5 der Verordnung des Reichspräsidenten zur Erhaltung des
inneren Friedens vom 19. Dezember 1932 (Reichsgesetzbl. I S. 548) verbotene Tätigkeit
ausüben,
|
können polizeilich geschlossen werden, wenn dies für
die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur
Beseitigung der Gefahr der Wiederholung solcher Taten erforderlich ist. Die in solchen
Räumlichkeiten befindlichen Waffen können polizeilich beschlagnahmt und eingezogen
werden.
(2) Das Verbot kann auf Räume erstreckt werden, die mit den im Abs. 1 bezeichneten
Räumlichkeiten zusammenhängen.
(3) Handelt es sich um eine Gast- oder Schankwirtschaft, so kann die Erlaubnis zum
Betriebe von der Ortspolizeibehörde bis zur Dauer von einem Jahr entzogen werden.
(4) Gegen eine polizeiliche Maßnahme nach Abs. 1 bis 3 ist nur die Beschwerde im
Dienstaufsichtswege zulässig. Der Reichsminister des Innern ist jederzeit berechtigt, die
Aufhebung der Maßnahme anzuordnen.
(5) Wer eine nach Abs. 1 bis 3 polizeilich geschlossene Räumlichkeit vor Aufhebung
der Schließung benutzt oder anderen zur Benutzung überläßt, wird mit Gefängnis nicht
unter drei Monaten bestraft. Bei Gast- oder Schankwirten, die wegen Zuwiderhandlung gegen
die Vorschrift rechtskräftig verurteilt worden sind, kann die höhere Verwaltungsbehörde
mit Wirkung für das Reichsgebiet aussprechen, daß sie für eine bestimmte Zeit oder für
die Dauer nicht die Zuverlässigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des
Gaststättengesetzes vom 28. April 1930 (Reichsgesetzbl. I S. 146) besitzen. |
§ 24
(1) Zur Aburteilung der in dieser Verordnung mit Strafe bedrohten
Handlungen ist das Verfahren nach § 212 der Strafprozeßordnung auch dann zulässig, wenn
der Beschuldigte sich weder freiwillig stellt noch infolge einer vorläufigen Festnahme
dem Gericht vorgeführt wird.
(2) Dasselbe gilt für alle übrigen zur Zuständigkeit der Amtsgerichte
gehörenden strafbaren Handlungen, die an öffentlichen Orten, in Versammlungen oder durch
Verbreitung oder Anschlag von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen begangen worden
sind.
A b s c h n i t t V
Schlußvorschriften
§ 25
(1) Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Rechts-
und Verwaltungsvorschriften erläßt der Reichsminister des Innern, und zwar, soweit es
sich um Vorschriften über das Verfahren vor dem Senat des Reichsgerichts handelt, im
Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz. Er kann, soweit er es für erforderlich
hält, Richtlinien für die Handhabung der Vorschriften dieser Verordnung erlassen.
(2) Der Kreis der leitenden Beamten im Sinne dieser Verordnung (§ 2
Nr. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 5) wird, soweit es sich um Reichsbeamte handelt,
von dem Reichsminister des Innern, soweit es sich um Landesbeamte handelt, von den
Landesregierungen bestimmt.
§ 26
(1) Diese Verordnung tritt mit dem Tage nach ihrer Verkündung in
Kraft.[3]
(2) Während ihrer Geltungsdauer sind die Vorschriften der §§ 2, 6 bis 8 der
Verordnung des Reichspräsidenten zur Erhaltung des inneren Friedens vom 19. Dezember 1932
(Reichsgesetzbl. I S. 548) nicht anzuwenden.
Berlin, den 4. Februar 1933.
Der Reichspräsident
von Hindenburg
Der Reichskanzler
Adolf Hitler
Der Reichsminister des Innern
Frick
Der Reichsminister der Justiz
Dr. Gürtner
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