Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten.
Vom 31. März 1873.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Koenig von
Preußen etc.
verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und
des Reichstages, was folgt:
Allgemeine Bestimmungen.
§. 1.
Reichsbeamter im Sinne dieses Gesetzes ist jeder Beamte, welcher
entweder vom Kaiser angestellt oder nach Vorschrift der Reichsverfassung
den Anordnungen des Kaisers Folge zu leisten verpflichtet ist.
§. 2.
Soweit die Anstellung der Reichsbeamten nicht unter dem
ausdrücklichen Vorbehalt des Widerrufs oder der Kündigung erfolgt, gelten dieselben als
auf Lebenszeit angestellt.
§. 3.
Vor dem Dienstantritte ist jeder Reichsbeamte auf die Erfüllung
aller Obliegenheiten des ihm übertragenen Amtes eidlich zu verpflichten.
§. 4.
[1] Jeder Reichsbeamte erhält bei seiner Anstellung eine
Anstellungs-Urkunde.
[2] Der Anspruch des Beamten auf Gewährung des mit dem Amte verbundenen
Diensteinkommens beginnt in Ermangelung besonderer Festsetzungen mit dem Tage des
Amtsantritts, in Betreff später bewilligter Zulagen mit dem Tage der Bewilligung.
§. 5.
[1] Die Zahlung des Gehalts erfolgt monatlich im voraus. Dem
Bundesrath bleibt vorbehalten, diejenigen Beamten zu bestimmen, an welche die
Gehaltszahlung vierteljährlich stattfinden soll.
[2] Beamte, welche bis zum Erlasse dieses Gesetzes ihr Gehalt vierteljährlich
bezogen haben, sollen dasselbe jedenfalls bis zu ihrer Beförderung in ein höheres Amt in
gleicher Weise fortbeziehen.
§. 6.
[1] Die Reichsbeamten können den auf die Zahlung von
Diensteinkünften, Wartegeldern oder Pensionen ihnen zustehenden Anspruch mit rechtlicher
Wirkung nur in soweit cediren, verpfänden oder sonst übertragen, als sie der
Beschlagnahme unterliegen (§. 19).
[2] Die Benachrichtigung an die auszahlende Kasse geschieht durch eine der Kasse
auszuhändigende öffentliche Urkunde.
§. 7.
Hinterläßt ein Beamter, welcher mit der Wahrnehmung einer in den
Besoldungs-Etats aufgeführten Stelle betraut ist, eine Witwe oder eheliche Nachkommen, so
gebührt den Hinterbliebenen für das auf den Sterbemonat folgende Vierteljahr nach die
volle Besoldung des Verstorbenen (Gnadenquartal), unbeschadet jedoch weitergehender
Ansprüche, welche ihm etwa vor Erlaß dieses Gesetzes und vor Eintritt in den
Reichsdienst zugestanden worden sind. Zur Besoldung im Sinne der vorstehenden Bestimmung
gehören außer dem Gehalt auch die sonstigen, dem Verstorbenen aus Reichsfonds gewährten
Dienstemolumente, soweit dieselben nicht als Vergütung für baare Auslagen zu betrachten
sind. An wen die Zahlung des Gnadenquartals zu leisten ist, bestimmt die vorgesetzte
Dienststelle. Das Gnadenquartal kann nicht Gegenstand der Beschlagnahme sein.
§. 8.
Die Gewährung des Gnadenquartals kann in Ermangelung der im §. 7 bezeichneten Hinterbliebenen mit Genehmigung der obersten Reichsbehörde
auch dann stattfinden, wenn der Verstorbene Eltern, Geschwister, Geschwisterkinder oder
Pflegekinder, deren Ernährer er war, in Bedürftigkeit hinterläßt, oder wenn der
Nachlaß nicht ausreicht, um die Kosten der letzten Krankheit und der Beerdigung zu
decken.
§. 9.
[1] In dem Genusse der von dem verstorbenen Beamten bewohnten
Dienstwohnung ist die hinterbliebene Familie nach Ablauf des Sterbemonats noch drei
fernere Monate zu belassen.
[2] Hinterläßt der Beamte keine Familie, so ist denjenigen, auf welche seine
Nachlaß übergeht, eine vom Todestage an zu rechnende dreißigtätige Frist zur Räumung
der Dienstwohnung zu gewähren.
[3] In jedem Falle müssen Arbeits- und Sessionszimmer, sowie sonstige für den
amtlichen Gebrauch bestimmte Lokalitäten sofort geräumt werden.
§. 10.
Jeder Reichsbeamte hat die Verpflichtung, das ihm übertragene Amt
der Verfassung und den Gesetzen entsprechend gewissenhaft
wahrzunehmen und durch sein Verhalten in und außer dem Amte der Achtung, die sein Beruf
erfordert, sich würdig zu zeigen.
§. 11.
Ueber die vermöge seines Amtes ihm bekannt gewordenen
Angelegenheiten deren Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich oder von seinem
Vorgesetzten vorgeschrieben ist, hat der Beamte Verschwiegenheit zu beobachten, auch
nachdem das Dienstverhältniß aufgelöst ist.
§. 12.
[1] Bevor ein Reichsbeamter als Sachverständiger ein
außergerichtliches Gutachten abgiebt, hat derselbe dazu die Genehmigung seiner
vorgesetzten Dienstbehörde einzuholen.
[2] Ebenso haben Reichsbeamte, auch wenn sie nicht mehr im Dienste sind, ihr
Zeugniß in Betreff derjenigen Thatsachen, auf welche die Verpflichtung zur
Amtsverschwiegenheit sich bezieht, insoweit zu verweigern, als sie nicht dieser
Verpflichtung in dem einzelnen Falle durch die ihnen vorgesetzte oder zuletzt vorgesetzt
gewesene Dienstbehörde entbunden sind.
§. 13.
Jeder Reichsbeamte ist für die Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen
Handlungen verantwortlich.
§. 14.
[1] Die Vorschriften über den Urlaub der Reichsbeamten und deren
Stellvertretung werden vom Kaiser erlassen.
[2] In Krankheitsfällen, sowie in solchen Abwesenheitsfällen, zu denen die
Beamten eines Urlaubes nicht bedürfen (Reichsverfassung
Art. 21), findet ein Abzug vom Gehalte nicht statt. Die
Stellvertretungskosten fallen der Reichskasse zur Last.
[3] Ein Beamter, welcher sich ohne den vorschriftsmäßigen Urlaub von seinem Amte
entfernt, oder den ertheilten Urlaub überschreitet, ist, wenn ihm nicht besondere
Entschuldigungsgründe zur Seite stehen, für die Zeit der unerlaubten Entfernung seines
Diensteinkommens verlustig.
§. 15.
[1] Die vom Kaiser angestellten Beamten dürfen Titel,
Ehrenzeichen, Geschenke, Gehaltsbezüge oder Remunerationen von anderen Regenten oder
Regierungen nur mit Genehmigung des Kaisers annehmen.
[2] Zur Annahme von Geschenken oder Belohnungen in Bezug auf sein Amt bedarf
jeder Reichsbeamte der Genehmigung der obersten Reichsbehörde.
§. 16.
[1] Kein Reichsbeamter darf ohne vorgängige Genehmigung der
obersten Reichsbehörde ein Nebenamt oder eine Nebenbeschäftigung, mit welcher eine
fortlaufende Remuneration verbunden ist, übernehmen oder ein Gewerbe betreiben. Dieselbe
Genehmigung ist zu dem Eintritt eines Reichsbeamten in den Vorstand, Verwaltungs- oder
Aufsichtsrath einer jeden auf Erwerb gerichteten Gesellschaft erforderlich. Sie darf
jedoch nicht ertheilt werden, sofern die Stelle mittelbar oder unmittelbar mit einer
Remuneration verbunden ist.
[2] Die ertheilte Genehmigung ist jederzeit widerruflich.
[3] Auf Wahlkonsuln und einstweilen in den Ruhestand versetzte Beamte finden diese
Bestimmungen keine Anwendung.
§. 17.
Titel, Rang und Uniform der Reichsbeamten werden durch Kaiserliche Verordnung
bestimmt.
§. 18.
Die Höhe der den Reichsbeamten bei dienstlicher Beschäftigung
außerhalb ihres Wohnortes zustehenden Tagegelder und Fuhrkosten, ingleichen der Betrag
der bei Versetzung derselben zu vergütenden Umzugskosten, wird durch eine im Einvernehmen
mit dem Bundesrathe zu erlassenden Verordnung des Kaisers geregelt.
§. 19.
[1] Auf die Rechtsverhältnisse der aktiven und der aus dem
Dienste geschiedenen Reichsbeamten, über welche nicht durch Reichsgesetz Bestimmung
getroffen ist, finden diejenigen gesetzlichen Vorschriften Anwendung, welche an ihren
Wohnorten für die aktiven, beziehungsweise für die aus dem Dienste geschiedenen
Staatsbeamten gelten. Für diejenigen Reichsbeamten, deren Wohnort außerhalb der
Bundesstaaten sich befindet, kommen hinsichtlich dieser Rechtsverhältnisse vor deutschen
Behörden die gesetzlichen Bestimmungen ihres Heimathsstaates (§. 21)
und, in Ermangelung eines solchen, die Vorschriften des preußischen Rechts zur Anwendung.
[2] Diejenigen Begünstigungen, welche nach der Gesetzgebung der einzelnen
Bundesstaaten den Hinterbliebenen der Staatsbeamten hinsichtlich der Besteuerung der aus
Staatsfonds oder aus öffentlichen Versorgungskassen denselben gewährten Pensionen,
Unterstützungen oder sonstigen Zuwendungen zustehen, finden auch zu Gunsten der
Hinterbliebenen von Reichsbeamten hinsichtlich der denselben aus Reichs- und Staatsfonds
oder aus öffentlichen Versorgungskassen zufließenden gleichartigen Bezüge Anwendung.
§. 20.
Ingleichen stehen bezüglich: |
|
1) der Mitwirkung bei der Siegelung des Nachlasses eines Reichsbeamten,
2) des Vorzugsrechts im Konkurse oder außerhalb desselben wegen der einem Reichsbeamten
zur Last fallenden Defekte aus einer von demselben geführten Kassen- oder sonstigen
Vermögensverwaltung |
dem Reiche, beziehungsweise dessen Behörden, im Verhältniß
zu den Reichsbeamten dieselben Rechte zu, welche die am dienstlichen Wohnsitze des
Reichsbeamten geltende Gesetzgebung des einzelnen Bundesstaates dem Staate,
beziehungsweise dessen Behörden den Staatsbeamten gegenüber gewährt. |
§. 21.
[1] Reichsbeamte, deren dienstlicher Wohnsitz sich im Auslande
befindet, behalten den ordentlichen persönlichen Gerichtsstand in der Hauptstadt des
Heimathsstaats, und in Ermangelung eines Heimathsstaats vor dem Stadtgericht zu Berlin
begründet. Ist die Hauptstadt in mehrere Gerichtsbezirke getheilt, so wird das
zuständige Gericht im Wege der Justizverwaltung durch allgemeine Anordnung bestimmt.
[2] Auf Wahlkonsuln finden diese Bestimmungen keine Anwendung.
§. 22.
Befindet sich der dienstliche Wohnsitz des Beamten (§. 21) in einem Lande, in welchem Reichs-Konsulargerichtsbarkeit besteht, so
wird durch die vorstehende Bestimmung nicht ausgeschlossen, daß der Beamte zugleich der
Reichs-Konsulargerichtsbarkeit nach Maßgabe des Gesetzes vom 8. November 1867
(Bundes-Gesetzbl. S. 137) unterliegt.
Versetzung in ein anderes Amt.
§. 23.
[1] Jeder Reichsbeamte muß die Versetzung in ein anderes Amt von
nicht geringerem Range und etatsmäßigem Diensteinkommen mit Vergütung der
vorschriftsmäßigen Umzugskosten sich gefallen lassen, wenn es das dienstliche
Bedürfniß erfordert.
[2] Als eine Verkürzung des Einkommens ist es nicht anzusehen, wenn die
Gelegenheit zur Verwaltung von Nebenämtern entzogen wird, oder die Ortszulage oder
endlich die Beziehung der für Dienstunkosten besonders ausgesetzten Einnahmen mit diesen
Unkosten fortfällt.
Einstweilige Versetzung in den Ruhestand.
§. 24.
Jeder Reichsbeamte kann unter Bewilligung des gesetzlichen
Wartegeldes einstweilig in den Ruhestand versetzt werden, wenn das von ihm verwaltete Amt
in Folge einer Umbildung des Reichsbehörden aufhört.
§. 25.
Außer dem im §. 24
bezeichneten Falle können durch Kaiserliche Verfügung die nachbenannten Beamten
jederzeit mit Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes einstweilig in den Ruhestand
versetzt werden: |
|
der Reichskanzler, der Präsident des Reichskanzler-Amts, der Chef der
Kaiserlichen Admiralität, der Staatssekretär im Auswärtigen Amte, die Direktoren und
Abtheilungs-Chefs im Reichskanzler-Amte und in den einzelnen Abtheilungen desselben, sowie
im Auswärtigen Amte und in den Ministerien, die vortragenden Räthe und etatsmäßigen
Hülfsarbeiter im Auswärtigen Amte, die Militär- und Marine-Intendanten, die
diplomatischen Agenten einschließlich der Konsuln. |
§. 26.
[1] Das Wartegeld beträgt bei Gehältern bis zu 150 Thlr.
ebensoviel als das Gehalt, bei höheren Gehältern drei Viertheile des Gehalts, jedoch
nicht weniger als 150 Thlr.
[2] Bei Feststellung der Jahresbeträge der Wartegelder werden überschießende
Thalerbrüche auf volle Thaler abgerundet.
[3] Der Jahresbetrag des Wartegeldes kann 3000 Thlr. nicht übersteigen.
§. 27.
Die Zahlung des Wartegeldes erfolgt im voraus in derselben Weise,
in welcher bis dahin die Zahlung des Gehalts staatgefunden hat. Die Gehaltszahlung hört
auf und die Zahlung des Wartegeldes beginnt mit dem Ablaufe des Vierteljahres, welches auf
den Monat folgt, in welchem dem Beamten die Entscheidung über seine einstweilige
Versetzung in den Ruhestand, der Zeitpunkt derselben und die Höhe des Wartegeldes bekannt
gemacht worden ist.
§. 28.
Die einstweilig in den Ruhestand versetzten Beamten sind bei
Verlust des Wartegeldes zur Annahme eines ihnen übertragenen Reichsamtes, welches ihrer
Berufsbildung entspricht, unter denselben Voraussetzungen verpflichtet, unter denen nach
§. 23 ein Reichsbeamter die Versetzung in ein anderes Amt sich gefallen
lassen muß.
§. 29.
Das Recht auf den Bezug des Wartegeldes hört auf: |
|
1) wenn der Beamte im Reichsdienste mit einem dem früher von ihm
bezogenen Diensteinkommen mindestens gleichen Diensteinkommen wieder angestellt wird,
2) wenn der Beamte das deutsche Indigenat verliert,
3) wenn der Beamte ohne Genehmigung des Reichskanzlers seinen Wohnsitz außerhalb der
Bundesstaaten nimmt,
4) wenn der Beamte des Dienstes entlassen wird. |
§. 30.
Das Recht auf den Bezug des Wartegeldes ruht, wenn und so
lange der einstweilig in den Ruhestand versetzte Beamte in Folge einer Wiederanstellung
oder Beschäftigung im Reichs- oder im Staatsdienste ein Diensteinkommen bezieht, insoweit
als der Betrag dieses neuen Diensteinkommens unter Hinzurechnung des Wartegeldes den
Betrag des von dem Beamten vor der einstweiligen Versetzung in den Ruhestand
bezogenen Diensteinkommens übersteigt. Findet die Beschäftigung des Beamten
vorübergehend gegen Tagegelder oder eine anderweite Entschädigung statt, so wird
demselben das Wartegeld für die ersten sechs Monate dieser Beschäftigung unverkürzt,
dagegen vom siebenten Monat ab nur zu dem nach der vorstehenden Bestimmung
zulässigen Betrage gewährt.
§. 31.
Nach dem Tode eines einstweilig in den Ruhestand versetzten
Beamten erfolgt die Gewährung des Gnadenquartals vom Wartegelde an die Hinterbliebenen
nach den in den §§. 7 und 8 enthaltenen Grundsätzen.
Entlassung der auf Probe, Kündigung oder auf Widerruf angestellten
Beamten.
§. 32.
Die Entlassung der auf Probe, auf Kündigung oder sonst auf
Widerruf angestellten Beamten erfolgt durch diejenige Behörde, welche die Anstellung
verfügt hat.
Wiederanstellung ausgeschiedener Beamten.
§. 33.
Zur Wiederanstellung von Beamten, welche aus dem Reichsdienste
freiwillig oder unfreiwillig ausgeschieden sind, bedarf es der Genehmigung der obersten
Reichsbehörde.
Pensonirung des Beamten. Anspruch auf Pension.
§. 34.
Jeder Beamte, welcher sein Diensteinkommen aus der Reichskasse
bezieht, erhält aus der letzteren eine lebenslängliche Pension, wenn er nach einer
Dienstzeit von wenigstens zehn Jahren in Folge eines körperlichen Gebrechens oder wegen
Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte der Erfüllung seiner Amtspflichten
dauernd unfähig ist, und deshalb in den Ruhestand versetzt wird.
§. 35.
Der Reichskanzler, der Präsident des Reichskanzler-Amtes, der
Chef der Kaiserlichen Admiralität und der Staatssekretär im Auswärtigen Amte können
jederzeit auch ohne eingetretene Dienstunfähigkeit ihre Entlassung erhalten und fordern.
Der Anspruch auf Pension beginnt, wenn der Ausgeschiedene mindestens zwei Jahre das
betreffende Amt bekleidet hat. Der Mindestbetrag der Pension ist ein Viertel des
etatsmäßigen Gehaltes. Im Uebrigen gelten für die Höhe und den Bezug der Pension die
Vorschriften dieses Gesetzes.
§. 36.
Ist die Dienstunfähigkeit (§. 34) die Folge
einer Krankheit, Verwundung oder sonstigen Beschädigung, welche der Beamte bei Ausübung
des Dienstes oder aus Veranlassung desselben ohne eigene Verschuldung sich zugezogen hat,
so tritt die Pensionsberechtigung auch bei kürzerer als zehnjähriger Dienstzeit ein.
§. 37.
Die unter dem Vorbehalt des Widerrufs oder der Kündigung
angestellten Beamten haben einen Anspruch auf Pension nach Maßgabe dieses Gesetzes nur
dann, wenn sie einen in den Besoldungs-Etats aufgeführte Stelle bekleiden; es kann ihnen
jedoch, wenn sie eine solche Stelle nicht bekleiden, bei ihrer Versetzung in den Ruhestand
eine Pension bis auf Höhe der durch dieses Gesetz bestimmten Sätze bewilligt werden.
§. 38.
[1] Reichsbeamte, deren Zeit und Kräfte durch die ihnen
übertragenen Geschäfte nur nebenbei in Anspruch genommen, oder welche ausdrücklich nur
auf eine bestimmte Zeit oder für einen seiner Natur nach vorübergehendes Geschäft
angenommen werden, erwerben keinen Anspruch auf eine Pension nach den Bestimmungen dieses
Gesetzes.
[2] Darüber, ob eine Dienststellung eine solche ist, daß sie die Zeit und die
Kräfte eines Beamten nur nebenbei in Anspruch nimmt, entscheidet bei der
Dienstübertragung die dem Beamten vorgesetzte Dienstbehörde.
§. 39.
Wird außer dem im §. 36 bezeichneten Falle
eine Beamter vor Vollendung des zehnten Dienstjahres dienstunfähig und deshalb in den
Ruhestand versetzt, so kann demselben bei vorhandener Bedürftigkeit durch Beschluß des
Bundesrathes eine Pension entweder auf bestimmte Zeit oder lebenslänglich bewilligt
werden.
Anspruch auf Umzugskosten.
§. 40.
Hat der in den Ruhestand oder in den einstweiligen Ruhestand
versetzte Beamte seinen dienstlichen Wohnsitz im Auslande, so sind demselben die Kosten
des Umzuges nach dem innerhalb des Reichs von ihm gewählten Wohnorte zu gewähren.
Betrag der Pension.
§. 41.
[1] Die Pension beträgt, wenn die Versetzung in den
Ruhestand nach vollendetem zehnten, jedoch vor vollendetem elften Dienstjahre eintritt, 20/80
und steigt von da ab mit jedem weiteren zurückgelegten Dienstjahre um 1/80
des in den §§. 42 bis 44 bestimmten
Diensteinkommens.
[2] Ueber den Betrag von 60/80 dieses Einkommens hinaus
findet eine Steigerung nicht statt.
[3] In dem im §. 36 erwähnten Falle beträgt die Pension
stets 20/80, im Falle des §. 39 höchstens 20/80
des vorbezeichneten Diensteinkommens.
[4] Bei jeder Pension werden überschießende Thalerbrüche auf volle
Thaler abgerundet.
§. 42.
[1] Der Berechnung der Pension wird
das von dem Beamten zuletzt bezogene gesammte Diensteinkommen, soweit es nicht zur
Bestreitung von Repräsentations- oder Dienstaufwandskosten gewährt wird, nach Maßgabe
der folgenden näheren Bestimmungen zu Grunde gelegt: |
|
1) Feststehende Dienstemolumente, namentlich freie Dienstwohnung, sowie
die anstatt derselben gewährte Miethsentschädigung, Feuerungs- und Erleuchtungsmaterial,
Naturalbezüge an Getreide, Winterfutter u. s. w., sowie der Ertrag von
Dienstgrundstücken kommen nur insoweit zur Anrechnung, als deren Werth in den
Besoldungs-Etats auf die Geldbesoldung des Beamten in Rechnung gestellt oder zu einem
bestimmten Geldbetrage als anrechnungsfähig bezeichnet ist.
2) Dienstemolumente, welche ihrer Natur nach steigend oder fallend sind, werden nach den
Besoldungs-Etats oder sonst bei Verleihung des Rechts auf diese Emolumente deshalb
getroffenen Festsetzungen und in Ermangelung solcher Festsetzungen nach ihrem
durchschnittlichen Betrage während der letzten drei Kalenderjahre vor dem Jahre, in
welchem die Pension festgesetzt wird, zur Anrechnung gebracht.
3) Blos zufällige Diensteinkünfte, wie widerruflich Tantiéme, Kommissionsgebühren,
außerordentliche Remunerationen, Gratifikationen und dergleichen kommen nicht zur
Berechnung.
4) Bei den servisberechtigten Militärbeamten wird der mittlere Stellen- beziehungsweise
Chargen- (Personal-) Servis als Theil des Gehalts betrachtet.
5) Das gesammte zur Berechnung zu ziehende Diensteinkommen einer Stelle, darf den Betrag
des höchsten Normalgehalts derjenigen Diensteskategorie, zu welcher die Stelle gehört,
nicht übersteigen.
Ohne diese Beschränkung kommen jedoch solche Gehaltstheile oder Besoldungszulagen, welche
zur Ausgleichung eines von dem betreffenden Beamten in früherer Stellung bezogenen
Diensteinkommens demselben mit Pensionsberechtigung gewährt sind, zur vollen Anrechnung.
6) Wenn das nach den Bestimmungen dieses Paragraphen ermittelte Einkommen eines Beamten
insgesammt mehr als 4000 Thaler beträgt, wird von dem überschießenden Betrage nur die
Hälfte in Anrechnung gebracht. |
[2] Die Pension für die einstweilig
in den Ruhestand versetzten Beamten wird von dem zur Zeit ihrer Versetzung in den
Ruhestand bezogenen gesammten Diensteinkommen berechnet. |
§. 43.
Ein Beamte, welcher früher ein mit einem höheren Diensteinkommen
verbundenes Amt bekleidet und dieses Einkommen wenigstens ein Jahr bezogen hat, erhält,
sofern der Eintritt oder die Versetzung in ein Amt von geringerem Diensteinkommen nicht
lediglich auf seinen im eigenen Interesse gestellten Antrag erfolgt oder als Strafe auf
Grund des §. 75 gegen ihn verhängt ist, bei seiner Versetzung in den
Ruhestand eine nach Maßgabe des früheren höheren Diensteinkommens unter
Berücksichtigung der gesammten Dienstzeit berechnete Pension. Jedoch soll die gesammte
Pension das letzte pensionsberechtigte Diensteinkommen nicht übersteigen.
§. 44.
Das mit Nebenämtern oder Nebengeschäften verbundene Einkommen
begründet nur dann einen Anspruch auf Pension, wenn eine etatsmäßige Stelle als
Nebenamt bleibend verliehen ist.
Berechnung der Dienstzeit.
§. 45.
[1] Die Dienstzeit wird vom Tage der ersten eidlichen
Verpflichtung für den Reichsdienst an gerechnet.
[2] Kann jedoch ein Beamter nachweisen, daß seine Vereidigung erst nach seinem
Eintritte in den Reichsdienst stattgefunden hat, so wird die Dienstzeit von dem letzteren
Zeitpunkte an gerechnet.
§. 46.
[1] Bei Berechnung der Dienstzeit kommt auch die Zeit
in Anrechnung, während welcher ein Beamter |
|
1) unter Bezug von Wartegeld im einstweiligen Ruhestand, oder
2) im Dienste eine Bundesstaates oder der Regierungen eines zu einem Bundesstaate
gehörenden Gebiets sich befunden hat, oder
3) als anstellungsberechtigte ehemalige Militärperson nur vorläufig oder auf Probe im
Civildienste des Reichs, eines Bundesstaates, oder der Regierung eines zu einem
Bundesstaat gehörenden Gebiets beschäftigt worden ist, oder
4) eine praktische Beschäftigung außerhalb des Dienstes des Reichs oder eines
Bundesstaates ausübte, insofern und insoweit diese Beschäftigung vor Erlangung der
Anstellung in einem Reichs- oder unmittelbaren Staatsamte behufs der technischen
Ausbildung in den Prüfungsvorschriften ausdrücklich angeordnet ist. |
[2] Im Falle der Nr. 2 wird die
Dienstzeit nach den für die Berechnung der Dienstzeit im Reichsdienste gegebenen
Bestimmungen berechnet. |
§. 47.
Der Civildienstzeit wird die Zeit des aktiven Militärdienstes hinzugerechnet.
§. 48.
[1] Die Dienstzeit, welche vor den Beginn des achtzehnten
Lebensjahres fällt, bleibt außer Berechnung.
[2] Nur die in die Dauer eines Krieges fallende und bei einem mobilen oder
Ersatz-Truppentheile abgeleistete Militärdienstzeit kommt, ohne Rücksicht auf das
Lebensalter, zur Anrechnung.
[3] Als Kriegszeit gilt in dieser Beziehung die Zeit vom Tage einer angeordneten
Mobilmachung, auf welche ein Krieg folgt, bis zum Tage der Demobilmachung.
§. 49.
[1] Für jeden Feldzug, an welchem ein Beamter im Reichsheere, in
der Kaiserlichen Marine oder in der Armee eines Bundesstaates derart theilgenommen hat,
daß er wirklich vor den Feind gekommen, oder in dienstlicher Stellung den mobilen Truppen
in das Feld gefolgt, oder auf einem zur Verwendung gegen den Feind bestimmten Schiffe oder
Fahrzeuge der Kaiserlichen Marine eingeschifft gewesen ist, wird demselben zu der
wirklichen Dauer der Dienstzeit ein Jahr hinzugerechnet.
[2] Ob eine militärische Unternehmung in dieser Beziehung als ein Feldzug
anzusehen ist, und inwiefern bei Kriegen von längerer Dauer mehrere Kriegsjahre in
Anrechnung kommen sollten, darüber wird in jedem Falle durch den Kaiser Bestimmung
getroffen. Für die Vergangenheit bewendet es bei den hierüber in den einzelnen
Bundesstaaten getroffenen Bestimmungen.
§. 50.
Inwieweit die Zeit eines Festungsarrestes oder einer
Kriegsgefangenschaft angerechnet werden könne, ist nach den für die Pensionirung der
Militärpersonen des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine geltenden gesetzlichen
Bestimmungen zu bemessen.
§. 51.
[1] Den gesandtschaftlichen und den besoldeten Konsulatsbeamten,
welche in außereuropäischen Ländern eine längere als einjährige Verwendung gefunden
haben, wird die daselbst zugebrachte Dienstzeit bei Verwendung in Ost- und Mittelasien,
Mittel- und Südamerika bei der Pensionirung doppelt in Anrechnung gebracht.
[2] Bei Verwendung von gesandtschaftlichen oder von besoldeten Konsulatsbeamten in
anderen außereuropäischen Ländern als den vorbezeichneten ist es dem Beschlusse des
Bundesraths vorbehalten, dem Vorstehenden entsprechende Bestimmungen zu treffen.
§. 52.
Mit Genehmigung des Bundesraths kann
nach Maßgabe der Bestimmungen in den §§. 45 bis 49
die Zeit angerechnet werden, während welcher ein Beamter |
|
1) sei es im In- oder Auslande als Sachwalter oder Notar fungirt, im
Gemeinde-, Kirchen- oder Schuldienste oder im Dienste einer landesherrlichen Haus- oder
Hofverwaltung sich befunden, oder
2) im Dienste eines dem Reiche nicht angehörigen Staates gestanden hat, oder
3) außerhalb des Dienstes des Reichs oder eines Bundesstaates praktisch beschäftigt
gewesen ist, insofern und insoweit diese Beschäftigung vor Erlangung der Anstellung in
einem Reichs- oder unmittelbaren Staatsamte herkömmlich war. |
Nachweis der Dienstunfähigkeit.
§. 53.
[1] Zum Erweise der Dienstunfähigkeit eines seine Versetzung in
den Ruhestand nachsuchenden Reichsbeamten ist die Erklärung der demselben unmittelbar
vorgesetzten Dienstbehörde erforderlich, daß sie nach pflichtmäßigem Ermessen den
Beamten für unfähig halte, seine Amtspflichten ferner zu erfüllen.
[2] Inwieweit andere Beweismittel zu erfordern oder der Erklärung der unmittelbar
vorgesetzten Behörde entgegen für ausreichend zu erachten sind, hängt von dem Ermessen
der über die Versetzung in den Ruhestand entscheidenden Behörde ab.
§. 54.
Die Bestimmung darüber, ob und zu welchem Zeitpunkte dem Antrage
eines Beamten auf Versetzung in den Ruhestand stattzugeben ist, sowie ob und welche
Pension demselben zusteht, erfolgt durch die oberste Reichsbehörde. Bei denjenigen
Personen, welche eine Kaiserliche Bestallung erhalten haben, ist die Genehmigung des
Kaisers zur Versetzung in den Ruhestand erforderlich.
Zahlbarkeit der Pensionen.
§. 55.
Die Versetzung in den Ruhestand tritt, sofern nicht auf den Antrag
oder mit ausdrücklicher Zustimmung des Reichsbeamten ein früherer Zeitpunkt festgesetzt
wird, mit Ablauf des Vierteljahres ein, welches auf den Monat folgt, in welchem dem
Beamten die Entscheidung über seine Versetzung in den Ruhestand und die Höhe der ihm
etwa zustehenden Pension (§. 54) bekannt gemacht worden ist.
§. 56.
Die Pensionen werden monatlich im voraus gezahlt.
Kürzung, Einziehung und Wiedergewährung der Pensionen.
§. 57.
Das Recht auf den Bezug der Pension ruht: |
|
1) wenn ein Pensionair das deutsche Indigenat verliert, bis zu etwaiger
Wiedererlangung desselben;
2) wenn und so lange ein Pensionair im Reichs- oder im Staatsdienste ein Diensteinkommen
bezieht, insoweit, als der Betrag dieses neuen Diensteinkommens unter Hinzurechnung der
Pension den Betrag des von dem Beamten vor der Pensionirung bezogenen Diensteinkommens
übersteigt. |
§. 58.
[1] Ein Pensionair, welcher in eine an sich zur Pension
berechtigende Stellung des Reichsdienstes wieder eingetreten ist (§. 57
Nr. 2), erwirbt für den Falle des Zurücktretens in den Ruhestand den Anspruch auf
Gewährung einer nach Maßgabe seiner nunmehrigen verlängerten Dienstzeit und des in
der neuen Stellung bezogenen Diensteinkommens berechneten Pension nur dann, wenn die neu
hinzutretende Dienstzeit wenigstens ein Jahr betragen hat.
[2] Mit der Gewährung einer hiernach neu berechneten Pension fällt bis auf
Höhe des Betrages derselben das Recht auf den Bezug der früheren Pension hinweg.
§. 59.
Erdient ein Pensionair, welcher in eine an sich zur Pension
berechtigende Stellung des Staatsdienstes eingetreten ist, in dieser Stellung eine
Pension, so findet neben derselben der Fortbezug der auf Grund dieses Gesetzes
gewährten Pension nur in dem durch §. 57 Nr. 2 begrenzten Umfange
statt.
§. 60.
[1] Die Einziehung, Kürzung oder Wiedergewährung der Pension auf
Grund der Bestimmungen in den §§. 57 bis 59 tritt
mit dem Beginn desjenigen Monats ein, welcher auf das eine solche Veränderung nach sich
ziehende Ereigniß folgt.
[2] Im Falle vorübergehender Wiederbeschäftigung im Reichs- oder im
Staatsdienste gegen Tagegelder oder eine anderweite Entschädigung findet die im
Schlußsatze des §. 30 enthaltene Vorschrift Anwendung.
Zwangsweise Versetzung in den Ruhestand.
§. 61.
Ein Reichsbeamter, welcher durch Blindheit, Taubheit oder ein
sonstiges körperliches Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen
Kräfte zur Erfüllung seiner Amtspflichten dauernd unfähig ist, soll in den Ruhestand
versetzt werden.
§. 62.
Sucht der Beamte in einem solchen Falle seine Versetzung in den
Ruhestand nicht nach, so wird ihm oder seinem nöthigenfalls hierzu besonders zu
bestellenden Kurator von der vorgesetzten Dienstbehörde unter Angabe der Gründe der
Pensionirung und des zu gewährenden Pensionsbetrages eröffnet, daß der Fall seiner
Versetzung in den Ruhestand vorliege.
§. 63.
[1] Wenn der Beamte gegen die ihm gemachte Eröffnung (§. 62) innerhalb sechs Wochen keine Einwendung erhoben hat, so wird in
derselben Weise verfügt, als wenn er seine Pensionirung selbst nachgesucht hätte.
[2] Die Zahlung des vollen Gehalts dauert bis zum Ablaufe desjenigen Vierteljahres,
welches auf den Monat folgt, in dem ihm die Verfügung über die erfolgte Versetzung in
den Ruhestand mitgetheilt ist.
§. 64.
[1] Werden von dem Beamten gegen die Versetzung in den Ruhestand
Einwendungen erhoben, so beschließt die oberste Reichsbehörde, ob dem Verfahren Fortgang
zu geben sei.
[2] In diesem Falle hat der damit von der obersten Reichsbehörde zu beauftragende
Beamte die streitigen Thatsachen zu erörtern, die erforderlichen Zeugen und
Sachverständigen eidlich zu vernehmen, und dem zu pensionirenden Beamten oder dessen
Kurator zu gestatten, den Vernehmungen beizuwohnen.
[3] Zum Schluß ist der zu pensionirende Beamte oder dessen Kurator über das
Ergebniß der Ermittelungen mit seiner Erklärung und seinem Antrage zu hören.
[4] Zu den Verhandlungen ist ein vereideter Protokollführer zuzuziehen.
§. 65.
[1] Die geschlossenen Akten werden der obersten Reichsbehörde
eingereicht, welche geeigneten Falls eine Vervollständigung der Ermittelungen anordnet.
[2] Die baaren Auslagen für die durch die Schuld des zu pensionirenden Beamten
veranlaßten erfolglosen Ermittelungen fallen demselben zur Last.
§. 66.
[1] Hat der Beamte eine Kaiserliche Bestallung erhalten, so
erfolgt die Entscheidung über die Versetzung in den Ruhestand vom Kaiser im Einvernehmen
mit dem Bundesrath.
[2] In Betreff der übrigen Beamten steht die Entscheidung der obersten
Reichsbehörde zu. Gegen diese Entscheidung hat der Beamte binnen einer Frist von vier
Wochen nach deren Empfang den Rekurs an den Bundesrath. Des Rekursrechts ungeachtet kann
der Beamte von der obersten Reichsbehörde sofort der weiteren Amtsverwaltung vorläufig
enthoben werden.
§. 67.
Die Zahlung des vollen Gehalts dauert bis zum Ablauf des
Vierteljahres, das auf den Monat folgt, in welchem dem in Ruhestand versetzten Beamten die
Entscheidung des Kaisers oder der obersten Reichsbehörde zugestellt worden ist.
§. 68.
[1] Ist ein Beamter vor dem Zeitpunkte, mit welchem die
Pensionsberechtigung für ihn eingetreten sein würde, dienstunfähig geworden, so kann er
gegen seinen Willen nur unter Beobachtung derjenigen Formen, welche für das förmliche
Disziplinarverfahren vorgeschrieben sind, in den Ruhestand versetzt werden.
[2] Wird es jedoch von der obersten Reichsbehörde mit Zustimmung des Bundesrathes
angemessen befunden, dem Beamten eine Pension zu dem Betrage zu bewilligen, welcher ihm
bei Erreichung des vorgedachten Zeitpunktes zustehen würde, so kann die Pensionirung
desselben nach den Vorschriften der §§. 61 bis 67
erfolgen.
Bewilligung für Hinterbliebene.
§. 69.
[1] Hinterläßt ein Pensionair eine Witwe oder eheliche
Nachkommen, so wird die Pension noch für den auf den Sterbemonat folgenden Monat gezahlt.
An wen die Zahlung erfolgt, bestimmt die oberste Reichsbehörde.
[2] Die Zahlung der Pension für den auf den Sterbemonat folgenden Monat kann mit
Genehmigung der obersten Reichsbehörde auch dann stattfinden, wenn der Verstorbene
Eltern, Geschwister, Geschwisterkinder oder Pflegekinder, deren Ernährer er gewesen ist,
in Bedürftigkeit hinterläßt, oder wenn der Nachlaß nicht ausreicht, um die Kosten der
letzten Krankheit und der Beerdigung zu decken.
[3] Der über den Sterbemonat hinaus gewährte einmonatliche Betrag der Pension
kann nicht Gegenstand der Beschlagnahme sein.
Transitorische Bestimmungen.
§. 70.
Ist die nach Maßgabe dieses Gesetzes bemessene Pension geringer
als die Pension, welche dem Beamten hätte gewährt werden müssen, wenn er vor dem
Erlasse dieses Gesetzes nach dem damals für ihn geltenden Bestimmungen pensionirt worden
wäre, so wird die letztere Pension an Stelle der ersteren bewilligt.
§. 71.
Insofern vor der Uebernahme eines Beamten in den Reichsdienst
hinsichtlich der aus den früheren Dienstverhältnissen demselben erwachsenden
Pensions-Ansprüche mittelst eines vor dem Erlasse dieses Gesetzes abgeschlossenen
Staatsvertrages besondere Festsetzungen getroffen sind, sollen diese Festsetzungen auch
für die Berechnung der jenem Beamten demnächst aus der Reichskasse zu gewährenden
Pension maßgebend sein. Indeß sollen statt der gedachten besonderen Bestimmungen die im
gegenwärtigen Gesetze enthaltenen Vorschriften insoweit Anwendung finden, als sie für
den Beamten günstiger sind.
Allgemeine Bestimmungen über Dienstvergehen und deren Bestrafung.
§. 72.
Ein Reichsbeamter, welcher die ihm obliegenden Pflichten (§. 10) verletzt, begeht ein Dienstvergehen und hat die Disziplinarbestrafung
verwirkt.
§. 73.
Die Disziplinarstrafen bestehen in: |
|
1) Ordnungsstrafen,
2) Entfernung aus dem Amte. |
§. 74.
[1] Ordnungsstrafen sind: |
|
1) Warnung,
2) Verweis,
3) Geldstrafe,
bei besoldeten Beamten bis zum Betrage des einmonatlichen Diensteinkommens, bei
unbesoldeten bis zu dreißig Thalern. |
[2] Geldstrafe kann mit Verweis verbunden werden. |
§. 75.
[1] Die Entfernung aus dem Amte kann bestehen: |
|
1) In Strafversetzung. |
[2] Dieselbe erfolgt durch Versetzung
in eine anderes Amt von gleichem Range, jedoch mit Verminderung des Diensteinkommens um
höchstens ein Fünftel. Statt der Verminderung des Diensteinkommens kann eine Geldstrafe
verhängt werden, welche in Drittel des Diensteinkommens eines Jahres nicht übersteigt.
[3] Die Strafversetzung wird durch die oberste Reichsbehörde in Ausführung
gebracht. |
|
2) In Dienstentlassung. |
[4] Dieselbe hat den Verlust des
Titels und Pensionsanspruchs von Rechts wegen zur Folge. Hat vor Beendigung des
Disziplinarverfahrens das Amtsverhältniß bereits aufgehört, so wird, falls nicht der
Angeschuldigte unter Uebernahme der Kosten freiwillig auf Titel und Pensionsanspruch
verzichtet, auf deren Verlust an Stelle der Dienstentlassung erkannt.
[5] Gehört der Angeschuldigte zu den Beamten, welche einen Anspruch auf Pension
haben, und lassen besondere Umstände eine mildere Beurtheilung zu, so ist die
Disziplinarbehörde ermächtigt, in ihrer Entscheidung zugleich festzusetzen, daß dem
Angeschuldigten ein Theil des gesetzlichen Pensionsbetrages auf Lebenszeit oder auf
gewisse Jahre zu belassen sei. |
§. 76.
Welche der in den §§. 73
bis 75 bestimmten Strafen anzuwenden sei, ist nach der größeren oder
geringeren Erheblichkeit des Dienstvergehens mit besonderer Rücksicht auf die gesammte
Führung des Angeschuldigten zu ermessen.
§. 77.
[1] Im Laufe einer gerichtlichen Untersuchung darf gegen den
Angeschuldigten ein Disziplinarverfahren wegen der nämlichen Thatsachen nicht eingeleitet
werden.
[2] Wenn im Laufe eines Disziplinarverfahrens wegen der nämlichen Thatsachen eine
gerichtliche Untersuchung gegen den Angeschuldigten eröffnet wird, so muß das
Disziplinarverfahren bis zur Beendigung des gerichtlichen Verfahrens ausgesetzt werden.
§. 78.
[1] Wenn von den gewöhnlichen Strafgerichten auf Freisprechung
erkannt ist, so findet wegen derjenigen Thatsachen, welche in der gerichtlichen
Untersuchung zur Erörterung gekommen sind, ein Disziplinarverfahren nur noch insofern
statt, als dieselben an sich und ohne ihre Beziehung zu dem gesetzlichen Thatbestande der
strafbaren Handlung, welche den Gegenstand der Untersuchung bildete, ein Dienstvergehen
enthalten.
[2] Ist in einer gerichtlichen Untersuchung eine Verurtheilung ergangen, welche den
Verlust des Amtes nicht zur Folge gehabt hat, so bleibt derjenigen Behörde, welche über
die Einleitung des Disziplinarverfahrens zu verfügen hat (§. 84 Abs.
1), die Entscheidung darüber vorbehalten, ob außerdem ein Disziplinarverfahren
einzuleiten oder fortzusetzen sei.
§. 79.
Spricht das Gesetz bei Dienstvergehen, welche Gegenstand eines
Disziplinarverfahrens werden, die Verpflichtung zur Wiedererstattung oder zum
Schadensersatze oder eine sonstige civilrechtliche Verpflichtung aus, so gehört die Klage
der Betheiligten vor das Civilgericht. Die Befugniß der vorgesetzten Behörde, einen
Beamten zur Erstattung eines widerrechtlich erhobenen oder vorenthaltenden Werthbetrages
anzuhalten, wird hierdurch nicht ausgeschlossen.
Von dem Disziplinarverfahren.
§. 80.
Jeder Dienstvorgesetzte ist zu Warnungen und Verweisen gegen die
ihm untergeordneten Reichsbeamten befugt.
§. 81.
Geldstrafen können |
|
1) von der obersten Reichsbehörde gegen alle Reichsbeamte, und zwar bis
zum höchsten zulässigen Betrage (§. 74 Nr. 3),
2) von den derselben unmittelbar untergeordneten Behörden und Vorstehern von Behörden
bis zum Betrage von zehn Thalern,
3) von den den letzteren untergeordneten Behörden und Vorstehern von Behörden bis zum
Betrage von drei Thalern |
verhängt werden. |
§. 82.
[1] Vor der Verhängung einer Ordnungsstrafe ist dem
Beamten Gelegenheit zu geben, sich über die ihm zur Last gelegte Verletzung seiner
amtlichen Pflichten zu verantworten.
[2] Die Verhängung der Ordnungsstrafen erfolgt unter Angabe der Gründe
durch schriftliche Verfügung oder zu Protokoll.
[3] Ist eine Geldstrafe für den Fall der Nichterledigung einer
speziellen dienstlichen Verfügung binnen einer bestimmten Frist angedroht, so kann
nach Ablauf der Frist die Geldstrafe ohne Weiteres festgesetzt werden.
§. 83.
Gegen die Verhängung von Ordnungsstrafen findet nur Beschwerde im Instanzenzuge
statt.
§. 84.
[1] Der Entfernung aus dem Amte muß ein förmliches
Disziplinarverfahren vorhergehen. Die Einleitung desselben wird von der obersten
Reichsbehörde verfügt.
[2] Das Disziplinarverfahren besteht in einer schriftlichen Voruntersuchung und
einer mündlichen Verhandlung.
§. 85.
[1] Die oberste Reichsbehörde ernennt den untersuchungsführenden
Beamten und diejenigen Beamten, welche im Laufe des Disziplinarverfahrens die
Verrichtungen der Staatsanwaltschaft wahrzunehmen haben.
[2] Ist Gefahr im Verzuge, so kann die Verfügung der Einleitung des
Disziplinarverfahrens und die Ernennung des untersuchungsführenden Beamten vorläufig von
einer der im §. 81 unter Nr. 2 bezeichneten Behörden oder einem
der dort bezeichneten Beamten ausgehen. Es ist alsdann die Genehmigung der obersten
Reichsbehörde einzuholen und, sofern diese versagt wird, das Verfahren einzustellen.
§. 86.
Die entscheidenden Disziplinarbehörden, welche je
nach Bedürfniß zusammentreten sind |
|
1) in erster Instanz die Disziplinarkammern,
2) in zweiter Instanz der Disziplinarhof. |
§. 87.
[1] An folgenden Orten: |
|
Potsdam, Frankfurt a. O., Königsberg, Danzig, Stettin, Köslin, Bromberg,
Posen, Magdeburg, Erfurt, Breslau, Liegnitz, Oppeln, Münster, Arnsberg, Düsseldorf,
Köln, Trier, Darmstadt, Frankfurt a. M., Kassel, Hannover, Schleswig, Leipzig, Karlsruhe,
Schwerin, Lübeck und Bremen |
wird je eine Disziplinarkammer errichtet.
[2] Durch Anordnung des Kaisers können im Einvernehmen mit dem Bundesrath einzelne
Disziplinarkammern auch an anderen Orten errichtet werden.[1]
[3] Der Disziplinarhof tritt am Sitze des Reichs-Oberhandelsgerichts zusammen. |
§. 88.
[1] Die Bezirke der Disziplinarkammern werden vom Kaiser im
Einvernehmen mit dem Bundesrathe abgegrenzt.
[2] Zuständig im einzelnen Falle ist die Disziplinarkammer, in deren Bezirk der
Angeschuldigte zur Zeit der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens seinen
dienstlichen Wohnsitz hat, und wenn dieser Wohnsitz im Auslande sich befindet, die
Disziplinarkammer in Potsdam.
[3] Streitigkeiten über die Zuständigkeit verschiedener Disziplinarkammern werden
vom Disziplinarhof entschieden.
§. 89.
[1] Jede Disziplinarkammer besteht aus sieben Mitgliedern. Der
Präsident und wenigstens drei andere Mitglieder müssen in richterlicher Stellung in
einem Bundesstaate sein.
[2] Die mündliche Verhandlung und Entscheidung in den einzelnen Disziplinarsachen
erfolgt durch fünf Mitglieder. Der Vorsitzende und wenigstens zwei Beisitzer müssen zu
den richterlichen Mitgliedern gehören.
§. 90.
Wenn auf den Antrag des Beamten der Staatsanwaltschaft oder des
Angeschuldigten der Disziplinarhof das Vorhandensein von Gründen anerkennt, welche die
Unbefangenheit der zuständigen Disziplinarkammer zweifelhaft machen, so tritt eine andere
durch den Disziplinarhof ernannte Disziplinarkammer an deren Stellen.
§. 91.
[1] Der Disziplinarhof besteht aus elf Mitgliedern, von denen
wenigstens vier zu den Bevollmächtigten zum Bundesrathe, der Präsident und wenigstens
fünf zu den Mitgliedern des Reichs-Oberhandelsgerichts gehören müssen.
[2] Die mündliche Verhandlung und Entscheidung in den einzelnen
Disziplinarsachen erfolgt durch sieben Mitglieder. Der Vorsitzende und wenigstens drei
Beisitzer müssen zu den richterlichen Mitgliedern gehören.
§. 92.
Die Geschäftsordnung bei den Disziplinarbehörden, insbesondere
die Befugnisse des Präsidenten und die Reihenfolge, in welcher die richterlichen
Mitglieder an den einzelnen Sitzungen theilzunehmen haben, wird durch ein Regulativ
geordnet, welches der Disziplinarhof zu entwerfen und dem Bundesrath zur Bestätigung
einzureichen hat.
§. 93.
Die Mitglieder der Disziplinarkammern und des Disziplinarhofs
werden für die Dauer der zur Zeit ihrer Ernennung von ihnen bekleideten Reichs- oder
Staatsämter vom Bundesrath gewählt, vom Kaiser ernannt, und für die Erfüllung der
Obliegenheiten ihres Amts verpflichtet.
§. 94.
[1] In der Voruntersuchung wird der Angeschuldigte unter
Mittheilung der Anschuldigungspunkte vorgeladen und der Beamte der Staatsanwaltschaft
zugezogen. Dieselben werden, wenn sie erscheinen, mit ihren Erklärungen und Anträgen
gehört. Die Zeugen werden, nach Befinden eidlich, vernommen, und die sonstigen Beweise
erhoben. Den Vernehmungen der Zeugen darf weder der Beamte der Staatsanwaltschaft noch der
Angeschuldigte beiwohnen.
[2] Die Verhaftung, vorläufige Festnahme oder Vorführung des Angeschuldigten ist
unzulässig.
§. 95.
Ueber jede Untersuchungshandlung ist durch einen vereideten
Protokollführer ein Protokoll aufzunehmen. Den vernommenen Personen ist ihre Aussage
unmittelbar nach der Protokollirung vorzulesen, um denselben Gelegenheit zur Berichtigung
und Ergänzung zu geben.
§. 96.
Wenn der Voruntersuchungs-Beamte die Voruntersuchung für
geschlossen erachtet, so theilt er die Akten dem Beamten der Staatsanwaltschaft mit. Hält
dieser eine Ergänzung der Voruntersuchung für erforderlich, so hat er dieselbe bei dem
Voruntersuchungs-Beamten zu beantragen, welcher, wenn er entgegengesetzter Ansicht ist,
die Entscheidung der obersten Reichsbehörde einzuholen hat.
§. 97.
Nach geschlossener Voruntersuchung ist dem Angeschuldigten der
Inhalt der erhobenen Beweismittel mitzutheilen. Darauf werden die Akten an die oberste
Reichsbehörde eingesendet.
§. 98.
[1] Die oberste Reichsbehörde kann mit Rücksicht auf den Ausfall
der Voruntersuchung das Verfahren einstellen, und geeigneten Falls eine Ordnungsstrafe
verhängen.
[2] Der Angeschuldigte erhält Ausfertigung des darauf bezüglichen, mit Gründen
zu unterstützenden Beschlusses.
§. 99.
[1] Die Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens wegen der
nämlichen Anschuldigungspunkte ist nur auf Grund neuer Beweise und während eines
Zeitraums von fünf Jahren, vom Tage des Einstellungsbeschlusses ab, zulässig.
[2] War eine Ordnungsstrafe verhängt (§. 98), so findet eine
Wiederaufnahme des eingestellten Disziplinarverfahrens nicht statt.
§. 100.
[1] Die Einstellung des Verfahrens muß erfolgen, sobald der
Angeschuldigte seine Entlassung aus dem Reichsdienste mit Verzicht auf Titel, Gehalt und
Pensionsanspruch nachsucht, vorausgesetzt, daß er seine amtlichen Geschäfte bereits
erledigt und über eine ihm etwa anvertraute Verwaltung von Reichsvermögen vollständige
Rechnung gelegt hat.
[2] Die Verhängung einer Ordnungsstrafe ist in diesem Falle nicht zulässig. Die
Kosten des eingestellten Verfahrens (§. 124) fallen dem
Angeschuldigten zur Last.
§. 101.
[1] Beschließt die oberste Reichsbehörde die Verweisung der
Sache vor die Disziplinarkammer, so wird der Angeschuldigte nach Eingang einer von dem
Beamten der Staatsanwaltschaft anzufertigenden Anschuldigungsschrift unter abschriftlicher
Mittheilung der letzteren zu einer von dem Vorsitzenden der Disziplinarkammer zu
bestimmenden Sitzung zur mündlichen Verhandlung vorgeladen.
[2] Der Angeschuldigte kann sich des Beistandes eines Advokaten oder Rechtsanwalts
als Vertheidigers bedienen. Dem Letzteren ist die Einsicht der Voruntersuchungs-Akten zu
gestatten.
§. 102.
Die mündliche Verhandlung findet statt, auch wenn der
Angeschuldigte nicht erschienen ist. Derselbe kann sich durch einen Advokaten oder
Rechtsanwalt vertreten lassen. Der Disziplinarkammer steht es jedoch, sofern der
Angeschuldigte seinen dienstlichen Wohnsitz im Deutschen Reiche hat, jederzeit zu, das
persönliche Erscheinen des Angeschuldigten unter der Warnung zu verordnen, daß bei
seinem Ausbleiben ein Vertheidiger zu seiner Vertretung nicht werde zugelassen werden.
§. 103.
Die mündliche Verhandlung ist öffentlich. Die Oeffentlichkeit
kann aus besonderen Gründen auf den Antrag des Angeschuldigten, des Beamten des
Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen durch Beschluß der Disziplinarkammer
ausgeschlossen oder auf bestimmte Personen beschränkt werden. Die Gründe der
Ausschließung oder Beschränkung der Oeffentlichkeit müssen aus dem Sitzungsprotokoll
hervorgehen.
§. 104.
[1] Bei der mündlichen Verhandlung wird der wesentliche Inhalt
der Anschuldigungsschrift von dem Beamten der Staatsanwaltschaft mündlich vorgetragen.
Der Angeschuldigte wird vernommen. Gesteht derselbe die den Gegenstand der Anschuldigung
bildenden Thatsachen ein und walten gegen die Glaubwürdigkeit seines Geständnisses
keine Bedenken ob, so beschließt die Disziplinarkammer, daß eine Beweisverhandlung nicht
stattfinde.
[2] Andernfalls giebt ein von dem Vorsitzenden der Disziplinarkammer aus der Zahl
der Mitglieder ernannter Berichterstatter auf Grund der bisherigen Verhandlungen eine
Darstellung der Beweisaufnahme, soweit sie sich auf die in den Anschuldigungsschrift
enthaltenen Anschuldigungspunkte bezieht.
[3] Zum Schluß wird der Beamte der Staatsanwaltschaft mit seinem Vor- und
Antrage und der Angeschuldigte mit seiner Vertheidigung gehört. Dem Angeschuldigten steht
das letzte Wort zu.
§. 105.
Wenn die Disziplinarkammer vor oder im Laufe der mündlichen
Verhandlung auf den Antrag des Angeschuldigten oder des Beamten der Staatsanwaltschaft,
oder von Amts wegen die Vernehmung von Zeugen, sei es vor der Disziplinarkammer oder
durch einen beauftragten Beamten, oder die Herbeischaffung anderer Beweismittel für
angemessen erachtet, so erläßt sie die erforderliche Verfügung und verlegt
nöthigenfalls die Fortsetzung der Verhandlung auf einen anderen Tag, welcher dem
Angeschuldigten bekannt zu machen ist.
§. 106.
Die Vernehmung der Zeugen muß auf Antrag des Beamten der
Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten in der mündlichen Verhandlung erfolgen,
sofern die Thatsachen erheblich sind, über welche die Vernehmung stattfinden soll, und
die Disziplinarkammer nicht die Ueberzeugung gewonnen hat, daß der Angeschuldigte nur auf
Verschleppung der Sache abzielt.
§. 107.
[1] Stehen dem Erscheinen eines Zeugen Krankheit, große
Entfernung oder andere unabwendbare Hindernisse entgegen, so ist von der Disziplinarkammer
dessen Vernehmung durch einen damit beauftragten Beamten unter Beiladung der
Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten anzuordnen.
[2] Als große Entfernung im Sinne dieses Gesetzes ist es nicht anzusehen, wenn der
Zeuge sich im Bezirke der entscheidenden Disziplinarkammer aufhält.
§. 108.
[1] Bei der Entscheidung hat die Disziplinarkammer, ohne an
positive Beweisregeln gebunden zu sein, nach ihrer freier, aus dem Inbegriffe der
Verhandlungen und Beweise geschöpften Ueberzeugung zu beurtheilen, inwieweit die
Anschuldigung für begründet zu erachten.
[2] Ist die Anschuldigung nicht begründet, so spricht die Disziplinarkammer den
Angeschuldigten frei. Vorläufige Freisprechung (Entbindung von der Instanz) ist nicht
statthaft. Gegen den freigesprochenen Angeschuldigten darf wegen der nämlichen den
Gegenstand der Anschuldigung bildenden Handlung ein Disziplinarverfahren nicht wieder
eingeleitet werden.
[3] Ist die Anschuldigung begründet, so kann die Entscheidung auch auf eine bloße
Ordnungsstrafe lauten.
[4] Die Entscheidung, welche mit Gründen versehen sein muß, wird in der Sitzung,
in welcher die mündliche Verhandlung beendigt worden ist und spätestens innerhalb der
darauf folgenden vierzehn Tage verkündet. Eine Ausfertigung der Entscheidung wird dem
Angeschuldigten ertheilt.
§. 109.
Ueber die mündliche Verhandlung wird ein Protokoll aufgenommen,
welches die Namen der Anwesenden und die wesentlichen Momente der Verhandlung enthalten
muß. Das Protokoll wird von dem Vorsitzenden und dem Protokollführer unterzeichnet.
§. 110.
[1] Gegen die Entscheidung der Disziplinarkammer steht die
Berufung an den Disziplinarhof sowohl dem Beamten der Staatsanwaltschaft als dem
Angeschuldigten offen.
[2] Neue Thatsachen, welche die Grundlage einer anderen Beschuldigung bilden,
dürfen in der Berufungsinstanz nicht vorgebracht werden.
§. 111.
[1] Die Anmeldung der Berufung geschieht zu Protokoll oder
schriftlich bei der Disziplinarkammer, welche die anzugreifende Entscheidung erlassen hat.
Von Seiten des Angeschuldigten kann sie auch durch einen Bevollmächtigten geschehen.
[2] Die Frist zu dieser Anmeldung ist eine vierwöchige. Sie beginnt für den
Beamten der Staatsanwaltschaft mit dem Ablaufe des Tages, an welchem die Entscheidung
verkündet, für den Angeschuldigten mit dem Ablaufe des Tages, an welcher ihm die
Ausfertigung der Entscheidung zugestellt worden ist.
§. 112.
Zur schriftlichen Rechtfertigung der Berufung steht demjenigen,
der dieselbe rechtzeitig angemeldet hat, eine vierzehntägige Frist, vom Ablaufe der
Anmeldungsfrist gerechnet, offen.
§. 113.
[1] Die Anmeldung der Berufung und die etwa eingegangene
Berufungsschrift wird dem Gegner in Abschrift zugestellt, und falls dies der Beamte der
Staatsanwaltschaft ist, in Urschrift vorgelegt.
[2] Innerhalb vierzehn Tagen nach erfolgter Zustellung oder Vorlegung kann der
Gegner eine Beantwortungsschrift einreichen.
§. 114.
Befindet sich der Angeschuldigte im Auslande, so hat die
Disziplinarkammer die Fristen zur Anmeldung und Rechtfertigung seiner Berufung und zur
Beantwortung der Berufung des Beamten der Staatsanwaltschaft mit Rücksicht auf die
Entfernung des dienstlichen Wohnsitzes des Angeschuldigten von Amts wegen zu erweitern und
die betreffende Verfügung gleichzeitig mit dem Urtheil beziehungsweise mit der Anmeldung
der Berufung des Beamten der Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten zuzustellen.
§. 115.
Die Fristen zur Rechtfertigung und Beantwortung der Berufung (§. 112 bis 114) können auf Antrag von der
Disziplinarkammer verlängert werden.
§. 116.
[1] Nach Ablauf der in den §§. 113 bis 115 bestimmten Fristen werden die Akten an den Disziplinarhof eingesandt.
[2] Der Disziplinarhof kann die zur Aufklärung der Sache etwa erforderlichen
Verfügungen erlassen. Er bestimmt sodann eine Sitzung zur mündlichen Verhandlung, zu
welcher der Angeschuldigte vorzuladen und der Beamte der Staatsanwaltschaft zuzuziehen
ist.
[3] In der mündlichen Verhandlung giebt zunächst ein von dem Vorsitzenden des
Disziplinarhofs aus der Zahl seiner Mitglieder ernannter Berichterstatter eine Darstellung
der bis dahin stattgefundenen, auf die in der Anschuldigungsschrift enthaltenen
Anschuldigungspunkte bezüglichen Verhandlungen.
[4] Im Ueberigen wird nach Maßgabe der in den §. 101 Absatz 2,
§. 102, §. 103, §. 104 Absatz
2 und 3, §. 105, §. 106, §. 107
Absatz 1, §. 108 und §. 109 enthaltenen
Bestimmungen verfahren.
§. 117.
Ein anderes Rechtsmittel, als die Berufung, insbesondere auch das
Rechtsmittel des Einspruchs (Opposition oder Restitution) findet im Disziplinarverfahren
nicht statt.
§. 118.
Der Kaiser hat das Recht, die von den Disziplinarbehörden verhängten Strafen
zu erlassen oder zu mildern.
§. 119.
[1] Die Vorschriften der §§. 84 bis 118 gelten auch in Ansehung der einstweilig in den Ruhestand versetzten
Beamten.
[2] Der letzte dienstliche Wohnsitz derselben ist für die Zuständigkeit im
Disziplinarverfahren entscheidend.
Besondere Bestimmungen in Betreff der Beamten der Militärverwaltung.
§. 120.
Gegen Militärbeamte, welche ausschließlich unter
Militärbefehlshabern stehen, verfügt der kommandirende General des Armeekorps,
beziehungsweise der Chef der Kaiserlichen Admiralität die Einleitung der Untersuchung und
ernennt den Voruntersuchungs-Beamten.[2]
§. 121.
[1] Die entscheidende Disziplinarbehörde erster Instanz ist die
Militär-Disziplinarkommission.
[2] Für jedes Armeekorps tritt die Militär-Disziplinarkommission am Garnisonorte
des General-Kommandos zusammen. Dieselbe wird aus einem Obersten als Vorsitzenden und
sechs anderen Mitgliedern, von denen drei zu den Stabsoffizieren, Hauptleuten oder
Rittmeistern, die übrigen zu den oberen Beamten der Militärverwaltung gehören müssen,
gebildet.
[3] Die Militär-Disziplinarkommissionen für die Marine haben ihren Sitz an den
betreffenden Marine-Stationsorten und bestehen aus einem Kapitän zur See als Vorsitzenden
und sechs anderen Mitgliedern, von denen drei zu den Stabsoffizieren der Marine oder zu
den Kapitän-Lieutenants, die übrigen zu den oberen Beamten der Marineverwaltung gehören
müssen.
[4] Die Mitglieder der Kommission werden von der obersten Reichsbehörde ernannt.[2]
§. 122.
Die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft bei den
Militär-Disziplinarkommissionen werden von dem Korps-Auditeur, beziehungsweise dem
Marine-Stationsauditeur wahrgenommen. Im Behinderungsfalle wird von der obersten
Reichsbehörde ein anderer Auditeur mit der Stellvertretung beauftragt.[2]
§. 123.
Gegen Militärbeamte kommen in Betreff der Verfügung von
Disziplinarstrafen, die nicht in der Entfernung aus dem Amte bestehen, die auf jene
Beamten bezüglichen besonderen Bestimmungen zur Anwendung. Dasselbe gilt von der
Amtssuspension aller Beamten der Militärverwaltung im Falle des Krieges.
Kosten des Disziplinarverfahrens.
§. 124.
[1] Für das Disziplinarverfahren werden weder Gebühren, noch
Stempel, sondern nur baare Auslagen in Ansatz gebracht.
[2] Insoweit im förmlichen Disziplinarverfahren (§. 84) der
Angeschuldigte verurtheilt wird, ist er schuldig, die baaren Auslagen des Verfahrens
ganz oder theilweise zu erstatten. Ueber die Erstattungspflicht entscheidet das
Disziplinar-Erkenntniß.
Vorläufige Dienstenthebung.
§. 125.
Die vorläufige Dienstenthebung eines Reichsbeamten
(Suspension vom Amte) tritt kraft des Gesetzes ein: |
|
1) wenn im gerichtlichen Strafverfahren seine Verhaftung beschlossen, oder
gegen ihn ein noch nicht rechtskräftig gewordenes Urtheil erlassen ist, welches den
Verlust des Amtes kraft des Gesetzes nach sich zieht;
2) wenn im Disziplinarverfahren eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung ergangen ist,
welche auf Dienstentlassung lautet. |
§. 126.
[1] Im Falle des §. 125 Nr. 1 dauert die
Suspension bis zum Ablauf des zehnten Tages nach Wiederaufhebung des
Verhaftungsbeschlusses oder nach eingetretener Rechtskraft desjenigen Urtheils höherer
Instanz, durch welches der angeschuldigte Beamte zu einer anderen Strafe als der
bezeichneten verurtheilt wird.
[2] Lautet das rechtskräftige Urtheil auf Freiheitsstrafe, so dauert die
Suspension, bis das Urtheil vollstreckt ist. Wird die Vollstreckung des Urtheils ohne
Schuld des Verurtheilten aufgehalten oder unterbrochen, so tritt für die Zeit des
Aufenthalts oder der Unterbrechung eine Gehaltskürzung (§. 128) nicht
ein. Dasselbe gilt für die im ersten Absatze dieses Paragraphen erwähnte Zeit von zehn
Tagen, wenn nicht vor Ablauf derselben die Suspension vom Amte im Wege des
Disziplinarverfahrens beschlossen wird.
[3] Im Falle des §. 125 Nr. 2 dauert die Suspension bis zur
Rechtskraft der in der Disziplinarsache ergehenden Entscheidung.
§. 127.
Die oberste Reichsbehörde kann die Suspension, sobald gegen den
Beamten ein gerichtliches Strafverfahren eingeleitet oder die Einleitung eines förmlichen
Disziplinarverfahrens (§. 84) verfügt wird, oder auch demnächst im
Laufe des einen oder anderen Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung verfügen.
§. 128.
[1] Während der Suspension des Beamten wird vom Ablauf des Monats
ab, in welchem dieselbe verfügt ist, die Hälfte seines Diensteinkommens innebehalten.
[2] In Fällen der Noth des Beamten ist die oberste Reichsbehörde ermächtigt, die
Innebehaltung des Diensteinkommens auf den vierten Theil desselben zu beschränken.
[3] Auf die für Dienstunkosten besonders angesetzten Beträge ist bei Berechnung
des innezubehaltenden Theils vom Diensteinkommen keine Rücksicht zu nehmen.
[4] Der innebehaltene Theil des Diensteinkommens ist zu den Kosten, welche durch
die Stellvertretung des Angeschuldigten verursacht werden, der etwaige Rest zu den
Untersuchungskosten (§. 124) zu verwenden. Eine weiteren Beitrag zu
den Stellvertretungskosten zu leisten, ist der Beamte nicht verpflichtet.
§. 129.
[1] Der zu den Kosten (§. 128) nicht
verwendete Theil des Einkommens wird dem Beamten auch in dem Falle nachgezahlt, wo das
Verfahren die Entfernung aus dem Amte zur Folge gehabt hat.
[2] Dem Beamten ist auf Verlangen ein Nachweis über die Verwendung zu ertheilen.
Erinnerungen gegen die Verwendung können im Rechtswege nicht geltend gemacht werden.
§. 130.
[1] Wird der Beamte freigesprochen, so muß ihm der innebehaltene
Theil des Diensteinkommens vollständig nachgezahlt werden.
[2] Wird er nur mit einer Ordnungsstrafe belegt, so ist ihm der innebehaltene Theil
insoweit nachzuzahlen, als derselbe nicht zur Deckung der ihn treffenden
Untersuchungskosten und der Ordnungsstrafe erforderlich ist. Ein Abzug wegen der
Stellvertretungskosten findet nicht statt.
§. 131.
[1] Wenn Gefahr im Verzuge ist, kann einem Beamten auch von
solchen Vorgesetzten, die seine Suspension zu verfügen nicht ermächtigt sind, die
Ausübung der Amtsverrichtungen vorläufig untersagt werden; es ist darüber sofort an die
oberste Reichsbehörde zu berichten.
[2] Diese Untersagung hat eine Kürzung des Diensteinkommens nicht zur Folge.
§. 132.
[1] Dem unter Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes einstweilen
in den Ruhestand versetzten Beamten wird ein Viertel des Wartegeldes innebehalten, wenn im
Disziplinarverfahren ein noch nicht rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, welche auf
Dienstentlassung lautet.
[2] Wegen der Nachzahlung des innebehaltenen Theils vom Wartegelde kommen die
Grundsätze der §§. 129 und 130 zur Anwendung.
§. 133.
[1] Alle nach den Bestimmungen der §§. 61 bis 132 erfolgten Aufforderungen, Mittheilungen, Zustellungen und Vorladungen
sind gültig und bewirken den Lauf der Fristen, wenn sie unter Beobachtung der für
gerichtliche Insinuation in Strafsachen vorgeschriebenen Formen demjenigen, an den sie
ergehen, zugestellt sind. Die vereideten Verwaltungsbeamten haben dabei den Glauben der
Gerichtsboten.
[2] Hat der Angeschuldigte seinen dienstlichen Wohnsitz verlassen, ohne daß seine
vorgesetzte Behörde Kenntniß von seinem Aufenthalt hat, so erfolgt die Insinuation in
der letzten Wohnung des Angeschuldigten an dem dienstlichen Wohnort desselben.
Besondere Bestimmungen über die Defekte der Beamten.
§. 134.
Die Feststellung der Defekte an öffentlichem oder
Privatvermögen, welche bei Reichskassen oder anderen Reichsverwaltungen entdeckt werden,
ist zunächst von derjenigen Behörde zu bewirken, zu deren Geschäftskreise die
unmittelbare Aufsicht über die Kasse oder andere Verwaltung gehört.
§. 135.
Von dieser Behörde ist zugleich festzustellen, ob ein
Reichsbeamter und eintretenden Falls welcher Beamte nach den Vorschriften des §. 141 für den Defekt zu haften hat, und bei einem Defekt an Materialien,
auf wie hoch die zu erstattende Summe in Gelde zu berechnen ist.
§. 136.
Ebenso (§§. 134 und 135)
hat die unmittelbar vorgesetzte Behörde die Defekte an solchem öffentlichen oder
Privatvermögen festzustellen, welches, ohne zu einer Reichskasse oder anderen
Reichsverwaltung gebracht zu sein, vermöge besonderer amtlicher Anordnung in den
Gewahrsam eines Reichsbeamten gekommen ist.
§. 137.
Ueber den Betrag des Defekts, die Person des zum Ersatz
verpflichteten Beamten und den Grund seiner Verpflichtung ist von der in den §§. 134 und 135 bezeichneten Behörde ein motivirter
Bericht abzufassen.
§. 138.
Nach Befinden der Umstände kann die Behörde auch mehrere
Beschlüsse abfassen, wenn ein Theil des Defekts sofort klar ist, der andere Theil aber
noch weitere Ermittelungen nothwendig macht, ingleichen, wenn unter mehreren Personen die
Verpflichtung der einen feststeht, die der anderen noch zweifelhaft ist.
§. 139.
[1] Hat die Behörde die Eigenschaft einer höheren
Reichsbehörde, so ist der Beschluß nach Maßgabe der §§. 143 und 144 vollstreckbar.
[2] In allen anderen Fällen unterliegt der Beschluß der Prüfung der
vorgesetzten höheren Reichsbehörde und wird erst nach deren Genehmigung vollstreckbar.
[3] Von dem Beschlusse ist der obersten Reichsbehörde unverzüglich Kenntniß
zu geben.
[4] Der obersten Reichsbehörde bleibt in allen Fällen unbenommen,
einzuschreiten und den Beschluß selbst abzufassen oder zu berichtigen.
§. 140.
[1] In dem abzufassenden Beschlusse ist zugleich zu bestimmen,
welche Vollstreckungs- oder Sicherheitsmaßregeln behufs des Ersatzes des Defekts zu
ergreifen sind.
[2] Für diese Maßregeln sind die Gesetze des Bundesstaates, in welchem dieselben
erfolgen, entscheidend.
§. 141.
[1] Der abzufassende Beschluß kann
auf die unmittelbare Verpflichtung zum Ersatz des Defekts gerichtet werden: |
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1) gegen jeden Beamten, welcher die Unterschlagung als Thäter oder
Theilnehmer nach der Ueberzeugung der Reichsbehörde überführt ist;
2) a. gegen diejenigen Beamten, welchen die Kasse u. s. w. zur Verwaltung übergeben war,
und zwar auf Höhe des ganzen Defekts,
b. gegen jeden Beamten, der an der Einnahme oder Ausgabe, der Erhebung, der Ablieferung
oder dem Transport von Kassengeldern oder anderen Gegenständen vermöge seiner
dienstlichen Stellung theilzunehmen hatte, jedoch nur auf Höhe des in seinem Gewahrsam
gekommenen Betrages,
sofern der Defekt nach der Ueberzeugung der Reichsbehörde durch grobes Versehen
entstanden ist. |
[2] Eben dies gilt gegen die in §. 136
genannten Beamten in den daselbst bezeichneten Fällen. |
§. 142.
Sind Beamte, gegen welche die zwangsweise Einziehung des Defekts
beschlossen wird, in der Verwaltung ihres Amtes, wofür sie eine Amtskaution gestellt
haben, belassen worden, so haben dieselben wegen Ersatzes des Defekts anderweite
Sicherheit zu leisten. Erfolgt die Sicherstellung nicht, so findet die Zwangsvollstreckung
zunächst nicht in die Kaution, sondern in das übrige Vermögen statt.
§. 143.
[1] Die Verwaltungsbehörde ersucht die zuständigen Gerichte,
Vollstreckungsbeamten oder Hypothekenbehörden um Vollziehung des Beschlusses.
[2] Diese sind, ohne auf eine Berurtheilung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses
einzugehen, verpflichtet, wenn sonst kein Anstand obwaltet, die Beschlagnahme der zur
Deckung des Defekts erforderlichen Vermögensstücke zu verfügen und die in Antrag
gebrachten Eintragungen im Hypothekenbuche zu veranlassen.
§. 144.
[1] Gegen den Beschluß, wodurch ein Beamter zur Erstattung eines
Defekts für verpflichtet erklärt wird (§§. 137 und 140),
steht demselben sowohl hinsichtlich des Betrages, als hinsichtlich der
Ersatzverbindlichkeit außer der Beschwerde im Instanzenzuge der Rechtsweg zu.
[2] Die Frist zur Beschreitung des Rechtsweges beträgt ein Jahr, ist eine
Ausschlußfrist und beginnt mit dem Tage der dem Beamten geschehenen Bekanntmachung des
vollstreckbaren Beschlusses, oder wenn der Beamte an seinem Wohnort nicht zu treffen ist,
mit dem Tage des abgefaßten Beschlusses.
[3] In dem auf die Klage des Beamten entstandenen Rechtsstreit hat das Gericht
über die Wahrheit der thatsächlichen Behauptungen der Parteien nach seiner freien aus
dem Inbegriff der Verhandlungen und Beweise geschöpften Uberzeugung zu entscheiden.
[4] Die Vorschriften der Landesgesetze über den Beweis durch Eid, sowie über die
Beweiskraft öffentlicher Urkunden und gerichtlicher Geständnisse bleiben unberührt.
[5] Ob einer Partei über die Wahrheit oder Unwahrheit einer thatsächlichen
Behauptung noch ein Eid aufzuerlegen, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen.
[6] In der wegen des Defekts etwa eingeleiteten Untersuchung bleiben dem Beamten,
insofern es auf die Bestrafung ankommt, seine Einreden gegen den abgefaßten Beschluß
auch nach Ablauf des Jahres, wenngleich sie im Civilprozeß nicht mehr geltend gemacht
werden können, vorbehalten.
§. 145.
Das Gericht hat auf Antrag des Beamten darüber Beschluß zu
fassen, ob die Zwangsvollstreckung fortzusetzen oder einstweilen einzustellen sei. Die
einstweilige Einstellung erfolgt, wenn der Beamte glaubhaft macht, daß die Fortsetzung
der Zwangsvollstreckung für ihn einen schwer ersetzlichen Nachtheil zur Folge haben
würde. Das Gericht ist jedoch verpflichtet, falls es die Einstellung der
Zwangsvollstreckung verordnet, an Stelle derselben auf Antrag der verklagten
Reichsbehörde die erforderlichen Sicherheitsmaßregeln behufs des Ersatzes des Defekts
herbeizuführen.
§. 146.
[1] Wenn eine nahe und dringende Gefahr vorhanden ist, daß ein
Beamter, gegen welchen die Zwangsvollstreckung zulässig ist (§. 141),
sich auf flüchtigen Fuß setzen oder sein Vermögen der Verwendung zum Ersatz des Defekts
entziehen werde, so kann die unmittelbar vorgesetzte Behörde, auch wenn sie nicht die
Eigenschaft einer höheren Reichsbehörde hat, oder der unmittelbar vorgesetzte Beamte das
abzugsfähige Gehalt (§. 19 Nr. 1) und nöthigenfalls das übrige
bewegliche Vermögen des im Eingange bezeichneten Beamten vorläufig in Beschlag nehmen.
[2] Der vorgesetzten höheren Reichsbehörde ist ungesäumt Anzeige davon zu machen
und deren Genehmigung einzuholen.
§. 147.
[1] Ist von den vorgesetzten Behörden oder Beamten gemäß §. 146 eine Beschlagnahme erfolgt, so hat das Gericht, in dessen Bezirk die
Beschlagnahme stattgefunden hat, auf Antrag des von derselben betroffenen Beamten
anzuordnen, daß binnen einer zu bestimmenden Frist der in den §§. 137
und 140 vorgesehene Beschluß beizubringen sei.
[2] Wird dieser Anordnung nicht Folge geleistet, so ist auf weiteren Antrag des
Beamten die Beschlagnahme sofort aufzuheben; andernfalls kommen die Bestimmungen des §. 144 zur Anwendung.
§. 148.
Für das Defektverfahren im Verwaltungswege werden Gebühren und Stempel nicht
berechnet.
Verfolgung vermögensrechtlicher Ansprüche.
§. 149.
Ueber vermögensrechtliche Ansprüche der Reichsbeamten aus ihrem
Dienstverhältniß, insbesondere über Ansprüche auf Besoldung, Wartegeld oder Pension,
sowie über die den Hinterbliebenen der Reichsbeamten gesetzlich gewährten
Rechtsansprüche auf Bewilligungen, findet mit folgenden Maßgaben der Rechtsweg statt.
§. 150.
Die Entscheidung der obersten Reichsbehörde muß der Klage
vorhergehen und letztere sodann bei Verlust des Klagerechts innerhalb sechs Monaten,
nachdem dem Betheiligten die Entscheidung jener Behörde bekannt gemacht worden,
angebracht werden.
§. 151.
[1] Der Reichsfiskus wird durch die höhere Reichsbehörde, unter
welcher der Reichsbeamte steht oder gestanden hat, oder falls er direkt unter der obersten
Reichsbehörde steht oder gestanden hat, durch die oberste Reichsbehörde vertreten.
[2] Die Klage ist bei demjenigen Gericht anzubringen, in dessen Bezirke die
betreffende Behörde ihren Sitz hat.
§. 152.
[1] Gegen das Urtheil erster Instanz steht den Parteien dasjenige
Rechtsmittel zu, welches bei Beschwerdegegenständen vom höchsten Werth stattfindet. Auch
die Anfechtung der Urtheile zweiter Instanz ist ohne Rücksicht auf die Beschwerdesumme
statthaft. Die Beschwerdesumme, ingleichen die Uebereinstimmung der Urtheile erster und
zweiter Instanz kommt nur insoweit in Betracht, als davon die Entscheidung der Frage
abhängt, welches von mehreren nach den Landesgesetzes etwa zulässigen Rechtsmitteln
stattfindet.
[2] Das Reichs-Oberhandelsgericht entscheidet an Stelle des für das Gebiet, in
welchem die Sache in erster Instanz anhängig geworden ist, nach den Landesgesetzen
bestehenden obersten Gerichtshofes und zwar in letztet Instanz. Soweit nicht Absatz 1 des
gegenwärtigen Paragraphen abweichende Vorschriften erläßt, werden die Bestimmungen des
Gesetzes, betreffend die Errichtung einer obersten Gerichtshofes für Handelssachen vom
12. Juni 1869, sowie die Ergänzungen desselben auf die im §. 149
bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ausgedehnt.
§. 153.
Auf die im §. 144 erwähnten
Rechtsstreitigkeiten finden die Bestimmungen der §§. 151 und 152 mit der Maßgabe Anwendung, daß der Reichsfiskus durch die höhere
Reichsbehörde vertreten wird, welche den Defektbeschluß abgefaßt oder für
vollstreckbar erklärt hat (§. 139 Absatz 2). Ist die Abfassung durch
die oberste Reichsbehörde geschehen, so übernimmt diese die Vertretung des Reichsfiskus.
§. 154.
[1] In Rechtsstreitigkeiten über Vermögensansprüche gegen
Reichsbeamte wegen Ueberschreitung ihrer amtlichen Befugnisse oder pflichtwidriger
Unterlassung von Amtshandlungen ist sowohl dasjenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk
der Beamte zur Zeit der Verletzung seiner Amtspflicht seinen Wohnsitz hatte, als
dasjenige, in dessen Bezirk derselbe zur Zeit der Erhebung der Klage seinen Wohnsitz hat.
[2] Die Zulässigkeit der Rechtsmittel, die Zuständigkeit des
Reichs-Oberhandelsgerichts und das Verfahren vor demselben richten sich nach den im §. 152 gegebenen Vorschriften.
§. 155.
Die Entscheidungen der Disziplinar- und Verwaltungsbehörden
darüber, ob und von welchem Zeitpunkte an ein Reichsbeamter aus seinem Amte zu entfernen,
einstweilig oder definitiv in den Ruhestand zu versetzen, oder vorläufig seines Dienstes
zu entheben sei, und über die Verhängung von Ordnungsstrafen sind für die Beurtheilung
der vor dem Gerichte geltend gemachten vermögensrechtlichen Ansprüche maßgebend.
Schlußbestimmungen.
§. 156.
[1] Die Reichstags-Beamten haben die Rechte und Pflichten der
Reichsbeamten.
[2] Die Anstellung der Reichstags-Beamten erfolgt durch den
Reichstags-Präsidenten, welcher die vorgesetzte Behörde derselben bildet.
§. 157.
Auf Personen des Soldatenstandes findet dieses Gesetz nur in den §§. 134 bis 148 Anwendung.
§. 158.
[1] Die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Versetzung in ein
anderes Amt, über die einstweilige und über die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand,
über Disziplinarbestrafung und über vorläufige Dienstenthebung finden auf die
Mitglieder des Reichs-Oberhandelsgerichts, auf die Mitglieder des Bundesamts für das
Heimathwesen, auf die Mitglieder des Rechnungshofes des Deutschen Reichs und auf
richterliche Militär-Justizbeamte keine Anwendung.
[2] Außerdem haben für die Mitglieder des Reichs-Oberhandelsgerichts die
Vorschriften dieses Gesetzes über die Pensionir[u]ng und über den Verlust der Pension
keine Geltung.
§. 159.
Die Ausführung dieses Gesetzes regelt eine vom Kaiser zu erlassende Verordnung,
durch welche namentlich diejenigen Behörden näher zu bezeichnen sind, welche unter den
in diesem Gesetze erwähnten Reichsbehörden verstanden sein sollen.[3]
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem
Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Berlin, den 31. März 1873.[4]
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(L. S.) Wilhelm.
Fürst v. Bismarck.
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