[Kompromiss-]Programm des [preußischen] Ministeriums von Pfuel.

Vom 19. September 1848.[1]


  Das neue Ministerium wird vor allem bemüht sein, die Verfassung mit der Nationalversammlung zu vereinbaren und deren sonstige legislative Tätigkeit auf das Notwendigste zu beschränken. Dahin gehören:

das Bürgerwehrgesetz,
die Gemeindeordnung,
die Kreis- und Bezirksordnung.[2]

  Notwendig wird vielleicht noch sein:
einige Modifikationen im Organismus der Staatsbehörden vorzunehmen,
das Gesetz wegen Aufhebung der Feudallasten,
das Gesetz wegen der Zwangsanleihe.


  Die Gesetze wegen der Grundsteuer und wegen Erhöhung der Branntweinsteuer wird man vorläufig zurücknehmen müssen.

  Das Gesetz wegen der Habeas-corpus-Akte[3] zu sanktionieren sein.

  Ob die Sanktionierung des Gesetzes wegen Aufhebung der Todesstrafe noch auszusetzen, steht dahin.[4]

  Das Ministerium wird das Prinzip

daß der Nationalversammlung das Dekretieren von Verwaltungsmaßregeln nicht zusteht,

aufrecht erhalten.

  Eine Amnestie für alle politischen Verbrechen in der Provinz Posen ist zu erlassen.[5]

  In bezug auf den Beschluß der Nationalversammlung vom 7. d. M. soll es bei dem Erlaß des Kriegsministers vom 13. d. Mts. an die kommandierenden Generale[6] bewenden.

  Ruhe und Ordnung in Berlin und im ganzen Lande muß im gesetzlichen Wege durch alle zu Gebote stehenden Mittel, schließlich also auch durch bewaffnete Macht aufrechterhalten werden.

  Das Gesetz wegen der unerlaubten Volksversammlungen und Zusammenrottungen pp. Ist vielleicht zu entbehren.

  Das für die Versammlung bestimmte Programm legt das Ministerium S.M. dem König vor.[7]

  Wie es zu halten, wenn es dem Ministerio nicht gelingt, die Majorität in der Nationalversammlung zu erlangen, läßt sich noch nicht bestimmen.

  Bei fortgesetzten Kompetenzüberschreitungen kann die Auflösung der Nationalversammlung notwendig werden, also eine Appellation an das Volk, welches dann aber nach dem bestehenden Gesetze zu neuen Wahlen zu berufen sein wird.[8]

  Nur im äußersten Falle darf dies geschehen.

  Um aber die Versammlung dem Terrorismus von Berlin zu entziehen, empfiehlt sich die Verlegung der Versammlung in eine andere Stadt.

  In der äußern Politik wird es notwendig sein, mehr als bisher selbständig in die endliche Regulierung der deutschen Verfassung einzugreifen.[9]


Pfuel.

  Dieses Programm ist den 19. Sept. 1848 S.M. dem Könige vorgelegt und von Allerhöchstdemselben genehmigt, mit Ausnahme der vollständigen Amnestie für Posen.

 

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Anmerkungen:
[1] Das Programm wurde am 19. September 1848 vom preußischen König gebilligt und am 22. September der preußischen Nationalversammlung sinngemäß vorgetragen.
[2] Vgl. Bürgerwehrgesetz vom 17. Oktober 1848; die Kommunalgesetze wurden vor der Auflösung der preußischen Nationalversammlung nicht mehr erlassen.
[3] Vgl. Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 24. September 1848.
[4] Die preußische Nationalversammlung beschloss am 4. August 1848 die Abschaffung der Todesstrafe. Am 8. August lehnte sie die Beibehaltung dieser Strafe auch für Mord und Hochverrat ab, jedoch sollte sie während des verhängten Kriegs- oder Belagerungszustandes beibehalten werden. Am 12. Oktober 1848 legte der preußische König sein Veto dagegen ein und verwies so den Gesetzesbeschluss an die Nationalversammlung zurück.
[5] Vgl. den Nachsatz des Programms.
[6] Aufgrund des Beschlusses der preußischen Nationalversammlung vom 7. September 1848 verpflichtete Kriegsminister von Schreckenstein durch Erlass vom 13. September 1848 die kommandierenden Generale, "jedem Bestreben entgegenzutreten, durch welches, sei es im reaktionären oder im republikanischen Sinne, das Prinzip der konstitutionellen Freiheit beeinträchtigt werden könnte" (vgl. Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 167, Anm. 2).
[7] Nachdem Friedrich Wilhelm IV. das Programm gebilligt hatte, trug es v. Pfuel am 22. September 1848 der preußischen Nationalversammlung vor.
[8] Vgl. dazu Verordnung über die Auflösung der preußischen Nationalversammlung vom 5. Dezember 1848 und Wahlgesetz für die Zweite Kammer vom 6. Dezember 1848.
[9] Vgl. dazu Preußische Zirkulardepesche an die preußischen Gesandten bei den deutschen Regierungen vom 23. Januar 1849.


Quelle: Karl Haenchen (Hrsg.): Revolutionsbriefe 1848. Ungedrucktes aus dem Nachlaß König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen, Leipzig 1930, S. 178-180.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Kompromiss-Programm des preußischen Ministeriums von Pfuel (19.09.1848), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/nzjh/preussen/1848/ministerium-pfuel_programm.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.01.2004
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