Erwiderungen des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) zu den vorangegangenen Reden zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat

vom 22. März 2002


Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr Bundesminister Schily.

(Unruhe)


Otto Schily, Bundesminister des Innern: Ich merke, dass Unruhe herrscht, aber ich bitte um Verständnis: Wenn wir über eine solch wichtige Frage diskutieren, müssen wir uns doch die Zeit dafür nehmen.

Die letzten Wortmeldungen von Herrn Ministerpräsident Müller und vor allen Dingen von Herrn Kollegen Beckstein machen sehr deutlich, was Sie mit dem Vermittlungsverfahren bezwecken, nämlich gar nichts. Sie wollen nur das Gesetz verhindern. Nach dem, was Sie hier vorgetragen haben, ist es klar, dass Sie sich auf keinen Kompromiss einlassen wollen. Insofern stimme ich Ihrer Aussage zu, Herr Beckstein: Der Weg ist das Ziel. Das Ziel ist deutlich erkennbar geworden. Sie versuchen, von dem Gesetz ein Bild zu zeichnen - Herr Ministerpräsident Gabriel hat es sehr deutlich gemacht - , das mit dem realen Inhalt des Gesetzes nichts zu tun hat. Sie versuchen auch, Verwirrung zu stiften.

Selbstverständlich soll das Gesetz - ich wiederhole dies - für Selbstständige, , für Arbeitsuchende, die sich am wirtschaftlichen Fortkommen unseres Landes beteiligen wollen, Zuwanderung ermöglichen. Wir werden aber zugleich den Zuzug an anderen Stellen in die Sozialsysteme verringern.

Ich greife ein Beispiel heraus, das Sie, Herr Kollege Beckstein, zuletzt angesprochen haben. Auch Herr Gabriel hat es zu Recht angesprochen. Ich meine den Zuzug von Familienangehörigen von Aussiedlern. Das sind nach Schätzungen immerhin 75 000 Menschen jährlich. Wir haben in unserem Gesetz an dieser Stelle eine kleine Bremse vorgesehen, die nicht einmal so weit geht wie Herr Ministerpräsident Gabriel, dass ein individuelles Verfolgungsschicksal angenommen werden muss. Wir sagen nur, dass es für den Nachzug nichtdeutscher Ehegatten und Abkömmlinge des Nachweises von Deutschkenntnissen in den Herkunftsgebieten bedarf. Einer der 16 Punkte, die Sie für nicht verhandelbar erklärt haben, ist die Ablehnung dessen, was wir hier ins Gesetz hineingeschrieben haben. Das heißt, Sie wollen die ungebremste Zuwanderung von integrationsschwierigen Menschen in die Sozialsysteme. Das ist die Wahrheit, Herr Beckstein. Daran kommen Sie nicht vorbei.

Ich meine, dass Sie die Dinge durcheinander bringen, Herr Beckstein. Sie haben hier meinen Freund Herrn Vitorino zitiert. Wenn Sie ihn auslegen, wie Sie es hier getan haben, hätten wir die Green-Card-Regelung nicht einführen können. Was Sie vorgetragen haben, ist rechtlich nicht haltbar. Darüber sollten Sie noch einmal nachdenken.

Sie haben übrigens eine Reihe von Zitaten gebracht, die zum Teil aus dem Zusammenhang gerissen sind. Sie sind aber sicherlich auch mit einem Fragezeichen zu versehen. Bei früherer Gelegenheit habe ich einmal gesagt, ich leiste mir den Luxus des Denkens und kann durchaus auch manchmal von einer früheren Aussage abrücken. Das fällt Ihnen schwer - mir nicht. Wenn ich über eine Frage gründlicher nachgedacht habe, komme ich auch einmal zu neuen Ergebnissen. Vielleicht kann die heutige Bundesratssitzung dazu führen, dass man sich von seinen vorgefassten Meinungen löst. Das wäre des Schweißes der Edlen wert.

Deshalb sollte ich Sie auf folgende weitere Sachverhalte hinweisen.

Genfer Flüchtlingskonvention: Wer das Gesetz wirklich ehrlich liest, kann die Bedenken von Herrn Ministerpräsident Müller wahrlich nicht ernst nehmen, sondern muss feststellen, dass das Gesetz sehr klar ist. Wir wissen aber aus der Praxis der Vergangenheit, dass auch bei einem klaren Gesetz Anwendungshinweise hilfreich sind.

Im Übrigen sind die Erklärungen, die ich auch auf Grund des Beitrags von Herrn Ministerpräsident Stolpe abgegeben habe, nicht nur darauf ausgerichtet festzulegen, wie die Auslegung eines Gesetzes in der Anwendung ist. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir die Auswirkungen des Gesetzes unterschiedlich beurteilen. Sie gehen von bestimmten Auswirkungen des Gesetzes aus, wir von anderen. Dann ist es völlig legitim zu sagen - -

(Zuruf)

- Machen Sie sich keine Gedanken darüber, wie lange ich im Amt sein werde. Sie werden sich noch darüber wundern, wie lange ich im Amt bin.

(Heiterkeit)

- Ich tue etwas für die Entlastung der Rentenkasse, wie Sie wissen. Das freut Herrn Riester. - Wir können uns doch darauf verständigen, dass wir nach einem gewissen Zeitraum überprüfen, welche Voraussage richtig und welche falsch war.

Was den Zuwachs an Zuwanderung angeht, sollten wir unterscheiden, woher er denn kommen soll. Herr Ministerpräsident Müller, Sie machen beim Regelverfahren den Fehler, dass Sie nur eine Quotierung im Hinterkopf haben. Ich sage: Zuwanderung an dieser Stelle wird nur zugelassen, wenn es einen konkreten Arbeitsplatz gibt, der anderweitig nicht besetzt werden kann.

Weil Sie das Verfahren getadelt haben, möchte ich darauf hinweisen, dass wir an dieser Stelle den Verwaltungsausschuss sehr bewusst eingesetzt haben, weil er eine Beteiligung der Kommunen ermöglicht. Wenn die Integrationsfähigkeit einer Kommune überschritten ist, kann es ja sein, dass man, unabhängig von wirtschaftlichen Erwägungen, Zuwanderung nicht zulässt. Deshalb soll die Gemeinde daran mitwirken. Das haben wir an dieser Stelle vorgesehen. In § 1, der der Leitgedanke für das gesamte Gesetzeswerk ist, haben wir gesagt: Zuzug unter Berücksichtigung der Integrationsfähigkeit des Landes.

Ich will Ihre Geduld nicht weiter in Anspruch nehmen.

Was den Anwerbestopp betrifft, Herr Ministerpräsident Müller: Wenn man ein flexibles System haben will, das wirtschaftsgerecht ist, muss man sich davon lösen. Das bedeutet nicht, dass wir beliebig viele Menschen in das Land lassen, sondern nur bei einem konkreten wirtschaftlichen Hintergrund unter Berücksichtigung aller Belange des Arbeitsmarktes, so wie wir das im Falle der IT-Fachleute getan haben. Ich kann nur wiederholen: Genau das ist ein Beispiel dafür, wie mit Zuzug in einem begrenzten Umfang - 10 000 Menschen sind bei einer Bevölkerungszahl von 82 Millionen in unserem Land wahrlich keine Größenordnung, die uns in Unruhe versetzen sollte - positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt von bis zu 30 000 Arbeitsplätzen erreicht werden können. Das Zweieinhalb- bis Dreifache der Zuzugszahl wird an Arbeitsplätzen für die einheimische Bevölkerung geschaffen. Das Gleiche können Sie durch das moderne Zuwanderungsgesetz erreichen, das heute auf dem Tisch liegt.

Bitte entscheiden Sie entsprechend Ihrer Verantwortung!

 

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Quelle: Bundesrat, Stenographischer Bericht der 774. Sitzung vom 22.03.2002 (Plenarprotokoll 774).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Erwiderungen des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) zu den vorangegangenen Reden im Bundesrat zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat (22.03.2002), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2002/rede_schily_zuwanderungsgesetz03.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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