| Gesetz über den Erwerb und den Verlust der Bundes- und
            Staatsangehörigkeit. Vom 1. Juni 1870.[1]
 
 
 Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc.verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes
            und des Reichstages, was folgt:
 §. 1.   [1] Die Bundesangehörigkeit wird durch die
            Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate erworben und erlischt mit deren Verlust.[2] Angehörige des Großherzogthums Hessen besitzen die Bundesangehörigkeit
            nur dann, wenn sie in den zum Bunde gehörigen Theilen des Großherzogthums
            heimathsberechtigt sind.
 §. 2. 
              
                | [1] Die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate
                wird fortan nur begründet: |  
                |  | 1) durch Abstammung (§. 3.), 2) durch Legitimation (§. 4.),
 3) durch Verheirathung (§. 5.)
 4) für einen Norddeutschen durch Aufnahme und (§§. 6. ff.)
 5) für einen Ausländer durch Naturalisation
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                | [2] Die Adoption hat für sich allein diese Wirkung
                nicht. |  §. 3.   Durch die Geburt, auch wenn diese im Auslande erfolgt, erwerben
            eheliche Kinder eines Norddeutschen die Staatsangehörigkeit des Vaters, uneheliche Kinder
            einer Norddeutschen die Staatsangehörigkeit der Mutter. §. 4.   Ist der Vater eines unehelichen Kindes ein Norddeutscher und besitzt die
            Mutter nicht die Staatsangehörigkeit des Vaters, so erwirbt das Kind durch eine den
            gesetzlichen Bestimmungen gemäß erfolgte Legitimation die Staatsangehörigkeit des
            Vaters. §. 5.   Die Verheirathung mit einem Norddeutschen begründet für die
            Ehefrau die Staatsangehörigkeit des Mannes. §. 6.   Die Aufnahme, sowie die Naturalisierung (§. 2.
            Nr. 4. und 5.) erfolgt durch eine von der höheren Verwaltungsbehörde ausgefertigte
            Urkunde. §. 7.   Die Aufnahme-Urkunde wird jedem Angehörigen eines anderen
            Bundesstaates ertheilt, welcher um dieselbe nachsucht und nachweist, daß er in dem
            Bundesstaate, in welchem er die Aufnahme nachsucht, sich niedergelassen habe, sofern kein
            Grund vorliegt, welcher nach den §§. 2. bis 5. des Gesetzes über die
            Freizügigkeit vom 1. November 1867 (Bundesgesetzbl. S. 55.) die Abweisung eines
            Neuanziehenden oder die Versagung der Fortsetzung des Aufenthalts rechtfertigt. §. 8. 
              
                | [1] Die Naturalisations-Urkunde darf Ausländern nur
                dann ertheilt werden, wenn sie |  
                |  | 1) nach den Gesetzen ihrer bisherigen Heimath dispositionsfähig sind, es
                sei denn, daß der Mangel der Dispositionsfähigkeit durch die Zustimmung des Vaters, des
                Vormundes oder Kurators des Aufzunehmenden ergänzt wird; 2) einen unbescholtenen Lebenswandel geführt haben;
 3) an dem Orte, wo sie sich niederlassen wollen, eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen
                finden;
 4) an diesem Orte nach den daselbst bestehenden Verhältnissen sich und ihre Angehörigen
                zu ernähren im Stande sind.
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                |   [2] Vor Ertheilung der
                Naturalisations-Urkunde hat die höhere Verwaltungsbehörde die Gemeinde, beziehungsweise
                den Armenverband desjenigen Orts, wo der Aufzunehmende sich niederlassen will, in
                Beziehung auf die Erfordernisse unter Nr. 2. 3. und 4.mit ihrer Erklärung zu hören.[3] Von Angehörigen der Königreiche Bayern und Württemberg und des
                Großherzogthums Baden soll, im Falle der Reziprozität, bevor sie naturalisirt werden,
                der Nachweis, daß sie die Militairpflicht gegen ihr bisheriges Vaterland erfüllt haben
                oder davon befreit worden sind, gefordert werden.
 |  §. 9.   [1] Eine von der Regierung oder von einer Central- oder
            höheren Verwaltungsbehörde eines Bundesstaates vollzogene oder bestätigte Bestallung
            für einen in den unmittelbaren oder mittelbaren Staatsdienst oder in den Kirchen-,
            Schul- oder Kommunaldienst aufgenommenen Ausländer oder Angehörigen eines anderen
            Bundesstaates vertritt die Stelle der Naturalisations-Urkunde, beziehungsweise
            Aufnahme-Urkunde, sofern nicht ein entgegenstehender Vorbehalt in der
            Bestallung ausgedrückt wird.[2] Ist die Anstellung eines Ausländers im Bundesdienst erfolgt, so
            erwirbt der Angestellte die Staatsangehörigkeit in demjenigen Bundesstaate,
            in welchem er seinen dienstlichen Wohnsitz hat.
 §. 10.   Die Naturalisations-Urkunde, beziehungsweise Aufnahme-Urkunde,
            begründet mit dem Zeitpunkte der Aushändigung alle mit der Staatsangehörigkeit
            verbundenen Rechte und Pflichten. §. 11.   Die Verleihung der Staatsangehörigkeit erstreckt sich, insofern
            nicht dabei eine Ausnahme gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau und die noch unter
            väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder. §. 12.   Der Wohnsitz innerhalb eines Bundestaates begründet für sich allein die
            Staatsangehörigkeit nicht. §. 13. 
              
                | Die Staatsangehörigkeit geht fortan nur verloren: |  
                |  | 1) durch Entlassung auf Antrag (§§. 14. ff.); 2) durch Ausspruch der Behörde (§§. 20. und 22.);
 3) durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande (§. 21.);
 4) bei unehelichen Kindern durch eine den gesetzlichen Bestimmungen gemäß erfolgte
                Legitimation, wenn der Vater einem anderen Staate angehört als die Mutter,
 5) bei einer Norddeutschen durch Verheirathung mit dem Angehörigen eines anderen
                Bundesstaates oder mit einem Ausländer.
 |  §. 14.   Die Entlassung wird durch eine von der höheren
            Verwaltungsbehörde des Heimathsstaates ausgefertigte Entlassungsurkunde ertheilt. §. 15. 
              
                |   [1] Die Entlassung wird jedem
                Staatsbürger ertheilt, welcher nachweist, daß er in einem anderen Bundesstaate die
                Staatsangehörigkeit erworben hat.[2] In Ermangelung dieses Nachweises darf sie nicht ertheilt werden:
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                |  | 1) Wehrpflichtigen, welche sich in dem Alter vom vollendeten siebenzehnten
                bis zum vollendeten fünf und zwanzigsten Lebensjahre befinden, bevor sie ein Zeugniß der
                Kreis-Ersatzkommission, darüber beigebracht haben, daß sie die Entlassung nicht blos in
                der Absicht nachsuchen, um sich der Dienstpflicht im stehenden Heere oder in der Flotte zu
                entziehen; 2) Militairpersonen, welche zum stehenden Heere oder zur Flotte gehören, Offizieren des
                Beurlaubtenstandes und Beamten, bevor sie aus dem Dienste entlassen sind;
 3) den zur Reserve des stehenden Heeres und zur Landwehr, sowie den zur Reserve der Flotte
                und zur Seewehr gehörigen und nicht als Offiziere angestellten Personen, nachdem sie zum
                aktiven Dienste einberufen worden sind.
 |  §. 16.   Norddeutschen, welche nach dem Königreich Bayern, dem Königreich
            Württemberg oder dem Großherzogthum Baden oder nach den nicht zum Bunde gehörigen
            Theilen des Großherzogthums Hessen auswandern wollen, ist im Falle der Reziprozität die
            Entlassung verweigern, so lange sie nicht nachgewiesen haben, daß der betreffende Staat
            sie aufzunehmen bereit ist. §. 17.   Aus anderen als aus den in den §§. 15. und 16. bezeichneten Gründen darf in Friedenzeiten die Entlassung nicht
            verweigert werden. Für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr bleibt dem
            Bundespräsidium der Erlaß besonderer Anordnung vorbehalten. §. 18.   [1] Die Entlassungs-Urkunde bewirkt mit dem Zeitpunkte der
            Aushändigung den Verlust der Staatsangehörigkeit.[2] Die Entlassung wird unwirksam, wenn der Entlassene nicht binnen sechs
            Monaten vom Tage der Aushändigung der Entlassungs-Urkunde an seinen Wohnsitz
            außerhalb des Bundesgebietes verlegt oder die Staatsangehörigkeit in einem
            anderen Bundesstaate erwirbt.
 §. 19.   Die Entlassung erstreckt sich, insofern nicht dabei eine Ausnahme
            gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau und die noch unter väterlicher Gewalt stehenden
            minderjährigen Kinder. §. 20.   Norddeutsche, welche sich im Auslande aufhalten, können ihrer
            Staatsangehörigkeit durch einen Beschluß der Centralbehörde ihres Heimathsstaates
            verlustig erklärt werden, wenn sie im Falle eines Krieges oder einer Kriegsgefahr einer
            durch das Bundespräsidium für das ganze Bundesgebiet anzuordnenden ausdrücklichen
            Aufforderung zur Rückkehr binnen der darin bestimmten Frist keine Folge leisten. §. 21.   [1] Norddeutsche, welche das Bundesgebiet verlassen und sich zehn
            Jahre lang ununterbrochen im Auslande aufhalten, verlieren dadurch ihre
            Staatsangehörigkeit. Die vorbezeichnete Frist wird von dem Zeitpunkte des Austritts aus
            dem Bundesgebiete oder, wenn der Austretende sich im Besitz eines Reisepapieres oder
            Heimathsscheines befindet, von dem Zeitpunkte des Ablaufs dieser Papiere an gerechnet. Sie
            wird unterbrochen durch die Eintragung in die Matrikel eines Bundeskonsulats. Ihr
            Lauf beginnt von Neuem mit dem auf die Löschung in der Matrikel folgenden Tage.[2] Der hiernach eingetretene Verlust der Staatsangehörigkeit erstreckt sich
            zugleich auf die Ehefrau und die unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen
            Kinder, soweit sie sich bei dem Ehemanne, beziehungsweise Vater befinden.
 [3] Für Norddeutsche, welche sich in einem Staate des Auslandes mindestens
            fünf Jahre lang ununterbrochen aufhalten und in demselben zugleich die
            Staatsangehörigkeit erwerben, kann durch Staatsvertrag die zehnjährige Frist bis
            auf eine fünfjährige vermindert werden, ohne Unterschied, ob die Betheiligten sich
            im Besitze eines Reisepapieres oder Heimathsscheines befinden oder nicht.
 [4] Norddeutschen, welche ihre Staatsangehörigkeit durch zehnjährigen
            Aufenthalt im Auslande verloren und keine andere Staatsangehörigkeit erworben haben,
            kann die Staatsangehörigkeit in dem früheren Heimathsstaate wieder verliehen
            werden, auch ohne daß sie sich dort niederlassen.
 [5] Norddeutsche, welche ihre Staatsangehörigkeit durch zehnjährigen Aufenthalt
            im Auslande verloren haben und demnächst in das Gebiet des Norddeutschen Bundes
            zurückkehren, erwerben die Staatsangehörigkeit in demjenigen Bundesstaate, in welchem
            sie sich niedergelassen haben, durch eine von der höheren Verwaltungsbehörde
            ausgefertigte Aufnahme-Urkunde, welche auf Nachsuchen ihnen ertheilt werden muß.
 §. 22.   Tritt ein Norddeutscher ohne Erlaubniß seiner Regierung in fremde
            Staatsdienste, so kann die Centralbehörde seines Heimathsstaates denselben durch
            Beschluß seiner Staatsangehörigkeit verlustig erklären, wenn er einer ausdrücklichen
            Aufforderung zum Austritte binnen der darin bestimmten Frist keine Folge leistet. §. 23.   Wenn ein Norddeutscher mit Erlaubniß seiner Regierung bei einer
            fremden Macht dient, so verbleibt ihm seine Staatsangehörigkeit. §. 24.   [1] Die Ertheilung von Aufnahme-Urkunden und in den Fällen des
            §. 15. Absatz 1 von Entlassungs-Urkunden erfolgt kostenfrei.[2] Für die Ertheilung von Entlassungs-Urkunden in anderen als den im §. 15. Absatz 1 bezeichneten Fällen darf an Stempelabgaben und
            Ausfertigungsgebühren zusammen nicht mehr als höchstens Ein Thaler erhoben werden.
 § 25.   [1] Für die beim Erlasse dieses Gesetzes im Auslande sich
            aufhaltenden Angehörigen derjenigen Bundesstaaten, nach deren Gesetzen die
            Staatsangehörigkeit durch einen zehnjährigen oder längeren Aufenthalt im Auslande
            verloren ging, wird der Lauf dieser Frist durch dieses Gesetz nicht unterbrochen.[2] Für die Angehörigen der übrigen Bundesstaaten beginnt der Lauf der im §. 21. bestimmten Frist mit dem Tage der Wirksamkeit dieses Gesetzes.
 §. 26.   Alle diesem Gesetz zuwiderlaufenden Vorschriften werden aufgehoben. §. 27.   Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1871. in Kraft.
 
 Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und
            beigedrucktem Bundes-Insiegel.
 
 Gegeben Schloß Babelsberg, den 1. Juni 1870.[2]
 
              
                |  | (L. S.)     Wilhelm.
 Gr. v. Bismarck-Schönhausen.
 
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